Zentralverband des
Deutschen Handwerks
Zentralverband des
Deutschen Handwerks
18.09.2023

Zur Verbesserung der Standortschwächen ist jetzt "Anpacken" nötig

Das standortgebundene Handwerk kann vor den deutschen Standortschwächen nicht ins Ausland ausweichen. Politik muss die Standortbedingungen verbessern, so ZDH-Präsident Jörg Dittrich zu Johanna Apel vom Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Ein Handwerker reicht Dämmmaterial für die Dämmung eines Gebäudes nach oben.

Herr Dittrich, Deutschlands Wirtschaft tritt auf der Stelle. Wie macht sich die Konjunkturschwäche im Handwerk bemerkbar?

Die Schwäche der Konjunktur ist bei einer Vielzahl von Betrieben angekommen. Doch bei vielen Handwerksbetrieben ist aktuell die Geschäftslage noch gut: Allerdings sind die Sorgen mit Blick in die Zukunft groß. Bei Zulieferbetrieben der Industrie gibt es schon Kurzarbeit, und wir spüren bei den Konsumenten Kaufzurückhaltung. Was allerdings bereits im Keller ist, das ist die Stimmung: Die ist schlecht. Wir müssen jetzt handeln. Häufig reagieren Menschen erst, wenn der Schmerz übergroß ist. Aber ich denke, so weit dürfen wir es nicht kommen lassen: Wir wollen keine Szenarien herbeireden, sondern die Ärmel hochkrempeln, damit es nicht so schlimm wird.

Mit Szenarien meinen Sie die Sorge vor einer Deindustrialisierung und Berichte über den kranken Mann Europas?

Richtig ist, dass wir in Deutschland keinWirtschaftswachstum haben und unter den G7-Staaten den letzten Platz einnehmen. Doch es bringt uns nicht weiter, wenn wir zu sehr an das Negative denken, sondern wir müssen uns daran machen, die Dinge zum Positiven zu verändern. Wie im Sport: Wenn ein Spiel oder Wettkampf verloren wurde, dann muss man eben hart trainieren, besser werden, um wieder auf Augenhöhe und dann auch in die Spitzenposition zu kommen. Das wird bezogen auf den Standort Deutschland aber nur gemeinsam gelingen können. Weder Wirtschaft noch Politik können das allein.

Was wäre denn ein Hebel?

Die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts muss wieder besser werden. Jetzt fragen Sie sich, warum mir als Handwerkspräsident daran gelegen ist? Das Handwerk ist Standort gebunden. Es ist wie ein Baum, der fest im Boden verwurzelt ist. Und wie ein Baum einen positiven Beitrag für sein ganzes Umfeld leistet, wenn es ihm an seinem Standort gut geht, so tun das auch unsere Betriebe. Wenn die Industrie und damit ein großer Teil unserer Kunden weg sind, und wenn Menschen weniger Einkommen haben, schlägt das direkt aufs Handwerk durch. Zur Standortdebatte gehören auch Themen wie die derzeit stetig steigenden Sozialversicherungsbeiträge, wodurch Betrieben wie Beschäftigten Milliarden an Kaufkraft entzogen werden. Oder die überbordende Bürokratie, die Handwerksbetriebe zunehmend belastet und frustriert. Oder die zu hohen Energiekosten. Oder die zu geringe Digitalisierung der Verwaltung. Oder die zu langwierigen Genehmigungs- und Planungsverfahren. Es wird nach meinem Gefühl nicht genug dafür getan, dass wir wettbewerbsfähig sind.

Derzeit wird diskutiert, ob ein Industriestrompreis helfen könnte.

Schon der Name bereitet mir massive Probleme. Von den hohen Energiepreisen sind doch eine Vielzahl an Betrieben betroffen, und das in allen Bereichen. Von der Politik erwarte ich, einen wettbewerbsfähigen Energiepreis für alle herzustellen und nicht nur einige wenige zu unterstützen. Dass wir überhaupt über so etwas sprechen müssen, ist nach meinem Verständnis eine Niederlage. Es ist das Eingeständnis, keine bezahlbare Energie für alle in Deutschland gewährleisten zu können. Sollte eine Unterstützung beim Strompreis kommen, dann muss es sie für alle energieintensiven Betriebe geben.

Haben Sie das Gefühl, dass es in der Debatte zu sehr um die großen Industriebetriebe und zu wenig um den Mittelstand geht?

Leider ja – und zwar ganz eindeutig. Dabei müssen wir, um die deutsche Wirtschaft wieder in Schwung zu bekommen, den Fokus auf den Mittelstand als dem Rückgrat der deutschen Wirtschaft legen. Nehmen wir den Bau, der ganz stark mittelständisch geprägt ist. Wenn der Bau nicht stabilisiert wird, wird es kein Wachstum geben.

Sie haben gerade die Krise im Bau ausgerufen und warnen vor einem Kollaps.

Es sind die Fakten, zuletzt die Zahlen des ifo-Instituts zum Bau, die nur einen Schluss zulassen: Wenn wir nicht jetzt gegensteuern, dann rutschen wir in eine massive Baukrise mit gravierenden Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft und das Handwerk. Dort ist der Bau ein Schlüsselsektor, in dem mehr als 50 Prozent der Handwerkerinnen und Handwerker arbeiten. Was wir aktuell erleben, das ist nicht lediglich ein Rückgang beim Wohnungsbau, das ist ein Zusammenbruch. Gleichzeitig brauchen wir aber Wohnungen, und es gibt viele Menschen, die Eigentum bilden wollen. Das Bauhauptgewerbe fährt gerade in Höchsttempo auf eine Wand zu, doch es wird bisher nicht reagiert, um diese rasante Abschussfahrt abzubremsen. Für den 25. September haben Kanzler Scholz und Bauministerin Geywitz zu einem Wohnungsgipfel eingeladen. Dieser muss zu einem Baukrisengipfel ausgeweitet werden und auch Wirtschaftsminister Habeck und Finanzminister Lindner müssen teilnehmen: Damit rasch ein bremswirkendes Maßnahmenpaket geschnürt und Entscheidungen unmittelbar getroffen werden können.

Kanzler Olaf Scholz hat den Deutschlandpakt ausgerufen und will Bürokratie abbauen. Sie führen einen Dachdeckerbetrieb. Wie sehr lähmt die Bürokratie ihre Arbeit?

Mir fallen gar keine guten Metaphern mehr ein, weil der Frust in den Betrieben so ungemein groß ist. Die derzeitigen bürokratischen Fesseln verhindern Produktivität und Effizienz. Und noch schlimmer: Die überbordende Bürokratie hält zunehmend junge Menschen davon ab, unternehmerische Verantwortung zu übernehmen. Die Angst vor Formularen und Bürokratie sind Hauptgründe, warum sich junge Meisterinnen und Meister nicht selbstständig machen wollen.

Was müsste jetzt passieren?

Es geht keinesfalls um einen wilden Kahlschlag, sondern um praxistauglichere Regelungen. Vor allem geht es um weniger Vorschriften und Anforderungen, die deutlich über das Ziel hinausschießen in dem vermeintlichen Glauben, unrechtmäßigem Handeln von Betriebsinhabern zuvorkommen zu müssen. Wir müssen das Misstrauen gegenüber der Selbstständigkeit abbauen. Es ist teilweise absurd, was Betriebsinhaber nachweisen müssen. Es macht doch einen enormen Unterschied, ob ich tatsächlich zu schnell fahre, oder ob ich nachweisen muss, dass ich nicht zu schnell gefahren bin. Außerdem müssen wir die Dinge neu denken und digitalisieren. Sie glauben gar nicht, was ich als Dachdeckermeister für Unterlagen abgeben muss, um ein Betriebsmitteldarlehen mit der Bank zu besprechen! Oft muss ich erneut immer wieder dieselben Unterlagen vorlegen, etwa Grundbucheinträge oder Handelsregisterauszüge. Warum gibt es da keinen digitalen Tresor, dem ich Zugriffsrechte geben kann?

Das neue Ausbildungsjahr ist gestartet. Wie steht das Handwerk da?

Wir haben gerade frische Zahlen vom August bekommen. Bei den Ausbildungsverträgen gibt es einen leichten Anstieg, was uns natürlich freut und sicherlich auch Ergebnis der intensiven Nachwuchswerbung im Handwerk ist. Zwischen Januar und August 2023 sind 112.231 neue Ausbildungsverhältnisse eingetragen worden und damit 2,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Andererseits haben uns die Handwerkskammern aber auch rückgemeldet, dass Ende August weiter noch mehr als 30.000 Lehrstellen unbesetzt waren. Das zeigt, unsere Betriebe wollen ausbilden, bieten sehr viele Ausbildungsplätze an, aber es ist für sie nicht einfach, Bewerberinnen und Bewerber zu finden. 

Warum bleiben so viele Stellen unbesetzt?

Einerseits reicht schon rein mathematisch die Zahl der Schulabgängerinnen und -abgänger nicht mehr aus, um alle Stellen zu besetzen, denn nicht nur das Handwerk wirbt um diese jungen Leute. Das hat mit dem demografischen Wandel zu tun. Andererseits spiegelt sich hier das jahrzehntelange Bildungsmantra wider, das Abi und dann ein Studium als Königsweg für beruflichen wie gesellschaftlichen Aufstieg deklariert hat. Die berufliche Bildung wurde vernachlässigt. Bildung als Weg zur Wohlstandsmehrung wurde zu lange mit dem akademischen Weg gleichgesetzt, und dieses Narrativ ist noch immer in den Köpfen der Lehrer, der Eltern und der jungen Menschen. Es ist eine Mammutaufgabe, das wieder zu ändern. Deswegen brauchen wir eine Bildungswende.

Wie schafft man es, junge Menschen in die Betriebe zu bekommen?

Wir müssen zunächst erst einmal wieder akademische und berufliche Bildung gleichermaßen wertschätzen: Für die Zukunftsgestaltung werden berufliche Fachkräfte zwingend gebraucht. Und wir müssen dementsprechend beide Bildungswege gleichwertig behandeln. Daher fordern wir auch eine gleichwertige Ausstattung. Es darf nicht sein, dass wir auf der einen Seite eine sanierungsbedürftige Berufsschule haben und auf der anderen Seite einen bestens ausgestatteten Hörsaal. In beiden Fällen müssen die Ausbildungsbedingungen auf dem neuesten technischen Niveau sein. Ein wichtiges Signal hin zu einer Gleichwertigkeit ist es, dass die Bauministerin inzwischen davon spricht, „junges Wohnen“ für Auszubildende zu verbessern, und nicht länger nur Studentenwohnheime meint.

Bei der Frage nach der Attraktivität eines Berufs geht es oft auch um die Arbeitszeit. Wie blicken Sie auf die Debatte zur Viertagewoche?

Entspannt. Es ist Sache der Betriebe und der Beschäftigten, sich miteinander zu vereinbaren. Und auch jetzt schon können entsprechende arbeitsrechtliche Vereinbarungen getroffen werden. Ich würde mir wünschen, dass das Arbeitszeitgesetz mehr Flexibilität für die individuellen Wünsche zuließe, etwa durch eine wöchentliche und nicht länger tägliche Höchstarbeitszeit. Aber ich halte es mit Blick auf den demografischen Wandel und den Fachkräftebedarf auch für unrealistisch zu glauben, dass wir alle nur noch vier Tage die Woche arbeiten können, ohne dass damit in der Gesellschaft ein Wohlstandsverlust einhergeht.

Vergangene Woche hat der Bundestag nach monatelangem Gezerre das Gebäudeenergiegesetz beschlossen. Herrscht jetzt mehr Klarheit in den Handwerksbetrieben?

Leider nur zum Teil. Zwar ist es ein wichtiger Schritt, dass wir beim GEG jetzt Klarheit haben, aber die brauchen wir eben auch beim Wärmeplanungsgesetz und bei der Förderkulisse. Deshalb ist auch weiterhin ein Zögern am Markt spürbar. Wer sollte sich jetzt für eine Investition in eine Wärmepumpe entscheiden, wenn noch unklar ist, wie am nächsten Tag die Fördersituation ist? Dieser Knoten ist noch nicht gelöst.

Nehmen wir an, er löst sich bald. Wie realistisch ist es, dass die Handwerker im kommenden Jahr 500.000 Wärmepumpen einbauen?

Das hängt nur bedingt von uns ab. Wir sind Auftragnehmer für die Kundschaft, und die richtet sich nach den gesetzlichen Vorgaben. Wenn die Rahmendaten stimmen, wird auch das Handwerk Lösungen finden, um das hinzubekommen. Wir sind in der Lage, die Dinge umzusetzen - wenn es einen Plan gibt, der umsetzbar ist. Der erste Entwurf des GEG war das nicht.

Warum?

Weil er viele Menschen ökonomisch überfordert hätte. Man wollte ökologische Ziele durchsetzen, koste es, was es wolle. Nachhaltigkeit besteht aber nicht nur aus Ökologie, sondern auch aus Ökonomie. Wenn wir ökonomisch über unsere Grenzen hinausgehen, werden wir kein ökologisches Ergebnis mehr erzielen können. Man muss beides zusammendenken. Und man muss schauen, auf welchen Wegen und über welche Technologien sich die größten Einsparungen an CO2 erzielen lassen. Das reine Ziel von 500.000 Wärmepumpen sagt darüber noch nichts aus. Vielleicht schaffen wir im kommenden Jahr "nur" 490.000 Wärmepumpen einzubauen, sanieren aber gleichzeitig viel mehr Häuser energetisch, wodurch ebenfalls CO2 eingespart wird. Es geht darum, was machbar und zielführend ist.

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