Zentralverband des
Deutschen Handwerks
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Deutschen Handwerks
09.10.2023

Energiewende ist nur mit dem Handwerk zu bewältigen

Damit das Handwerk Transformation umsetzen und die Energiewende stemmen kann, müssen die Standortbedingungen verbessert und der Fokus in der Bildungspolitik neu justiert werden, betont ZDH-Präsident Dittrich in einem Namensbeitrag in der "FAZ".
Portrait Dittrich

Deutschland hat sich entschieden – für den Verzicht auf fossile Energieträger und den massiven Ausbau erneuerbarer Energien. Bis 2030 sollen 80 Prozent des produzierten Stroms aus regenerativen Energiequellen kommen. Diese Zielmarke setzt einen Umbau des Landes in Gang, den es in der Geschichte der Bundesrepublik so noch nicht gegeben hat.

Das Problem dabei ist, dass die Photovoltaikanlagen nicht allein aufs Dach klettern und die Wärmepumpen nicht selbstständig den Weg in den Vorgarten oder den Heizungskeller finden. Dafür braucht es Menschen, viele Menschen. Handwerkerinnen und Handwerker, um genau zu sein. Denn nicht nur der Klimawandel ist menschengemacht, sondern auch die Energiewende.

Aber ist die Botschaft von der menschengemachten Energiewende, von der vom Handwerk zu stemmenden Energiewende auch in der Politik angekommen? Da sind Zweifel angebracht. Anders lassen sich die Standortbedingungen fürs Handwerk im Allgemeinen und für die klimarelevanten Gewerke im Besonderen nicht erklären. Die Vorurteile gegenüber dem Handwerk sitzen tief und werden schon früh vermittelt. In der Schule fängt es an.

Handwerkliche Bildungsinhalte und deren praktische Anwendung finden sich in kaum einem Lehrplan. Und das hat Folgen. Denn die Schülerinnen und Schüler passen sich an, an eine Welt, in der das Verstehen der Photosynthese viel zählt, aber das Verarbeiten des dadurch entstandenen Holzes nicht Teil des Unterrichts ist. Dadurch geht so viel verloren. Der Sinn fürs Haptische, die Freude daran, etwas zu erschaffen. Das Begreifen. Die fehlende Beratung über Berufs- und Karrieremöglichkeiten im Handwerk tut dann ihr Übriges.

Der Elitismus in der deutschen Bildungspolitik nimmt den jungen Menschen nicht nur die Chance auf sinnhaftes Arbeiten im Klimahandwerk, sondern unseren Betrieben auch die dringend benötigten Fachkräfte. Aber nur diese Fachkräfte sind in der Lage, aus den Absichtserklärungen der Politik greifbare Erfolge zu machen. Deswegen braucht es die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung – einem Idealzustand, von dem wir meilenweit entfernt sind. Denn während der Hochschulpakt auf über zwei Milliarden Euro aufgestockt wurde, gibt es für die Berufsbildungszentren und die Überbetriebliche Lehrlingsunterweisung keine vergleichbaren Steigerungen.

Gleichwertigkeit – die braucht es auch bei der Energiepolitik. Denn zur Abmilderung der hohen Energiekosten wird aktuell ein Industriestrompreis diskutiert. Das überrascht, schließlich trägt das Bundeswirtschaftsministerium nicht umsonst seinen Namen. Es ist vom Einmannbetrieb bis zum Weltkonzern für die gesamte Vielfalt in der Wirtschaft verantwortlich. Es ist eben nicht das Bundesindustrieministerium. Auch die meist kleinen und mittleren Handwerksbetriebe sind auf bezahlbare Energie angewiesen. Der Kostendruck ist ohnehin schon enorm – zum Beispiel durch immer weiter steigende Abgaben für die Sozialversicherung.

2023 hat der gesamte Beitrag zur Sozialversicherung die kritische Marke von 40 Prozent überschritten. Für die Betriebe des Handwerks ist das eine besonders schwere Last. Denn sie erwirtschaften den Umsatz durch die Arbeit der Beschäftigten und nicht mit digitalen Plattformen oder Algorithmen. Die Betriebe sollen die Energiewende hinbekommen, werden aber gleichzeitig durch eine immer höhere Abgabenlast geschwächt. Ausweg aus dieser Spirale nach oben ist eine gerechtere Verteilung der Lasten. Gesamtgesellschaftliche Aufgaben etwa müssen auch von der gesamten Gesellschaft getragen werden.

Mit der gerechteren Finanzierung der Sozialversicherung würde man eine sinnvolle gesetzliche Regelung schaffen. Auf viele andere Vorschriften können wir dagegen gerne verzichten, denn die Bürokratie für Handwerksbetriebe ist enorm. Dachdecker müssen dutzende Formularseiten ausfüllen, bevor sie eine Photovoltaikanlage aufs Dach bringen. In der Klimatechnik sieht es nicht besser aus. Trotz großer Versprechen, hier für Entlastung zu sorgen, passiert: viel zu wenig.

Ich weiß nicht genau, was für eine Motivation im Einzelnen hinter all diesen Formularen, Dokumentationen, Vorschriften und Regeln steht. Was ich weiß, ist, dass uns die Bürokratie von der Arbeit abhält. Denn für 74 Prozent der Handwerksbetriebe ist der Bürokratieaufwand in den letzten fünf Jahren gestiegen. Gleichzeitig fehlen allein im Klimahandwerk mehr als 96.000 Fachkräfte. Die, die wir haben, sollte man einfach ihre Arbeit machen lassen.

Das Handwerk steht bereit, die Energiewende zu stemmen. Das gelingt aber nur, wenn wir die volle Rückendeckung der Politik haben. Es braucht eben nicht nur die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft, es braucht auch die Transformation der Politik. Es reicht nicht länger, nur Ziele zu definieren. Die Politik muss ein regulatorisches Umfeld schaffen, in dem das Handwerk aus Zielmarken realen Klimaschutz macht. Und dafür bleibt nicht mehr viel Zeit.

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