Zentralverband des
Deutschen Handwerks
Zentralverband des
Deutschen Handwerks
16.01.2024

Die Regierung muss ins Machen kommen!

Die Betriebe sehen sich auch im Jahr 2024 zahlreichen Herausforderungen gegenüber. Wie diese gemeistert werden können, dazu ZDH-Präsident Dittrich im "DHZ"-Interview.
Portrait Dittrich

Es ist Zeit, zu machen: Anpacken statt ankündigen muss zum politischen Vorsatz für das Jahr 2024 werden, fordert ZDH-Präsident Jörg Dittrich im Interview mit Karin Birk und Steffen Range von der "Deutschen Handwerks Zeitung (DHZ)".

Herr Dittrich, vor gut einem Jahr sind Sie zum neuen Handwerkspräsidenten gewählt worden. Was zählt zu den Höhen, was zu den Tiefen Ihrer Arbeit in Berlin ?
Zu den Höhen zählt ganz sicher die Wertschätzung, die ich in der Gesellschaft und auch der Politik für das Handwerk allgemein wahrnehme und als dessen Vertreter auch für meine Person. Was die konkrete politische Arbeit betrifft, rechne ich zu den Erfolgen des vergangenen Jahres neben anderem sicherlich, dass wir den zunächst sehr schlechten Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes mit vereinten Kräften deutlich verbessern konnten. Das würde ich auf der Habenseite verbuchen.
 
Und was gehört auf die Soll-Seite?
Dass sich mit Blick auf die Krisen leider meine negativen Erwartungen bewahrheitet haben. Schon zu Beginn meiner Amtszeit habe ich zwar gesagt, dass ich nicht mit dem Verschwinden der Krise rechne. Und dass ich davon ausgehe, dass es eher schwerer wird, durch politisches Handeln die Spaltung der Gesellschaft zu verringern. Aber ich ging gleichzeitig von einem beherzteren Krisenmanagement der Politik aus. Ich glaube nach wie vor an die Heilungskräfte der Demokratie – auch wenn deren Wirkung momentan noch nicht wirklich zu spüren ist.

Will sagen?
Der Politik ist es nicht gelungen, Verlässlichkeit und Planbarkeit herzustellen. Das zeigen auch die aktuellen Proteste. Dies aber ist Grundlage für Vertrauen in politisches Handeln. Die Betriebe und deren Beschäftigte erwarten entschlossenes Krisenmanagement und zukunftsorientierte Standortsicherung. Doch was sehen wir? Ich warte immer noch auf den von Bundeskanzler Scholz angekündigten Deutschland-Pakt. Der ist nötig, denn Deutschland kann im Wettbewerb der Standortfaktoren nicht mehr mithalten. Da muss etwas passieren. Auch die jüngsten Beschlüsse zum Haushalt ändern nichts daran.
 
Wie zufrieden sind Sie mit den Vereinbarungen zum Haushalt 2024?
Zuerst einmal habe ich wenig Verständnis dafür, dass wir nach vier Wochen Verhandlungszeit vor allem Ankündigungen zu hören bekamen und noch immer viel zu viele Fragen - etwa in Bezug auf Förderkulissen - offen sind. Außerdem treibt mich die Sorge um, dass nachher wieder irgendwo Geld fehlt und beim Handwerk noch mehr gespart wird. Diese dauerhafte Unsicherheit ist Gift für Investitionen. Dabei müsste gerade jetzt in die Transformation der Wirtschaft mehr investiert werden. Doch das Gegenteil ist der Fall. So werden wir die Aufgabe nicht bewältigen.
 
Wo schmerzt der Sparhaushalt das Handwerk besonders?

Mit Blick auf die Baugenehmigungen wissen wir, dass 2024 noch weniger Wohnungen gebaut werden als 2023. Deutschland verfehlt die ursprünglichen Neubauziele damit um fast 50 Prozent. Dabei fehlen Wohnungen hinten und vorne. Hier hätte es mehr Unterstützung gebraucht, ganz sicher aber nicht den vorläufigen Stopp von Förderprogrammen. Für die Betriebe ist es nicht mehr planbar. Es fehlt an Verlässlichkeit beim Handeln der Ampel. Jüngstes Beispiel dafür ist das abrupte Auslaufen des Umweltbonus für die Elektromobilität gleichsam über Nacht.
 
Gleichzeitig werden der Wirtschaft seit Monaten Wachstumsimpulse versprochen. Wie stehen die Chancen auf das Wachstumschancengesetz?
Das Gesetz ist eine Entscheidung der Sommerklausur der Bundesregierung. Seither ist mehr als ein halbes Jahr vergangen und keiner kann Ihnen sagen, was konsensfähig sein wird. Angesichts der schlechten wirtschaftlichen Situation im Land ist dies alles andere als angemessen. Da müssen sich die Handelnden in Bund und Ländern nicht wundern, wenn die Unzufriedenheit steigt. Die Betriebe brauchen klare Stabilisierungs- und Wachstumssignale: Wir brauchen Lösungen!
 
Auf die lange Bank geschoben werden auch die Reformen in den Sozialversicherungen. Mehr noch: Bundeskanzler Scholz hat bei der Einigung zum Haushalt 2024 Kürzungen bei den Sozialausgaben sogar ausgeschlossen. Macht Sie das wütend?
Eine verantwortungsbewusste Kommunikation eines Spitzenverbandes sollte nicht von derlei Gefühlen geleitet sein. Vielmehr müssen wir klar und deutlich sagen, dass diese Entwicklungen für das Handwerk als besonders personal- und lohnintensivem Wirtschaftsbereich fatal sind. Und nicht nur für das Handwerk. Schon heute haben wir wegen zu hoher Steuern und Abgaben das Nachsehen im Wettbewerb um Fachkräfte aus dem Ausland. Ganz abgesehen davon, dass auch im Handwerk Leistungsträger mehr arbeiten würden, wenn sie deutlich mehr Netto vom Brutto in der Tasche hätten. Auch hier müssen wir wieder wettbewerbsfähiger werden.
 
Das heißt?

Wenn wir uns im Haushalt die Budgets für das Soziale anschauen, dann müssen wir uns schon fragen, ob sich unser Land das so noch leisten kann. Oder ob wir nicht mehr auf Eigenvorsorge setzen müssen, selbst wenn damit Härten verbunden sind. Damit die Wirtschaft wieder in Schwung kommt, müssen wir andere Prioritäten setzen. Es muss eine Politik gemacht werden, die die Wettbewerbsfähigkeit und die Standortbedingungen verbessert – immer in dem Bewusstsein, dass es die Betriebe und Beschäftigten sind, die über Steuern und Abgaben die Sozialsysteme finanzieren. Insofern sehe ich es als Aufgabe der Regierung, realistische Ziele und entsprechende Prioritäten zu setzen und dabei immer die im Blick zu haben, die Steuern und Abgaben erwirtschaften. Doch der Kanzler stellt sich hin und sagt, wir lassen das einfach so. Dann wird er erleben, dass die Wirtschaft weiter schrumpft.
 
Viele Handwerksbetriebe sind besorgt über die Energiepreise. Ursprünglich sollten sie über den Winter hinaus gedeckelt werden. Das kommt nun nicht. Besorgt Sie das?

Die Gaspreise scheinen sich zu entspannen. Sie liegen derzeit wieder auf einem Niveau von vor dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Viel entscheidender ist der Strommarkt. Dort gibt es immer noch Engpässe. Das spiegelt sich auch im Preis wider. Die Politik ist uns immer noch eine Antwort schuldig, mit welchen Maßnahmen wir wieder wettbewerbsfähige, sprich bezahlbare und grundlastfähige Energie bekommen sollen. Anfang 2024 noch nicht zu wissen, wo man im Jahr 2030 Gaskraftwerke mit einer Leistung von 25 Gigawatt stehen haben möchte und wer diese bauen soll, ist fahrlässig. Die Energiefrage ist entscheidend. Wenn die Energiepreise wettbewerbsfähig wären, dann könnten wir vielleicht den ein- oder anderen Standortnachteil wettmachen. Aber hohe Energiepreise, hohe Steuern- und Abgaben, zu wenig Fachkräfte, zu viel Bürokratie: Das funktioniert nicht.
 
Nimmt die konjunkturelle Schwäche wenigstens dem Fachkräftemangel etwas die Wucht?
Ich kann einer konjunkturellen Schwäche keine Vorteile abgewinnen. Deutschland ist die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Es ist wichtig, dass die Wirtschaft hierzulande läuft, dass es Industrie, Mittelstand und Handwerk gut geht. Gleichzeitig will ich alle ermahnen, das Fachkräftethema im Fokus zu halten. Es steht unter allen handwerksrelevanten Themen mit an oberster Stelle.
 
Treffen Sie da die schlechten Ergebnisse der jüngsten Pisa-Studie nicht ins Mark?
Es ist beschämend, dass wir trotz erheblicher Finanzmittel offensichtlich nicht mehr in der Lage sind, junge Menschen mit den Grundfähigkeiten für das Leben auszustatten. Mit mehr Geld ist es jetzt aber nicht getan. Wir müssen den Ursachen auf den Grund gehen. Wir sehen beispielsweise deutlich, was Medienkonsum mit den Kindern macht. Ich bin selbst Vater von kleineren Kindern und weiß, wie schwer es ist, Kinder vom Handy fernzuhalten. Handys, Smartphones, Tablets gehören zum Alltag: Darauf muss Schule reagieren, Aufklärung und ein Konzept für einen „guten“ Umgang entwerfen. Wie kann es gelingen, trotz Handy fokussiert zu arbeiten und sich länger auf eine Sache zu konzentrieren. Ich kenne viele Betriebe, die Nachhilfelehrer beschäftigen. Es kann aber nicht die Lösung sein, dass wir den jungen Leuten erst noch Lesen, Schreiben oder Rechnen beibringen müssen, ehe wir uns mit der beruflichen Bildung beschäftigen. Das Handwerk kann nicht der Reparaturbetrieb für mangelnde schulische Bildung sein. Hier brauchen wir eine grundlegende gesellschaftliche Debatte.
 
Seit Monaten ist der Wirtschaft ein weiteres Bürokratieentlastungsgesetz versprochen worden. Wird mit dem vergangene Woche veröffentlichten Referentenentwurf der gordische Knoten jetzt durchschlagen?
Ganz sicher nicht. Abgesehen davon, dass er viel zu spät kommt, bringt der jetzt vorgelegte Referentenentwurf den Betrieben keine ausreichende Entlastung. Die wäre jedoch dringend notwendig, denn die Frustration über die überbordende Bürokratie ist in den Betrieben sehr groß. Meine größte Sorge ist, dass angesichts der vielen Vorschriften, Dokumentationspflichten und Regeln immer weniger Menschen bereit sind, sich selbstständig zu machen. Unter Meisterabsolventinnen und -absolventen wird die Angst vor Formularen als einer der Hauptgründe genannt, den Schritt in die Selbstständigkeit nicht gehen zu wollen. Und manch einer macht vor lauter Bürokratie auch nicht mehr weiter. Ich erinnere nur an den Bauunternehmer aus Husum, der auf mehreren Seiten dokumentiert hat, wie viele Vorschriften er erfüllen musste, bevor es dann überhaupt an die Arbeit auf der Baustelle gehen konnte. Der hat seinen Betrieb mit fast hundertjähriger Familiengeschichte geschlossen.
 
Wir haben über aufgestaute Frustration gesprochen. Eine Folge davon ist, dass die AfD zulegt, auch in ihrem Bundesland Sachsen. Politiker der anderen im Bundestag vertretenen Parteien haben die Wirtschaft und ihre Verbände aufgerufen, sich eindeutiger gegen die AfD zu positionieren. Wie stehen Sie dazu?
Wir sind keine politische Partei und wir sind klug beraten, uns nicht für bestimmte politische Auseinandersetzungen verantwortlich machen zu lassen oder vor den Karren spannen zu lassen. Gleichzeitig besteht aber kein Zweifel: Wir müssen eine klare Haltung haben: Wo demokratische Grundsätze oder Prinzipien unseres Zusammenlebens in Frage gestellt oder angegriffen werden, ist das nicht hinnehmbar. Gegenentwürfe und andere Möglichkeiten zum politischen Handeln aufzuzeigen, das ist in der Demokratie die Aufgabe einer starken Opposition. Es gibt aber auch hier Grenzen, an denen dann alle gefragt sind.
 
Und die wären?
Wenn Parteien sich von der demokratischen Mitte weg bewegen, dann müssen für alle die Warnlampen angehen. Ich nenne keine einzelnen Parteien. Aber wenn Parteien sagen, wir sollten uns als Exportland vom Euro verabschieden. Wenn sie sagen, dass offene Grenzen für eine Wirtschaftsnation wie Deutschland nicht wichtig sind. Wenn Parteien nicht sehen, dass Europa zuallererst ein Friedensprojekt ist. Wenn sie mit Verachtung auf die demokratischen Institutionen in diesem Land schauen. Dann gilt es genau das zu brandmarken, weil dadurch letztlich Demokratie und Freiheit in Frage gestellt werden. Diese Werte sind aber nicht verhandelbar. Nicht der demokratische Ärger über fehlende Reformen, sondern die Attacke auf unsere demokratischen Werte und Institutionen ist zu kritisieren. Als Handwerk stehen wir in der Mitte der Gesellschaft und Wirtschaft und distanzieren uns deutlich von extremen Rändern. Es treibt mich die Sorge um, dass ein Erstarken der extremen politischen Ränder die Gräben weiter vertiefen und uns dadurch unfähiger für einen gemeinschaftlichen Weg und Kompromisse machen könnte.
 
Wie blicken Sie auf 2024? Auf das zweite Jahr ihrer Amtszeit, auf die Europa-Wahlen und wichtige Landtagswahlen?
Angesichts der Europawahl muss uns klar sein, dass Europa mehr ist als eine Normen-Produktionsstätte, worauf inzwischen viele Europa zu reduzieren versuchen. Uns muss bewusst sein, dass wir nur in einem gemeinschaftlichen Europa in der Lage sind, globale Themen anzugehen. Und was die Landtagswahlen angeht, wünsche ich mir, dass demokratische Institutionen nicht attackiert werden. Auf Bundesebene müssen wir endlich den Reformstau angehen und möglichst auflösen. Es braucht einen Deutschland-Pakt. Wenn die größte Oppositionspartei da nicht mitmacht, dann muss die Ampel es allein zustande bringen. Auch die Bundestagswahl ist nicht mehr ewig weit weg. Wir brauchen eine Regierung, die macht! Und die anpackt und ihre Aufgaben erledigt.

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