Zentralverband des
Deutschen Handwerks
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Deutschen Handwerks
09.11.2023

Es ist wieder Agenda-Zeit!

Angesichts konjunktureller Risikofaktoren und struktureller Standortschwächen sieht ZDH-Präsident Dittrich im Interview mit Karl Schlieker ("Wiesbadener Kurier") Agenda-Bedarf und fordert zukunftsfähige Reformen.
Handwerker mit Schutzausrüstung bei Fassadenarbeiten.

Herr Dittrich, die Zinsen sind rasant gestiegen. Was bedeutet das für die Baubranche? 

Weder Bauträger noch Wohnungsgenossenschaften oder kommunale Gesellschaften beginnen momentan mit dem Neubau von Wohnungen. Die Baufinanzierungen sind um deutlich mehr als die Hälfte zurückgegangen. In der Regel erfolgt der Baustart nach Kreditzusagen. Wenn die derart einbrechen, dann ist das alarmierend. Wir erleben den Zusammenbruch des Wohnungsbaus. Allerdings sind die Baufinanzierungen nicht allein wegen der hohen Zinsen rückläufig, sondern es macht die toxische Mischung aus Zinserhöhung, steigenden Baukosten und allgemeiner Verunsicherung potenzieller Bauherren.

Wie reagieren die Betriebe?

Betriebe können ihre Beschäftigten im Winter in saisonale Kurzarbeit schicken, was vielerorts bereits passiert. Aber nach deren Ende am 31. März ist – beginnend mit dem Hochbau - ein böses Erwachen zu befürchten. Das Jahr 2024 wird der Knackpunkt für die weitere Entwicklung am Bau sein. Kapazitäten drohen dort wegzubrechen. Sie werden aber für die energetische Gebäudesanierung sowie den Bau von Infrastruktur und Wohnungen benötigt.

Wie entwickeln sich die Baukosten?

Auch wenn ich Verbraucherinnen und Verbrauchern gerne anderes in Aussicht stellen würde: Die Baukosten werden weiter steigen. Neben den allgemeinen Kostensteigerungen etwa bei Materialien, Energie und Löhnen kommt noch die CO2-Bepreisung hinzu. Es gibt kaum Produkte, die mehr CO2-Zertifikate benötigen als Zement und Stahl. Und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen nicht nur aus Wettbewerbsgründen fair entlohnt werden. Um die Zinssteigerung aufzufangen, müssten die Baukosten aber eigentlich um ein Drittel sinken.

Was sind die Konsequenzen?

Angesichts der steigenden Baupreise und der hohen Zinsen gibt es nicht mehr genügend Menschen, die sich eine Immobilie leisten können. Die notwendigen Preiserhöhungen kann man am Markt praktisch nicht durchsetzen. Das ist ein Teufelskreis. Wir rutschen in eine Unbezahlbarkeit von Leistungen, die zu den Grundbedürfnissen der Menschen gehören. Gleichzeitig befeuern steigende Mieten dann die Inflation.

Was muss geschehen?

Um den Wohnungsbau anzuschieben, brauchen wir deutlich attraktivere Konditionen in den wohnwirtschaftlichen Programmen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), insbesondere durch Zinsvergünstigungen. Notwendig wären dafür deutlich mehr Mittel als bisher.

Was bringen die beschlossenen Programme des Bundes?

Beim 14-Punkte-Programm, das beim Baukrisentreffen beschlossen wurde, fehlt ein konkreter Zeitplan. Zudem sind die Zuständigkeiten nicht geklärt. Es soll beispielsweise eine Öffnungsklausel für die Grunderwerbssteuer geben. Dafür fehlt aber die notwendige Zustimmung des Bundesrats. Einige Bundesländer fordern, dass der Bund zuvor die Einnahmeausfälle ausgleichen muss.

Reichen die Maßnahmen aus?

Die Bundesregierung plant Sonderabschreibungen für den Neubau. Und die zunächst geplanten schärferen Energiestandards werden verschoben. Das alles wird aber nicht reichen.

Was erwartet das Handwerk von der Bundesregierung?

Wir sind als Wirtschaftsstandort insgesamt nicht wettbewerbsfähig. Das sehen wir bei Steuern, Abgaben, Sozialversicherungssystemen, Bürokratie, Digitalisierung und Energiepreisen. Es ist wieder Agenda-Zeit – wie im Jahr 2005. Gern können wir das dann auch Deutschland Pakt nennen.

Hält das Bürokratieentlastungsgesetz, was der Name verspricht?

Noch liegt außer vielen Ankündigungen kein konkreter Entwurf auf dem Tisch. Es ist aber gut, dass es nun endlich losgehen soll, denn die überbordende Bürokratie schlägt bei den Betrieben gewaltig ins Kontor. So fehlen die einfachsten digitalen Hilfen beispielsweise bei der Beantragung von Betriebsmitteldarlehen. Teilweise sind die Vorschriften absurd. Beispielsweise muss man als Dachdecker eine Gefährdungsanalyse machen, was passiert, wenn diese Arbeit eine Schwangere ausüben würde. Und das muss auch dann gemacht werden, wenn gar keine Frauen an der Stelle arbeiten.

Entspannt sich der Fachkräftemangel mit der Krise am Bau?

Wir gehen momentan davon aus, dass im gesamten Handwerk rund 250.000 Stellen unbesetzt sind. Und der Bedarf wird weiter sehr hoch bleiben, weil das Handwerk für alle Transformationsaufgaben etwa beim Klimaschutz, der Energie- und Mobilitätswende unverzichtbar ist. Wenn am Bau Kapazitäten abgebaut werden sollten, werden die später fehlen.

Was kann die Branche tun?

Wir müssen den Beschäftigten wettbewerbsfähige Löhne zahlen. Junge Leute wünschen sich zudem eine Aufstiegsperspektive. Und die Politik muss für eine Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung sorgen.

Vielen geht es ja auch um eine bessere Work-Life-Balance?

Es ist eine Wohlstandsfrage, dass die junge Generation es sich leisten kann, auf die Work-Life-Balance zu schauen. Wer glaubt, dass der Wohlstand erhalten bleibt, wenn wir bei vollem Lohnausgleich alle vier Tage arbeiten, der irrt. Ich kenne in der Praxis viele Betriebe, die ihre eigenen Lösungen finden. Baumontagefirmen versuchen beispielsweise, ein verlängertes Wochenende zu organisieren. Allerdings beschränkt das derzeit doch recht unflexible Arbeitszeitrecht hier die Möglichkeiten für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Welchen Stellenwert hat Einwanderung für das Handwerk?

Sie wird in jedem Fall notwendig sein als ein Baustein, künftig Fachkräfte zu sichern. Daneben gibt es aber auch im Inland weiter viel zu tun. Wir haben zu viele, die die Schule ohne Abschluss verlassen; die Potenziale bei Frauen sind längst nicht voll ausgeschöpft; wir müssen mehr Abiturienten gewinnen. Aber all das wird nicht reichen, um die Lücken in einer alternden Gesellschaft zu füllen. Deswegen ist eine geregelte Zuwanderung nötig.

Wird das Handwerk vom Fachkräfteeinwanderungsgesetz profitieren?

Das wird sich zeigen. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber bei der Umsetzung hakt es: Derzeit dauert die Visavergabe noch viel zu lang, die Ausländerbehörden sind völlig überlastet. Zudem existiert vielfach keine Willkommenskultur.

Das Arbeitsverbot für Asylbewerber soll gelockert werden. Wird das reichen?

Sicherlich nicht. Doch was sollte falsch daran sein, dass der, der mit hoher Wahrscheinlichkeit in Deutschland bleibt, hier auch arbeiten können sollte? Betriebe wissen selbst am besten, wen sie mit welchen Sprach- und Fachkenntnissen beschäftigen – egal woher die Person kommt. Wer seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten will, ist im Handwerk immer willkommen.

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