Zentralverband des
Deutschen Handwerks
Zentralverband des
Deutschen Handwerks
04.10.2022

"Wir brauchen mittelstandsgerechte Zuwanderung"

Das Handwerk braucht Fachkräfte aus dem Ausland, betont ZDH-Präsident Wollseifer bei der Mediengruppe Bayern.
Junger Mann arbeitet an einem elektronischen Gerät mit Kabeln.

"Seit Einführung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes vor drei Jahren kommen leider weniger Fachkräfte aus dem Ausland, als wir uns davon versprochen hatten. Da hat natürlich Corona seinen Anteil, aber es wurde auch versäumt, den Zugang zum Arbeitsmarkt weiter zu erleichtern. Ausländerbehörden müssen zu Willkommenscentern werden", fordert ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer gegenüber Dr. Thomas Vitzthum von der Mediengruppe Bayern.

Welche Betriebe haben wegen der aktuellen Preisentwicklung schon aufgegeben?

Bäckereien, Fleischereien, Konditoren, Brauer, Textilreiniger und Galvaniseure, Feinmechaniker sind die Handwerke mit den aktuell größten Problemen, da sie sehr energieintensiv sind. Gerade von Oberflächenveredlern und aus dem Nahrungshandwerk bekommen wir täglich Meldungen, dass Betriebe aufgeben. Da kommt einfach einiges zusammen: die hohen Energiepreise und die Kaufzurückhaltung der Kunden. Neben den hohen Preisen spielt auch die Psychologie eine entscheidende Rolle. Betriebsinhaber – gerade solche kurz vor der Betriebsübergabe - sagen sich: Sie haben die Wende, die Finanzkrise, Corona überstanden und nun sollen sie schon wieder die nächste und noch größere Krise bewerkstelligen. Einigen geht da die Luft aus. Denen fehlt die Perspektive – zumal es auch an Nachwuchs mangelt.

Was heißt das?

Es gibt rund 125.000 Betriebe, die in den nächsten fünf Jahren Betriebsnachfolger finden müssen. Vor die Entscheidung gestellt, sich darum kümmern zu müssen oder zuzumachen, fällt eine solch existenzielle Krise umso stärker ins Gewicht. Und eines wissen die Inhaber: Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind begehrt. Wer zumacht, der kann davon ausgehen, dass die Mitarbeiter schnell was Neues finden. Das geht manchmal innerhalb von Tagen. Denn Krise hin oder her: Wir haben auch weiter einen Fachkräftemangel. Das führt dazu, dass keine Dachdeckerin, kein Installateur, kein Gebäudedämmer, keine Bäckerin und kein Brauer lange ohne Beschäftigung bleiben. 

Nun soll es einen Gaspreisdeckel geben. Wird der helfen?  

Der Abwehrschirm ist ein außerordentlich wichtiges und gutes Signal, das zeigt: Die Regierung hat das Problem verstanden. Die bisherigen Entlastungspakete haben das Handwerk und vor allem dessen energieintensiven Gewerke nicht ausreichend berücksichtigt. Mit der Gaspreisbremse ist für viele Betriebe wirklich wieder eine Perspektive da. Das Volumen von 200 Milliarden ist enorm. Aus dem Paket darf aber nicht nur die Gaspreisbremse finanziert werden. Wir brauchen für viele Betriebe auch direkte Soforthilfen. Die Kosten sind ja schon länger da, viele können bereits nicht mehr. Es zählt jeder Tag. Wir brauchen die Auszahlung möglichst noch im Oktober. Bis das Gesetz den Gaspreis dämpft, vergeht zu viel Zeit.

Habeck fürchtet, dass viele wegen des Deckels nicht ausreichend Gas sparen. Teilen Sie diese Befürchtung?

Nein, das teile ich nicht. Es ist bei den Betrieben angekommen, dass nicht alles vollständig ausgeglichen werden kann. Und Betriebe überlegen, wo sie Energie einsparen können: Von Bäckereien habe ich gehört, dass sie eben nicht mehr ein Dutzend, sondern vielleicht nur noch ein halbes Dutzend verschiedener Brote anbieten, um so effizienter die Öfen zu nutzen. Man kann was bei den Öffnungszeiten machen. Die Kunden werden dafür Verständnis haben.

Die Regierung hat ein Belastungsmoratorium angekündigt. Das soll vor allem Bürokratieentlastung bringen. Reicht das?

Das greift zu kurz. Sicherlich ist Bürokratie-Entlastung für unsere Betriebe wichtig und ein großes Thema, sie wird leider oft versprochen und selten eingehalten. Doch die Betriebe drückt der Schuh an einer anderen Stelle noch stärker. Ausgerechnet in dieser Zeit, wo es um jeden Euro geht, müssen die Betriebe ab 1. Januar 2023 deutlich mehr Sozialabgaben entrichten. Der Zusatzbeitrag bei der Krankenversicherung steigt um 0,3 Prozent, den schultern Arbeitgeber und Arbeitnehmer hälftig. Das sind für unsere Betriebe aber 2,5 Milliarden Euro Kosten zusätzlich. Um 0,2 Prozent steigt der Arbeitslosenbeitrag und die  Pflegeversicherung wird voraussichtlich ebenfalls um 0,3 Prozent erhöht. Wir gehen also mit einem Schwung über die 40 Prozent Marke bei den Sozialabgaben drüber – und damit über die von uns schon seit Jahren als rote Linie genannte Belastungsgrenze. Wir fordern, davon Abstand zu nehmen. Die Erhöhung des Zusatzbeitrages darf nicht kommen. Die kleinen und mittleren Betriebe trifft das ja wieder am stärksten. Denn sie geben oft deutlich mehr als die Hälfte ihrer Kosten für Personal aus. In einem großen Industriebetrieb fällt das nicht so ins Gewicht. Diese zusätzlichen Sozialabgaben sind Gift für unsere überwiegend kleinen und personalintensiven Handwerksbetriebe.

Die Regierung beschloss am Freitag die Möglichkeit, dass die Unternehmen 3000 Euro steuerfrei an die Mitarbeiter als Hilfe zahlen können. Werden Sie das in ihrem Betrieb tun?

Ich werde das machen. Allerdings muss es die Option geben, die 3000 Euro auf drei Jahre zu verteilen. Viele Betriebe wollen ihren Leuten helfen. Aber mal eben - und zumal im derzeit schwierigen Umfeld - jedem 3000 Euro zu zahlen, das ist eine Menge Geld, und das wird für viele stark belastete Handwerksbetriebe in der jetzigen Zeit nicht möglich sein.

Ginge es im Handwerk noch ohne Zuwanderer?

Nein. Wir brauchen Fachkräfte aus dem Ausland. Leider kommen seit Einführung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes vor drei Jahren weniger, als wir uns davon versprochen hatten. Da hat natürlich Corona seinen Anteil, aber es wurde auch versäumt, den Zugang zum Arbeitsmarkt weiter zu erleichtern. Ein Beispiel: Wenn Menschen vom Balkan nach Deutschland wollen, kann es Jahre dauern, bis sie ein Visum bekommen. Wir brauchen diese Arbeiter vom Balkan aber dringend vor allem im Baugewerbe. So gäbe es mangels deutscher Facharbeiter ohne Eisenbieger vom Balkan keinen Betonbau mehr. Die Ausländerbehörden handeln zu oft als Ausländerabwehrbehörden. Doch das müssen Willkommenscenter werden. Diesen Geist erlebe ich leider noch in viel zu wenigen Ämtern.

Sind die Handwerksbetriebe jene, die die größte Integrationsleistung erbringen?

Bei der Ausbildung uneingeschränkt Ja. Wir bilden fast die Hälfte der aus den acht häufigsten Asylherkunftsländern Geflüchteten aus, die in Deutschland eine Ausbildung machen. Das Handwerk ist prädestiniert für Integration. Die Betriebe sind oft klein, man kennt sich, man kennt die Probleme, die sprachlichen Barrieren, man hat füreinander Zeit. Oft gibt es aber sprachliche Probleme, weshalb dann einige Schwierigkeiten haben, die Fachtheorie in der Berufsschule zu verstehen. Es würde enorm nützen, wenn hier mehr Hilfe angeboten würde.

Können die jungen Leute, egal welcher Herkunft, generell genug?

Ich halte nichts vom Bashing der Jugend von heute. Wir haben nur diese Jugend. Und wir sind es, die sie erzogen hat. Die Jugendlichen sind, wie sie sind. Und es sind vor allem viel zu wenige, die Zahl der Schulabgänger nimmt seit Jahren ab. Und aus dieser kleiner werdenden Gruppe studiert die Mehrheit. Leider scheitern dann viele: Mehr als 100.000 junge Menschen brechen jedes Jahr ihr Studium ab. Im Handwerk wären viele von Beginn an gut aufgehoben gewesen, hier bieten sich ihnen gute Perspektiven. Wir haben aktuell noch immer 30.000 freie Ausbildungsstellen. Die sind noch zu haben, auch jetzt kann immer noch mit einer Ausbildung begonnen werden. Ich kann nur ermuntern, sich zu bewerben. Jugendlichen muss Ausbildung aber auch wieder attraktiv erscheinen. Das ist wegen des jahrzehntelangen Bildungsmantras vom Abi und Studium als Bildungskönigsweg verloren gegangen. Da braucht es den politischen Anstoß. Doch Politik tut noch immer zu wenig für die berufliche Bildung – sei es ideell wie auch finanziell. Die berufliche Bildung ist noch immer das Stiefkind der Politik. Und das ist fatal. Denn wer soll denn die Klimawende, die Mobilitätswende, die Versorgung der älter werdenden Gesellschaft schaffen? Für alles braucht man qualifizierte Handwerkerinnen und Handwerker. Das muss endlich in die politischen Köpfe.

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