Bio-Bäcker in bester Familientradition
Einmalig in Deutschland dürfte sie sein – die Backpfeife: eine offene Backstube in einer roh gezimmerten Holzhütte. Diese steht in einem Dorf mitten in der Stadt, einem Ort, der mit seinen Hallen und Hütten, seinen Lädchen und Restaurants ideal ist für eine Auszeit vom urbanen Getümmel Berlins. Mattis Harpering backt dort fair, inklusiv und nach allen Regeln der Handwerkskunst. Er hat die Backpfeife selbst ausgebaut, mit familiärer Unterstützung, vor allem sein Vater hat mit angepackt. Die offene Backstube liegt am Holzmarkt 25, einem genossenschaftlich organisierten Gegenentwurf zum angrenzenden Investorenprojekt Mediaspree. Mit Musik, Kunst und Gemeinschaftsaktionen werden dort alternative Vorstellungen einer lebenswerten Stadt in die Tat umgesetzt – der Ort öffnet Räume für die Realisierung vieler Träume.
Traditionelle Handwerkskunst in alternativer Umgebung
Bäckermeister Mattis verwirklicht dort im Kreativquartier am Spreeufer seine Idee eines Betriebs, der nach traditioneller Handwerkskunst möglichst nur die besten Biorohstoffe verwendet. Sein Standardsortiment besteht aus fünf unterschiedlichen Brotsorten: Weizen-Dinkel-Mischbrot, Roggenvollkornbrot, Dinkel-Roggen-Mischbrot, Dinkelvollkornbrot. Zudem backt er ein monatlich abwechselndes Saison-Brot, momentan mit Emmermehl, einem Urgetreidemehl mit kräftig-nussigem Geschmack. Alle Produkte werden über eine Langzeitführung hergestellt. Neben den Brotvariationen bietet er Brötchen und Baguettes an, zudem belegte Stullen und köstlich-saftige Apfel-Zimt-Schnecken.
Von 2017 bis Ende 2023 stand seine Holzhütte am Spreeufer, inzwischen ist er in ein Ladenlokal direkt an der Holzmarktstraße gezogen. Zwar lag die erste Schaubäckerei malerisch am Ufer der Spree, doch sie war schwer zu finden den Winkeln des Budendorfes. "Wir möchten mehr Laufkundschaft erreichen", sagt Mattis. Er verkauft seine Brote nicht nur in der Backpfeife, sondern beliefert auch Märkte. Etwa den antikapitalistischen Supermarkt "Robin Hood Store", der in Berlin und Brandenburg drei Dependancen betreibt. Deren Utopie, eine neue Form des Wirtschaftens zu etablieren, um eine weltweit gerechte Verteilung von Wohlstand zu erwirken, ist ihm sympathisch.
Familientradition in der Bio-Backszene
Ausgetretene Pfade zu verlassen und fair zu wirtschaften, ist Tradition bei Familie Harpering. In einem "liberalen Elternhaus" sei er aufgewachsen, sagt Mattis und erzählt von seinen Eltern, die Mitte der 1970-er Jahre zur Gründungsbewegung der Bio-Backszene gehörten. Die Mutter, Ökotrophologin, und der Vater, ein Maschinenbauer, der eigentlich lieber Politikwissenschaften studieren wollte, engagierten sich in einem der ersten Bäckerei-Kollektive des damaligen Westberlins, dem Kreuzberger "Brotgarten". Vor allem der politische Wille, neue Wege in der Arbeit zu gehen, ökologische Produkte herzustellen und anders zu leben war damals Motivation. Diesen Spirit nahmen Vater und Mutter Harpering mit, als sie Berlin verließen und gemeinsam mit anderen einen erfolgreichen Bio-Bäckereibetrieb (Das Bio Backhaus) in der Nähe von Göttingen aufbauten. Dort hat Mattis nach der mittleren Reife seine Ausbildung absolviert.
Eigentlich will ich die besten der besten Rohstoffe verwenden, doch wer soll das bezahlen?
Austausch und lebenslanges Lernen
Nach einem Gesellenjahr im elterlichen Unternehmen zog es Mattis Harpering wieder in die Hauptstadt. Dank des ausgezeichneten familiären Netzwerks sammelte er bei Branchengrößen der Bio-Backwelt in Berlin weitere Berufserfahrung, bevor er seine Meisterausbildung absolvierte – mit Joachim Weckmann, dem Gründer von Märkisches Landbrot, einem weiteren Mentor an seiner Seite. Austausch mit lebenserfahrenen Menschen ist Mattis wichtig, will er doch sein Unternehmen zukunftsfest machen. Das ist nicht immer einfach, muss er doch tagtäglich die Herausforderung meistern, seinen Anspruch an Qualität mit der Wirtschaftlichkeit seines Unternehmens in Balance zu halten. "Eigentlich will ich die besten der besten Rohstoffe verwenden, doch wer soll das bezahlen?", fragt er sich. Ihn treibt die Frage um, ob gutes Brot eines Tages ein Luxusartikel sein wird. "Das darf bei einem Grundnahrungsmittel nicht passieren. Und noch grundsätzlicher frage ich mich auch, wie sich die Klimakrise auf meinen Beruf auswirken wird. Wo wird man Weizen anbauen können?" Werden die Gedanken zu düster, muntern seine sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihn auf. Sie verweisen dann auf nachhaltig-regional angebaute Getreidesorten, die sich an den Klimawandel anpassen können, und die auf kurzem Weg zu lokalen Handwerksbäckereien gelangen. Das Team um Mattis ist kreativ, nimmt sich schon jetzt die Freiheit, viel mit Gewürzen, Kräutern und Pflanzen wie etwa Ingwer zu experimentieren.
Wir packen die Herausforderungen im Team an. Es geht nur gemeinsam.
Inklusion und Integration
"Wir müssen es eben anpacken", ist Mattis Leitmotiv. Wie schwierige Situationen bewältigt werden, zeigt sein Auszubildender Wael Zefzef. In der Backstube läuft es prima: Er zeigt handwerkliches Geschick, ist flink, fleißig sowie absolut zuverlässig. Stressig ist der schulische Teil der Handwerksausbildung, denn der in Tunesien geborene 28-Jährige ist gehörlos. Vor acht Jahren kam er nach Deutschland. In seiner Heimat habe er einiges an Diskriminierung erfahren. Die Verständigung war holprig: "Wael hat zwar eine Gebärden-Dolmetscherin und eine verständnisvolle Lehrerin. Aber leider sind viele Lehrkräfte nicht für seine Situation sensibilisiert, zudem ist die Berufsschulklasse sehr groß und er ist der einzige Gehörlose", schildert Mattis.
Auch der Bäckermeister erhielt Unterstützung: In Almut Kirschbaum von der Inklusionsberatung der Handwerkskammer Berlin fand er eine Ansprechpartnerin in allen organisatorischen Belangen, etwa damit, wie Betriebe Zuschüsse zur Ausbildungsvergütung von Menschen mit Behinderung durch den Arbeitgeber-Service der Bundesagentur für Arbeit erhalten. Auch wenn ist es nicht so einfach ist mit der Integration, bleibt das Team der Backpfeife zuversichtlich: "Wir geben alles, Wael zu unterstützten, damit er 2024 seine Prüfung schafft. Er leistet viel und wird sich schon behaupten."
Jahrbuch 2024
Diese Handwerk-Story wurde zuerst im ZDH-Jahrbuch 2024 veröffentlicht. Das Jahrbuch zeigt unter dem Moitto "Neu denken. Zeit, zu machen." viele Positivbeispiele von Handwerkerinnen und Handwerkern in den Bereichen Transformation, Digitalisierung, Innovation und Gesellschaft.