Wohnortnahes Handwerk in Innenstädten als Nachhaltigkeitsbaustein
„Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit sind beides große Themen, die das Handwerk längst betreffen und in den nächsten Jahrzehnten noch vermehrt beschäftigen werden. Das kann viele Chancen bieten, wenn der Rahmen auch bürokratiearm und mittelstandsgerecht gesetzt wird. Wir können und wollen weder Industrialisierung noch Globalisierung zurückdrehen, aber die Bedeutung und Wertschätzung handwerklich regional produzierter und reparierter Produkte wird wieder steigen“, so ZDH-Referatsleiter Dr. Carsten Benke im Expertengespräch zusammen mit Steffen Braun vom Fraunhofer IAO und Dr. Eva Stüber von IFH Köln für das Projekt „Stadtlabore für Deutschland: Leerstand und Ansiedlung“. Im folgenden zu lesen die Gesprächsbeiträge von Dr. Carsten Benke.
Handel und Gastronomie galten als die Zugpferde der Innenstadt. Wie wird das zukünftig sein?
Das werden sie auch weiterhin sein, aber sicherlich nicht in dem Maße, wie in den letzten Jahrzehnten. Es müssen weitere Nutzungsanlässe und Angebote hinzukommen, um die Attraktivität der Innenstädte zu stärken. Auch historisch betrachtet waren Innenstädte ja durchaus sehr vielfältige Orte, in denen Handel, Verwaltung aber auch Produktion und unterschiedlichste Dienstleistungen zusammenkamen – vielleicht geht es – in anderer Form als früher – wieder mehr in diese Richtung.
Welchen Beitrag können weitere Anbieter liefern? Welche Rahmenbedingungen sind beispielsweise dafür nötig, dass mehr Handwerksbetriebe mit Showrooms o. ä. in der Innenstadt zu finden sind?
Auch heute haben die Ladenhandwerke weiterhin in den Einkaufsstraßen eine wichtige Funktion: Die Lebensmittelgewerke, seien es Bäcker, Fleischer, Konditoren, Eishersteller und Brauer, oder die handwerklichen Dienstleister wie Textilreiniger, Uhrmacher, Juweliere, Friseure sowie Gesundheitshandwerke wie Optiker, Hörakustiker, Orthopädieschuhmacherund Sanitätshäuser. Die Vielfalt ist allerdings nicht mehr so ausgeprägt wie früher, aber das könnte sich durchaus wieder entwickeln. Die Nachfrage nach regionalen Lebensmitteln oder Reparaturdienstleistungen im Sinne der Nachhaltigkeit beispielsweise hat ein großes Wachstumspotenzial und die älter werdende Gesellschaft benötigt wohnortnahe Angebote vor Ort. Auch für andere Gewerke könnte es spannend sein, mit Werkstätten, Show Rooms und Manufakturen wieder mehr ins Zentrum zu rücken. Zum Beispiel im Bereich Mobilität und Klimaschutz. Vielleicht nicht in einer 1A-Lage, aber ergänzend im weiteren Innenstadtbereich. Wenn wir über die Themen Nachhaltigkeit und Energie nachdenken: Warum nicht auch das Beratungsangebot eines Heizungsinstallateurs oder Elektrikers in die Innenstadt integrieren?
Ich würde gerne nochmal auf die Rahmenbedingungen zurückkommen: Für das Handwerk ist das Preis-/Kosten-Thema vor allem mit Blick auf die Mieten sehr relevant. Wenn Innenstädte in ihrer Gesamtheit resilienter und vielfältiger werden sollen, müssen Immobilienbesitzer in manchen Fällen auch von gewohnten Preisvorstellungen wegkommen. Und auch auf die Nutzung von Gewerbeflächen muss differenzierter geschaut werden. Die Anforderungen des Handwerks sind vielfach andere als im Handel. Hierauf müssen Kommunen im Zweifel auch baurechtliche, bauliche und stadtplanerische Antworten finden. Zudem gilt es, Nachbarschaftskonflikte zu vermeiden. Das Handwerk wird moderner und digitaler, aber ein 3D-Drucker ergänzt und ersetzt nicht immer die Kreissäge. Nicht alles geht überall: Zwischen dem Uhrmacher und dem Tischler gibt es ein breites Spektrum. Aber grundsätzlich ginge in den Innenstädten an jeweils geeigneten Stellen mit innovativen Ideen, baulichen Vorkehrungen und guter städtebaulicher Organisation viel mehr, als sich manche vorstellen können. Vielfach fehlt der Mut.
Vor allem für jüngere Zielgruppen spielt Nachhaltigkeit eine immer größere Rolle. Stichwort Zielbild nachhaltige Stadt: Wie können Kreislaufsysteme aufgebaut werden?
Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit sind beides große Themen, die das Handwerk längst betreffen und in den nächsten Jahrzehnten noch vermehrt beschäftigen werden. Das kann viele Chancen bieten, wenn der Rahmen auch bürokratiearm und mittelstandsgerecht gesetzt wird. Wir können und wollen weder Industrialisierung noch Globalisierung zurückdrehen, aber die Bedeutung und Wertschätzung handwerklich regional produzierter und reparierter Produkte wird wieder steigen. Die früher selbstverständlichen Wege zum Schuster oder zum Schneider und zukünftig für die Reparatur von Elektro- und Haushaltsgeräten zum Elektriker sind Bausteine der modernen Nachhaltigkeit, die sich in neuer Form in den Quartieren weiterentwickeln können. Dadurch würde das bestehende Angebot wieder stärker durch lokale Nachhaltigkeitsstrukturen ergänzt. Das hat großes Potenzial.