Zentralverband des
Deutschen Handwerks
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"Ans Handwerk kann man sein Herz verlieren"

Berührungsängste? Kennt Katja Lilu Melder nicht: Im Interview erzählt sie, wie Gefahrstoffsanierung funktioniert, warum Inklusion sich lohnt, und weshalb die Baubranche schon lange keine reine Männerdomäne mehr ist.
Katja Lilu Melder mit Werkzeug

Handwerkerin und Unternehmerin Katja Lilu Melder

Wie sind Sie ins Handwerk gekommen?

Ich habe einen verrückten Werdegang: Nach meiner ersten Ausbildung zur Hotelfachfrau habe ich lange im Hotel- und Veranstaltungswesen gearbeitet, ehe ich in die Zeitarbeit gewechselt bin. Hier konnte ich mich von der Disponentin bis zur Vertriebsleiterin hocharbeiten und bin so zum ersten Mal mit dem Handwerk in Berührung gekommen.   

Mit der "Fachkraft für Arbeitssicherheit" entstand in dieser Zeit ein neuer Beruf in meinem Arbeitsumfeld, den ich unbedingt lernen wollte, was ich mit meiner Ausbildung als Hotelfachfrau aber nicht konnte. Also habe ich eine Ausbildung zur Metallbauerin angefangen, nach Abschluss den Meistertitel draufgesetzt und anschließend auch den "Betriebswirt Personal" gemacht.

Meine erste Firma habe ich in der Zeitarbeit gegründet, hier haben wir Bauhelfer gestellt. Dadurch bin ich nicht nur in den Baubereich gekommen, sondern auch privat hat sich dadurch viel verändert, denn ich habe dort meinen Ehemann kennengelernt. Als Chemiker ist dieser eine echte Koryphäe in Sachen Gefahrstoffsanierung. Seine und meine Expertise in einer gemeinsamen Firma zu bündeln, war daher naheliegend und hat sich bereits im ersten Jahr als Glücksgriff herausgestellt: Mit 54 Mitarbeitern konnten wir direkt durchstarten.

Wie kann man sich die Arbeit vorstellen?

Ich sage immer: Das Gerüst vom Haus bleibt stehen – alles, was drin ist, kommt weg. Wir machen Abbruch, Rückbau und zu etwa 70 % Gefahrstoffsanierung. Die Sanierung im Altbestand ist jahrelang viel zu stiefmütterlich angegangen worden, obwohl man dadurch viel Wohnraum schaffen und  natürlich gleichzeitig auch energie- und klimapolitische Ziele verfolgen kann. 

Aktuell sind in ganz Deutschland rund 30 % aller Asbestvorhaben saniert. Da werden wir also sicherlich noch in den nächsten Jahrzehnten mit dem Thema zu tun haben. Dass das Thema lange nicht mit dem nötigen Nachdruck angegangen wurde – teilweise auch heute noch als nicht so wichtig erachtet wird –, das spornt uns erst recht an. Denn wer einen Blick auf Luftmessungen wirft, dem wird schnell klar, wie bedeutend diese Sanierungsmaßnahmen für den allgemeinen Gesundheitsschutz sind. 

Das hat natürlich auch Einfluss auf unseren Arbeitsalltag und den Arbeitsschutz: Sie müssen bei uns immer, immer mit dem Kopf arbeiten. Schon das Wort "Gefahrstoffe" kann abschrecken, aber wenn man sich an die Regeln hält und alle Schutzmaßnahmen beachtet, dann ist die Arbeit natürlich sicher. Für unsere Beschäftigten bedeutet das nicht nur, dass sie jede Menge Schulungen durchlaufen, sondern auch, dass sie aufeinander aufpassen. Teamwork wird schon deswegen bei uns ganz groß geschrieben.

Frau Melder in Schutzkleidung mit Atemmaske

Katja Lilu Melder in der Schutzkleidung, die den Gesundheitsschutz während der Asbest-Sanierung sicherstellt.

Als Herausforderung kommt hinzu, dass jede Baustelle anders ist. Es passiert oft, dass Pläne und Gebäude gar nicht zusammenpassen. Auch das erfordert viel Kopfarbeit – neben der körperlichen Arbeit beim Abbruch, die natürlich ihren Raum einnimmt. 08/15 gibt es bei uns nicht, hier muss man sich immer wieder neu reindenken und mit den Folgegewerken abstimmen. Dafür sind die Ergebnisse toll: Wir gehen vielfach in echte "Bruchbuden" hinein. Doch wenn wir fertig sind, sind diese nicht wiederzuerkennen.

Es braucht also nicht nur Kraft, sondern jede Menge Fachwissen. Im Betrieb selbst bilden wir dafür Bauwerksmechaniker aus. Das ist ein neuerer Beruf, der perfekt auf unsere Arbeit vorbereitet, aber leider noch nicht allzu bekannt ist: Das erschwert die Azubi-Suche, weshalb wir bei der Nachwuchswerbung besonders den Wert, den unsere Arbeit hat, hervorheben: Junge Leute ticken nochmal anders, die wissen, wie wichtig Klimaschutz ist, und suchen Berufe, in denen sie das umsetzen können. Da kommen wir ins Spiel und sagen: Genau hier ist deine Chance!

Das sollte eigentlich auch noch mehr Mädchen und Frauen für diesen Beruf begeistern. Wenn diese sich fragen, ob sie diesen Beruf körperlich schaffen können, dann ist mein Rat: Das lässt sich am besten herausfinden, indem man ein Praktikum auf dem Bau macht und das Team drumherum erlebt. Dass die Baubranche immer noch als Männerdomäne gilt, in der Frauen keinen Platz haben, finde ich wirklich überholt. Ich kann mit unserem Team und mit mir als Chefin zeigen, dass es gemeinsam funktioniert.

Das war für Sie auch ein Grund, zu den UnternehmerFrauen im Handwerk (UFH) zu gehen, oder?

Ja! Außerdem braucht es mehr Austausch mit Menschen, die beispielsweise wissen, wie sich schlaflose Nächte anfühlen, weil man auf Rechnungen sitzt, aber ein Kunde nicht zahlt. Man muss diese Erfahrung selbst gemacht haben, um darüber sprechen zu können.

Bei den UFH gibt es 5.000-mal die Chance auf diesen Austausch, weil hier 5.000 Frauen zusammenkommen, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen. Man kann eigentlich jede einzelne von ihnen anrufen und sagen: Ich habe hier ein Problem, so oder so würde ich es lösen: Wie löst Du das?

Außerdem geht es bei den UFH wirklich ums Handwerk. Und das ist wichtig, denn im Handwerk unterscheiden sich die Probleme vielfach von denen, die andere Geschäftsbereiche haben. Das macht den Austausch für Handwerkerinnen so wertvoll. Denn ihre spezifischen Probleme würden in anderen Verbänden und Vereinen für Unternehmerinnen oftmals untergehen.

Geht es mit Ihrer Arbeit bei den UFH auch darum, Vorbilder zu finden und zu zeigen?

Ich finde das Wort schwierig: Was ist schon ein Vorbild? Ich kann sagen, wie ich mein Team führe oder zumindest versuche, es zu führen: Ich betone immer, dass wir alle in einem Boot sitzen. Ich bin zwar Chefin, aber meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen immer, dass ich für sie ansprechbar bin, wenn nötig, auch nach 23 Uhr noch über WhatsApp.

Diese familiäre Ebene und dieser Zusammenhalt sind mir wichtig. Deswegen setzen wir uns auch so stark für das Thema Inklusion ein. Wir haben aktuell zwei Mitarbeiter, die seit Geburt taubstumm sind, Markus und Halis. Das verändert den klassischen Betriebsalltag, denn es heißt für uns als Team: Gebärdensprache lernen, Rücksicht aufeinander nehmen, anders disponieren – das erfordert Arbeit, aber es funktioniert. Und es schafft einen unglaublichen Mehrwert für uns alle: Hätte ich 20 von Markus‘ und Halis‘ Sorte, müsste ich mir nie wieder Sorgen machen.

Und auch der Austausch im Privaten ist wichtig: Wir gehen demnächst etwa auf ein Sommerfest für Taubstumme. Solche Termine helfen, aus der eigenen Blase rauszukommen, sich weniger mit sich selbst zu beschäftigen und sich bewusst zu machen: Das Leben geht über den eigenen Tellerrand hinaus noch weiter.

Zwei Mitarbeiter mit Warnwesten und der Aufschritt "Gehörlos" auf der Baustelle.

Die Mitarbeiter Markus und Halis auf der Baustelle.

Ich weiß, dass es noch mehr Betriebe gibt, die das gern machen würden. Und ich weiß, wie viele tolle Leute es auf dem Markt gibt, die keinen Job finden, weil es Berührungsängste gibt, weil niemand im Betrieb Gebärdensprache kann. Und da ärgert mich schon, dass man gerade auch bei diesem inklusiven Engagement als Arbeitgeber und Betrieb alles selbst stemmen muss, weil man zu oft allein ist, weil alles viel zu kompliziert ist. Im Gegenteil, durch die ganzen gesetzlichen Regelungen wird auf diese Arbeit auch noch viel Bürokratie draufgesetzt: Erst dauert es viel zu lang, bis man die Mitarbeiter anstellen darf, und es erfordert viel Papierkram. Dann kann man einen Sprachkurs beantragen, auf den man Monate warten muss – nur, damit dieser doch wieder abgesagt wird.

Das ist unnötig, weil wir die Fachkräfte brauchen. Und es ist unnötig, weil wir Inklusion und Teilhabe doch kaum besser gestalten können als auf der Arbeit. Klar bedeutet das für den Betrieb, dass man aus seiner bequemen Ecke kommen, sich bewegen und mal mutig sein muss. Aber das gilt nicht nur für uns im Handwerk, das gilt meiner Meinung nach vor allem auch für die Politik, die zu wenig die betriebliche Praxis sieht, gerade bei der Bürokratie.

Stichwort Bewegung und Mut zum Schluss: Warum lohnt die Ausbildung im Handwerk?

Weil wir so viele tolle Ausbildungen und Berufe haben, die für so viele wichtige Bereiche gebraucht werden. Wir in unserem Betrieb sind mit unserer Arbeit ein kleiner Teil davon. Aber auch für das große Ganze gilt: Ohne uns und das Handwerk geht es nicht!

Und weil es neben der Arbeit im Handwerk noch so viel mehr gibt, was man sinnstiftend machen kann: Ob bei den UFH, in Sachen Inklusion, in der Interessenvertretung: Auf allen Ebenen gibt es Möglichkeiten, sich ehrenamtlich zu engagieren, neue Menschen kennenzulernen und echten Mehrwert zu schaffen.

Dazu kommt, dass jeder Tag und jede Baustelle anders sind, als Team müssen wir uns immer wieder neu sortieren, neu abstimmen und neu anfangen. Das schafft Abwechslung, die ich in dieser Form in keinem anderen Beruf finden würde. Und dann sind da natürlich unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dafür sorgen, dass ich für diesen Betrieb und dieses Team brenne. Handwerk ist etwas, an das man sein Herz verlieren kann – und wer darauf Lust hat, ist bei uns willkommen!