Zentralverband des
Deutschen Handwerks
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Deutschen Handwerks
12.09.2022

Tausende Arbeits- und Ausbildungsplätze stehen auf dem Spiel

Wegen der Energiekrise stehen im Handwerk tausende Arbeits- und Ausbildungsplätze auf dem Spiel, warnt ZDH-Präsident Wollseifer in der "Rheinischen Post".
Zwei Auszubildende arbeiten an einer Drehbank.

"Mich erreichen täglich Notrufe von Betrieben, die ihre Produktion bereits einstellen müssen oder kurz davor sind. Bei Bäckereien, Galvaniseuren und anderen stehen tausende Arbeits- und Ausbildungsplätze auf dem Spiel. Die Hilfe, die die Bundesregierung ins Paket geschrieben hat, ist nicht zielgenau und kommt vor allem nicht schnell genug", so ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer zu Birgit Marschall von der "Rheinischen Post".

Die Bundesregierung hat wegen der hohen Energiekrise ein 65-Milliarden-Entlastungspaket geschnürt. Sind Sie zufrieden?

Ich sehe das Paket zwiespältig. Es wird zwar richtigerweise viel für die Bürger getan. Aber die vielen kleinen und mittleren und hier ganz besonders die energieintensiven Betriebe können nicht zufrieden sein. Mich erreichen täglich Notrufe von Unternehmen, die ihre Produktion bereits einstellen müssen oder kurz davor sind. Bei Bäckereien, Galvaniseuren und anderen stehen tausende Arbeits- und Ausbildungsplätze auf dem Spiel. Das hat die Politik noch nicht auf dem Schirm. Die Hilfe, die die Bundesregierung ins Paket geschrieben hat, ist nicht zielgenau und kommt vor allem nicht schnell genug. Wie haben aber keine Zeit mehr. Da rollt gerade eine Insolvenz-Welle auf uns zu.

Welche Instrumente könnten schnell wirken?

Wir brauchen eine Energiepreisbremse schon beim Großhandel. Außerdem brauchen wir eine gezielte Förderung für energieintensive Betriebe, die dann trotzdem noch überfordert sind. Das müssen Direkthilfen des Staates für diese besonders betroffenen Betriebe sein.

Nach Ausbruch der Corona-Pandemie Anfang 2020 war man schnell, jetzt bei der Gas-Krise aber nicht.

Bei Corona hat die Regierung vor allem zu Beginn sehr, sehr schnell reagiert. Man hat auf die Wirtschaft gehört. Das ist jetzt nicht der Fall.

Wie erklären Sie sich das?

Weil die Regierung gerade sehr damit zu tun hat, Deutschlands Energieversorgung sicherzustellen. Außerdem schaut sie vor allem auf die Bürger, damit der soziale Frieden erhalten bleibt. Aber dazu gehört eben auch, die Arbeitsplätze zu erhalten und die Betriebe zu retten.

Eine Energiepreisbremse beim Großhandel – wie stellen Sie sich das vor?

Der Staat muss die Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis schon auf der Stufe des Großhandels bezahlen. Andere Länder in Europa machen uns das vor, zum Beispiel Spanien. Das würde den Staat natürlich enorme Summen kosten, aber eine solche Energiekostenabfederung ist nötig.

Ist die Schuldenbremse 2023 dann noch haltbar?

Die Frage ist, ob man die Schuldenbremse unter diesen Krisen-Bedingungen wirklich prioritär behandeln muss. Wir haben eine Mehrfach-Betroffenheit der Wirtschaft. Die Energieversorgung ist teurer und nicht mehr sicher. Dazu hatten wir zwei Jahre Corona, die kleinen und mittleren Betriebe haben keine Rücklagen mehr. Hinzu kommt jetzt die enorme Inflation. Da muss der Staat einspringen und unterstützen mit kreditfinanzierter Staatshilfe, wenn er nicht möchte, dass zigtausende Arbeitsplätze verlorengehen. 

Wie tief wird diese Krise, die da auf uns zukommt?

Bäckereien, Textilreiniger, Galvaniseure, Metallbauer  – die haben kurzfristige Energielieferverträge, zahlen jetzt schon das Mehrfache von dem, was sie vorher bezahlen mussten, oder sie laufen 2023 auf das Acht- oder Zehnfache der bisherigen Preise zu. Am Bau haben wir die stark erhöhten Preise und Zinsen. Die Bauaufträge gehen in einer Geschwindigkeit zurück, wie sich der Bau das nicht hätte träumen lassen.

Der Wirtschaftsminister dreht am Atomausstieg und will zwei AKWs, die am Jahresende abgeschaltet werden sollten, in eine Notreserve geben. Wie bewerten Sie das?

Das Handwerk ist grundsätzlich nachhaltig. Aber wir müssen über diesen Winter rüberkommen. Wir müssen alles tun, um Energie einzusparen, jeder Betrieb, jeder Bürger. Jede eingesparte Kilowattstunde zählt. Aber dann kommt es auch auf jede Kilowattstunde Strom an, die wir produzieren können. Wir müssen die Angebotsseite stärken und dazu gehören dann auch die drei letzten Kernkraftwerke. Die sollten wir in dieser schwierigen Phase laufen lassen – mindestens in diesem Winter, wohl auch noch im nächsten. Danach sollten die Akws dann aber definitiv abgeschaltet werden.

Wirtschaftsminister Habeck war zu Beginn ein Liebling auch der Wirtschaft. Wendet sich das Blatt gerade?

Anfangs war bei der neuen Regierung die Rede vom Fortschritt, von Transformation. Wir alle wollten aus dem Krisenmodus raus in einen Zukunftsmodus. Robert Habeck hat das gut kommuniziert. Da wurde er sehr positiv gesehen. Dann hat er an der ein oder anderen Stelle wie etwa bei der Gasumlage Fehler gemacht. Und zudem hat er das Pech, dass er nur noch negative Themen hat. Dass man dann nicht von allen Streicheleinheiten bekommt, kann man sich vorstellen.

Droht die Bekämpfung des Fachkräftemangels jetzt hinten runterzufallen?

Die Gefahr besteht, aber das darf keinesfalls passieren. Wir im Handwerk jedenfalls schieben das immer wieder in den Vordergrund, weil die Fachkräftesicherung für den Erhalt unseres Wohlstands elementar ist. Durch Corona haben wir zwei, drei Jahre verloren.

Hilft es, dass Frührentner ab 2023 so viel hinzuverdienen können, wie sie möchten? Wird das mehr Ältere im Job halten?

Ich finde den Schritt grundsätzlich zwar gut. Man sollte aber bedenken, dass eine solche Regelung auch den Anreiz schaffen könnte, vorzeitig in Rente zu gehen, um mit Rente und Hinzuverdienst finanziell am Ende besser dazustehen.

Ausländische Fachkräfte sollen verstärkt angeworben werden. Wie finden Sie das?

Das ist eine gute Idee, wir unterstützen das. Es geht um eine zügige Umsetzung. Und da hapert es gewaltig. Überall verhindert deutsche Bürokratie, Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen. Da wird an so vielen Stellen in den Behörden gebremst. Das fängt schon an bei der Visa-Erteilung, die in manchen Ländern bis zu zwei Jahre dauert. Das geht weiter mit der Erteilung von Aufenthaltsgenehmigung, der Arbeitserlaubnis.

Was halten Sie vom Bürgergeld-Konzept der Regierung?

Langzeitarbeitslose brauchen Unterstützung, um wieder in Arbeit zu kommen. Das gewährleistet das Bürgergeld-Konzept nicht ausreichend, daher finden wir es nicht gut. Denn es sorgt für Demotivation bei denjenigen, die mit einem geringen Gehalt regulär arbeiten. Am unteren Ende verschwimmen immer mehr die Grenzen zwischen regulärer Arbeit und dem Bürgergeld. Viele fragen sich, warum soll ich morgens um 7 Uhr schon arbeiten, wenn derjenige, der das Bürgergeld bezieht, fast das Gleiche bekommt. Die Verbesserungen für die Bezieher beim Schonvermögen, der Wegfall von Sanktionen, die deutliche Anhebung des Regelsatzes, die komplette Übernahme der stark gestiegenen Heizkosten – all das wird dazu führen, dass sich für mehr Menschen als bisher das Nicht-Arbeiten mehr lohnt als das Arbeiten.

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