"Handwerk unverzichtbar für alle Zukunftsaufgaben"

Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks
Foto: ZDH/Boris Trenkel
Handwerkerinnen und Handwerker "bauen und gestalten maßgeblich die Zukunft Deutschlands. Die Arbeit geht also sicher nicht aus. Und wer sich weiterqualifiziert bis hin zum Meister oder Betriebswirt im Handwerk, der hat beste Verdienst- und Karrieremöglichkeiten bis hin zum eigenen Betrieb. Im Handwerk gibt es täglich Erfüllendes und Sinnstiftendes zu tun", so Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer gegenüber Franziska Grosswald vom IKKclassic-Online-Magazin "Gesund.Machen" zu den Gründen, warum sich eine handwerkliche Ausbildung immer lohnt.
Handwerkliche Berufe sind derzeit anscheinend ein wenig aus dem Fokus junger Menschen geraten. In vielen Branchen wird händeringend nach Nachwuchs gesucht. Können Sie ein paar gute Gründe aufzählen, weshalb es sich aus Ihrer Sicht lohnt, eine Ausbildung im Handwerk zu absolvieren?
Das Handwerk ist unverzichtbar für alle Zukunftsvorhaben, ganz besonders auf den Feldern, die jungen Menschen heute am Herzen liegen. Wer Deutschland klimafreundlich gestalten möchte, der ist im Handwerk genau richtig: Hier kann jede und jeder täglich aktiv als Klimaschützer arbeiten. Alle zukunftsrelevanten Aufgaben wie die Mobilitäts- und Energiewende, Umwelt- und Klimaschutz, die Modernisierung unserer analogen wie digitalen Infrastruktur, der Wohnungsbau, SmartHome sind nur mit dem Handwerk umzusetzen. Wir bauen und gestalten maßgeblich die Zukunft Deutschlands. Die Arbeit geht also sicher nicht aus. Und wer sich weiterqualifiziert bis hin zum Meister oder Betriebswirt im Handwerk, der hat beste Verdienst- und Karrieremöglichkeiten bis hin zum eigenen Betrieb. In kaum einem anderen Wirtschaftsbereich kann man so jung sein eigener Chef werden. Im Handwerk gibt es täglich Erfüllendes und Sinnstiftendes zu tun. Handwerkerinnen und Handwerker können am Ende eines Tages sehen, was sie geleistet und geschaffen haben. Sie können ihre Arbeit mit dem sicheren Gefühl machen, dass das, was sie tun, auch gebraucht wird. Das macht zufrieden.
Stichwort Familienfreundlichkeit: Wie steht es um die Vereinbarkeit eines handwerklichen Berufes mit Familie?
Da Handwerksbetriebe in der Mehrzahl Familienbetriebe sind, in denen jeder jeden kennt und in denen Teamarbeit großgeschrieben wird, sind häufig auch familienfreundliche Lösungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbstverständlich. In diesen Familienbetrieben herrscht eine natürliche Sensibilität für das Thema und eine große Bereitschaft, familien- und pflegefreundliche Lösungen zu finden, etwa durch flexible Arbeitszeitregelungen und durch die Unterstützung in Notfallsituationen. Viele Betriebe machen Angebote für eine Teilzeitbeschäftigung oder flexible Tages- und Wochenarbeitszeiten bzw. Gleitzeitmodelle und nehmen bei der Urlaubsplanung besondere Rücksicht auf die Belange der Beschäftigten. Gerade im Handwerk zeigt sich: Familienfreundlichkeit muss nicht kostenintensiv sein. Oft sind es die "kleinen" Lösungen, die große Wirkung zeigen.
Die Digitalisierung ist ein großer Treiber, der auch das Handwerk in den letzten Jahren massiv beeinflusst und modernisiert hat. Inwiefern?
Im Handwerk gibt es bereits vielfältige digitale Anwendungen: Da denke ich beispielsweise an das digitale Aufmaß in den Baugewerken oder die Dachvermessung mit Drohnen. Building Information Modelling, also die durchgängige Dokumentierung eines Bauprojekts zur optimalen Koordinierung aller erforderlichen Schritte, wird im Baubereich immer wichtiger. Der 3D-Drucker hält in immer mehr Gewerken Einzug. Im Bereich der industriellen Zulieferer sind die Unternehmen bereits zu einem Großteil in die digitalisierten Wertschöpfungsketten der Industrieunternehmen integriert. Und schließlich eröffnet die Verfügbarkeit von Daten immer mehr Betrieben sehr interessante neue Geschäftsmodelle in Form sogenannter "smart Services": So können im Anlagenbau datengestützte Ferndiagnosen und Fernwartungen durchgeführt werden. Im Kfz-Bereich wird die vorausschauende Wartung mittels Datenanalyse immer wichtiger. Es kann also kein Zweifel daran bestehen, dass ohne digitale Technik in Zukunft kein Gewerk mehr auskommen wird. Der künftige Erfolg unserer Betriebe wird davon abhängen, wie gut es ihnen gelingt, im klassischen Sinne handwerkliche Arbeit mit digitaler Technik zu verbinden. Wir arbeiten etwa im Modellbau mit lernenden Assistenzrobotern zusammen. Wir sorgen für digitalen Wohlgeschmack, indem etwa Kekse heute im Wunschmotiv und in 3D gedruckt werden. Bäcker verkaufen ihre Produkte heute dank Shopsystem über das Internet nach Übersee. Ein Elektroniker installiert heute nicht nur ein Smart-Home- oder Gebäude-System, sondern kann es auf Wunsch auch fernwarten oder -steuern. Alle Beispiele zeigen, wie traditionelles Handwerk mit digitaler Innovation eine Verbindung eingeht.
In welchen handwerklichen Berufen mangelt es derzeit besonders an Fach- und Nachwuchskräften?
Bedarf besteht in allen Handwerksberufen, besonders hoch ist er im Bau – also Hoch-, Tief- und Straßenbau – und im Ausbau, in den Lebensmittelgewerken wie etwa Metzger oder Bäcker, in den Gesundheitshandwerken. Und natürlich in den mehr als 30 Gewerken, die heute schon im Klimaschutz tätig sind.
Weshalb haben Sie sich als junger Mensch für eine Ausbildung im Handwerk entschieden?
Ein persönlich sehr einschneidendes und trauriges Ereignis – der Tod meines Vaters – hat mich dazu gebracht, meinen ursprünglichen Plan, Architektur zu studieren, zu ändern und eine Ausbildung zu machen, um den elterlichen Betrieb fortführen zu können. Sehr jung hatte ich meinen Gesellen- und dann schon im Alter von nicht ganz 21 Jahren meinen Meisterbrief und war ab diesem Zeitpunkt dann auch mein eigener Chef. Aus heutiger Sicht kann ich nur mit voller Überzeugung sagen, dass sich diese Planänderung aus sehr traurigem Grund für mich als gute Fügung erwiesen hat: Mein Berufs- und Arbeitsleben war so abwechslungsreich und vielfältig, wie es nicht besser hätte sein können. Und es hat mich ganz an die Spitze des Handwerks gebracht – ich bin also vielleicht ein Beispiel dafür, wie weit einen eine Ausbildung im Handwerk führen kann.