Zentralverband des
Deutschen Handwerks
Zentralverband des
Deutschen Handwerks
20.12.2023

Zukunftsgestaltung braucht mehr als gute Vorsätze

Seit 365 Tagen ist Dachdeckermeister Jörg Dittrich neuer ZDH-Präsident. Welche Vorsätze nimmt er für das kommende Jahr mit?
ZDH-Präsident Jörg Dittrich

Das Jahr 2023 war auch für Handwerkspolitik und -vertretung turbulent. Im Interview für das Mitgliedermagazin „Blickpunkt“ der Gebäudedienstleister zieht ZDH-Präsident Dittrich Bilanz seines ersten Amtsjahres und gibt Ausblick auf das kommende Jahr 2024.

Seit 1.1.2023 ist Jörg Dittrich als oberster Repräsentant des Handwerks im Amt, das heißt konkret: im Ehrenamt. Im Hauptamt leitet der 54-jährige gebürtige Dresdner seit bald dreißig Jahren das 1905 gegründete Dachdeckerunternehmen seiner Familie in vierter Generation. Das Unternehmen mit einer Niederlassung in Berlin beschäftigt 65 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Daneben führt Jörg Dittrich in Dresden weitere Unternehmen mit dem Angebot der Komplettsanierung sowie der Dach- und Fassadenbegrünung sowie gemeinsam mit einem polnischen Partner ein Handwerksunternehmen in Breslau. Jörg Dittrich, der neben seinem Meistertitel Diplom-Ingenieur für Hochbau ist, ist verheiratet und hat sechs Kinder. Im BLICKPUNKT-Interview schaut der „Handwerkspräsident“ zurück auf sein erstes Jahr als oberster Repräsentant des ZDH, spricht über die größten Herausforderungen für das Handwerk und über den Austausch mit der Bundespolitik.

Lieber Herr Dittrich, bald liegen 365 Tage Ihres neuen prominenten Ehrenamts als Handwerkspräsident Deutschlands hinter Ihnen. Was war Ihre Erwartung an das Amt – was deckt sich in der Rückschau der ersten 12 Monate davon mit der Realität?

Die Frage würde ich eher andersherum formulieren wollen: Was war und ist die Erwartung des Amtes an mich? Dieses Amt verlangt, dass ich alle Kräfte mobilisiere und alle Hebel in Bewegung setze, um die bestmöglichen Rahmenbedingungen für Handwerkerinnen und Handwerker zu erstreiten. Denn wir wollen unserer Arbeit möglichst unbelastet und möglichst erfolgreich nachgehen können. Von daher betrachte ich mein Amt als Dienstleistung für alle Handwerkerinnen und Handwerker, die jeden Tag in unserem Land anpacken und so wichtige Arbeiten erledigen. Fragen, die ich mir selbst aber natürlich zu Beginn schon auch gestellt habe: Was kann ich in diesem Amt tatsächlich bewegen? Wie werde ich aufgenommen? Und da kann ich nach knapp einem Jahr im Amt sagen: Es ist mir sehr viel ehrliche Wertschätzung der Gesellschaft und der Politik fürs Handwerk entgegengebracht worden. Die habe ich immer wieder gespürt. Und was mich beeindruckt hat: Das war keine gespielte Wertschätzung! Aber – und hier kommen wir zum Wermutstropfen: Trotz dieser großen Wertschätzung des Handwerks und auch von mir als vertretender Person, bleiben weiter extrem dicke Bretter an vielen Stellen zu bohren, um die Wertschätzung dann auch in konkrete politische Aktionen im Sinne des Handwerks umzuwandeln.

Wie erleben Sie die Bundespolitikerinnen und Politiker – ob Regierung oder Opposition – in direktem Austausch: grundsätzlich offen für die Argumente und Anliegen des Handwerks?

Die Politikerinnen und Politiker der Ampelregierung kommen mittlerweile zu uns und fragen, was sie tun können. Aber ich bin mir manchmal nicht so sicher, was dann mit den Antworten passiert. Natürlich ist allen Beteiligten klar, dass das Handwerk eine tragende Säule der deutschen Wirtschaft ist - und ja, auch der Gesellschaft in unserem Land. Und es ist im politischen Berlin inzwischen auch fast schon Allgemeingut, dass das Handwerk für sie unverzichtbar ist, zur Umsetzung politischer Ziele. Die Bedeutung des Handwerks hat somit in den vergangenen Jahren noch einmal zugenommen: durch seine Rolle als Umsetzer der Transformation und damit als ganz wichtiger Schlüssel für deren Gelingen. Und trotzdem müssen wir immer wieder mächtig trommeln, damit die spezifischen Belange der ja zumeist kleinen und mittleren Betriebe bei den Gesetzesvorhaben berücksichtigt werden.

Warum ist das so?

Die Lippenbekenntnisse zum Handwerk bedeuten nicht automatisch, dass auch im Sinne des Handwerks politisch gehandelt wird. Da können wir nicht locker lassen und haben häufig damit zu tun, auf Nachbesserung hinzuwirken. Das gelingt uns dann aber auch immer wieder - wie etwa beim Gebäudeenergiegesetz oder beim Strompreispaket. Oder im Fall des Bündnisses für bezahlbaren Wohnraum, das wir in einen Baukrisengipfel umgewidmet haben. Insofern: Ja, die Politikerinnen und Politiker sind durchaus offen für die Argumente und Anliegen des Handwerks, aber im Regelfall muss man trotzdem massiv Einfluss nehmen, um bei der Umsetzung von Ankündigungen der Politik nicht vergessen zu werden.

Was sicherlich viele nicht wissen: Ihr Bruder ist studierter Musiker und seit 2013 Generalintendant am Theater Chemnitz. Wie groß ist der Anteil von Theater, Inszenierung und Schauspiel in der Politik eigentlich?

Natürlich sind Politiker auf öffentliche Wahrnehmung angewiesen und wollen gut „inszeniert“ dastehen. Wie soll der Wähler sonst von den Aktivitäten der Politik erfahren. Das halte ich nicht für prinzipiell schlecht. Es darf nur nicht bei der Inszenierung und theatralischer Übertreibung bleiben, sondern muss auch zu Ergebnissen führen. Mehrheitlich spüren die Menschen deutlich, wer authentisch und ehrlich an den Themen arbeitet. Es geht nicht um die lauteste, populistischste Parole, sondern um den besten Weg und die richtigen Ziele für unser Land. Da gibt es natürlich einen Wettbewerb zwischen den Parteien. Im Übrigen versuchen auch wir als Handwerk in einem positiven Licht gesehen zu werden. Das ist das Ziel unserer erfolgreichen Imagekampagne. Eine gewisse Extrovertiertheit ist auch für sonst zurückhaltende Handwerkerinnen und Handwerker nötig. Wie sonst soll die Gesellschaft und Kundinnen und Kunden von unseren besonderen Leistungen in Innungen, Verbänden und Kammern erfahren?

Die Bundesregierung, mit der Sie in der Praxis konkret interagieren müssen, wirkt rund zwei Jahre nach dem mit Spannung erwarteten Start der sogenannten „Ampel“ zunehmend unharmonisch – ob inhaltlich oder im öffentlichen Bild. Teilen Sie diese Einschätzung?

Es ist leider offensichtlich, dass sich die Ampelparteien mit den internen Streitigkeiten oft selbst blockieren. Es ist aber auch ein Problem der öffentlichen Kommunikation, denn ein gemeinsamer Standpunkt und gemeinsame Beschlüsse einer Koalition entstehen immer durch Kompromisse und lange Diskussionen. Diese Diskussionen sind sicher in jeder Koalition mühsam, gehören aber zur DNA einer Demokratie. Aber idealerweise werden die gemeinsamen Standpunkte erarbeitet, bevor davon etwas an die Öffentlichkeit dringt. Da hakt es schon massiv bei der Ampel. Und nach dem Schuldenurteil des Bundesverfassungsgerichts ist schon zu konstatieren, dass das Regierungshandeln zu einer neuen Dimension der Verunsicherung und Unruhe bei den Menschen und damit auch in den Handwerksbetrieben geführt hat.
 
Unterm Strich: Was hat die „Ampel“ im Sinne des Handwerks gut, was weniger gut gemacht?

„Mehr Fortschritt wagen“: Unter diesem Motto ist die Ampel vor zwei Jahren angetreten. Der Halbzeit-Rückblick zeigt, dass auf den für das Handwerk wichtigen Feldern trotz großer Ankündigungen keine durchgreifenden Fortschritte erzielt worden sind. Zwar hat die Ampel einige Projekte auf den Weg gebracht, beispielsweise die Weiterentwicklung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes. Aber statt großer Fortschritte sind es insgesamt dann doch eher kleine und zaghafte Schritte. Die Schritte sind auch nicht angemessen im Angesicht der uns alle erfassenden Krisen. Insgesamt hat die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland schwere Einbußen hinnehmen müssen. Hier muss entschlossen nachgesteuert werden. Es ist wieder „Agenda-Zeit“, vonnöten ist das „neue Deutschland Tempo“ - wie der Bundeskanzler es benannt hat. Die Überschrift ist nicht entscheidend. Aber es muss losgehen! Die Menschen erwarten Orientierung und Planungssicherheit.

Bei welchen Themen muss die Bundespolitik zwingend mehr Tempo machen? Was sind Ihre größten handwerkspolitischen Anliegen und Baustellen für 2024?

Das Handwerk und mit ihm der gesamte Mittelstand als Rückgrat der deutschen Wirtschaft brauchen eine mittelstandsfreundliche Standortpolitik. Das heißt: bezahlbare, verlässliche und wettbewerbsfähige Energiepreise, deutliche bürokratische Entlastungen, eine wettbewerbsfähige Steuerbelastung und eine ganz entschlossene Digitalisierung. Und wir brauchen endlich die gesetzliche Gleichstellung von akademischer und beruflicher Bildung. Der Ankündigung, echten Fortschritt zu wagen, müssen dringend Taten folgen. Taten, die die Handwerksbetriebe und die Wirtschaft in Deutschland stärken und sie rüsten für die großen Aufgaben der Zukunft.

Als Bundesinnungsverband des Gebäudereiniger-Handwerks haben unserer Unternehmen in unserer jährlichen Herbst-Konjunkturumfrage ihre deutliche Sorge geäußert, dass das Bürgergeld der „Ampelkoalition“ zunehmend in Konkurrenz zum Lohnerwerb tritt oder treten könnte. Teilen Sie diese Einschätzung?

Es muss klar sein, dass das Bürgergeld keine Wahlleistung ist, sondern eine Sozialleistung, an die Mitwirkungspflichten geknüpft sind. Es ist eine Utopie zu glauben, dass alle Menschen gut sind und auch ohne Leistungsanreiz immer ihr Bestes geben. Daran ist übrigens schon der Sozialismus gescheitert.

Haben Sie in Ihrem Betrieb bereits eigene Erfahrung damit machen müssen, dass Bewerberinnen oder Bewerber Lohn und Bürgergeld vergleichen und eine Stelle zum Beispiel nicht annehmen wollen. Oder gar, dass Beschäftigte Ihr Unternehmen aufgrund des Bürgergeldes verlassen oder verlassen wollen?

Ich spreche für das Gesamthandwerk und bin prinzipiell der Ansicht, dass wir uns als Gesellschaft nicht an den Schwächsten abarbeiten sollten. Als Präsident vertrete ich die Interessen des Handwerks in Deutschland, und für das Handwerk muss sich Arbeit lohnen. Ich kenne viele Fälle, bei denen Betriebe niemanden mehr finden, der einfache Arbeiten übernimmt und bei denen im Bewerbungsgespräch der Lohn mit dem Bürgergeld verglichen wird. Aber wie gesagt: Das Bürgergeld ist keine Wahlleistung!

Wie begegnen Sie der aktuellen Stimmungslage in Deutschland?

Wir werden gute Lösungen für die Herausforderungen finden! Deutschland ist wirtschaftlich stark, wir sind innovativ und das Beharrungsvermögen der Menschen, den eigenen Wohlstand zu halten, ist groß und wird sie motivieren, alles dafür zu tun, dass das so bleibt. Ganz wichtig: Wir brauchen jetzt ein positives Narrativ für die Gesellschaft und gute Entscheidungen für unser Land.

Letzte Frage, lieber Herr Dittrich: Sie sind verheiratet und haben sechs Kinder – wie sieht das Weihnachtsfest im Hause Dittrich konkret aus? Volles Haus, laut und trubelig?

Ja, genau so: volles Haus, laut und trubelig. Strahlende Kinderaugen sind der Lohn für viele Momente der gefühlten und tatsächlichen Überforderung des Alltags. Wir werden die gemeinsame Zeit genießen, denn sie ist letztlich rar gesät.

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