Zentralverband des
Deutschen Handwerks
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18.10.2020

Fehlende Programmierprotokolle bei bargeldintensiven Betrieben

Das Finanzgericht Köln hat in einem Beschluss (Az. 15 V 754/18) ausführlich zu Fragen erheblicher Kassenmängel sowie zu Sicherheitszuschlägen im Mehrfilialenbetrieb Stellung genommen.

Das Finanzgericht Köln (FG Köln) hat ein einem Beschluss vom 6.6.2018 (Az. 15 V 754/18) über die Frage, ob bei einer Aussetzung der Vollziehung eine Sicherheitsleistung ausgeschlossen werden kann, ausführlich zu Fragen erheblicher Kassenmängel sowie zu Sicherheitszuschlägen im Mehrfilialenbetrieb Stellung genommen.

Hintergrund

Der BFH hat mit Urteil vom 25.3.2015 (Az. X R 20/13) grundlegend entschieden, dass Anweisungen zur Kassenprogrammierung sowie insbesondere die Programmierprotokolle, die nachträgliche Änderungen dokumentieren, nach § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO als "sonstige Organisationsunterlagen" aufbewahrungspflichtig sind. Das Fehlen von Programmierprotokollen sehen aktuell der BFH und die Finanzgerichte für sich genommen bereits als einen so gravierenden Mangel, dass bei bargeldintensiven Betrieben eine Schätzungsbefugnis dem Grunde nach besteht; denn systembedingt bestehe keine Gewähr mehr für die Vollständigkeit der Erfassung der Bareinnahmen.

Dem Beschluss lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Antragstellerin ist eine GmbH & Co. KG (mit P als alleinigem Kommanditisten sowie Gesellschafter-Geschäftsführer der Komplementär-GmbH) welche eine Backwarenproduktion mit Filialbetrieb unterhält. An die Produktion ist die Verwaltung angegliedert. Die Filialen sind räumlich und ggf. örtlich von der Produktion getrennt. Zur Erfassung der Kasseneinnahmen und -ausgaben wird ein gängiges proprietäres POS-Kassensystem im Verbundsystem von einem der führenden Kassenhersteller eingesetzt. Das Betriebssystem erlaubt nach herstellereigenen Angaben keinen Zugriff auf die Systemebene durch den Anwender. Ferner gibt der Kassenhersteller an, dass der Mechanismus zur Erstellung neuer Anwendungssoftware proprietär ist, so dass Änderungen daran nur durch den Kassenhersteller durchgeführt werden können. Daher könnten Programmierprotokolle nicht vorgelegt werden. Nach Angaben der Antragstellerin wurden die Daten der verwendeten Kassensysteme jeweils zentralisiert abgerufen und gespeichert. Es gebe detaillierte technische Dokumentationen sowie Anweisungen für das Bedienpersonal. Der Kommanditist und Geschäftsführer P sei weder in die Bargeldgeschäfte, noch in die Erstellung des Z-Abschlags oder in anderweitiger Weise in die täglichen Abrechnungsläufe involviert. Für Storno-/Nullbons gebe es genaue Anweisungen und diese würden dokumentiert.

Bei der Antragstellerin fand eine Betriebsprüfung für die Streitjahre 2011 bis 2013 statt. Im Ergebnis gelangte die Betriebsprüfung zur Auffassung, dass im Wesentlichen aufgrund fehlender Programmier- und Einrichtungsprotokolle sowie einiger anderer - strittiger und von der betragsmäßigen Höhe her leichter - Mängel die Kasse nicht ordnungsgemäß sei und die Buchführung somit nicht nach § 158 AO der Besteuerung zugrunde gelegt werden könne. Als Schätzungsmethode entschied sich das Finanzamt (FA) für einen pauschalen (Un-) Sicherheitszuschlag in Höhe von 10 % der Nettoeinnahmen zzgl. Umsatzsteuer und verplausibilisierte diesen anhand der amtlichen Richtsatzsammlung sowie anhand eines Zeitreihenvergleichs. Etwaige zusätzliche Ermittlungen anhand anderer Schätzungsmethoden wurden nicht durchgeführt. Die Antragstellerin legte gegen die auf Grundlage der BP-Feststellungen geänderten Gewerbesteuerbescheide für die die Streitjahre Einspruch ein und beantragte außerdem eine Aussetzung der Vollziehung der Gewerbesteuermessbeträge. Das FA gewährte eine Aussetzung der Vollziehung, schloss jedoch eine Sicherheitsleistung nicht ausdrücklich aus. Da der hiergegen gerichtete Einspruch der Antragstellerin erfolglos war, begehrt diese nunmehr in ihrem gerichtlichen Antrag einen ausdrücklichen Ausschluss der Sicherheitsleistung auf Grundlagenbescheidebene (hier: Gewerbesteuermessbeträge 2011 bis 2013) wegen Unzumutbarkeit und Unbilligkeit sowie offensichtlicher Rechtswidrigkeit der Grundlagenbescheide.

Das Finanzgerichts Köln gab dem Antrag teilweise statt und führt in den Gründen des Beschlusses u.a. wie folgt aus: "Bezüglich eines Teils der Hinzuschätzung geht der erkennende Senat bei summarischer Prüfung auf Basis der präsenten Beweismittel derzeit von einem überwiegend wahrscheinlichen Obsiegen der Antragstellerin aus. (...)In Fällen des § 158 AO ist zunächst zu unterscheiden, ob die Buchführung formell ordnungsmäßig ist; dann können Besteuerungsgrundlagen nur insoweit nicht entsprechend der Buchführung der Besteuerung zugrunde gelegt werden, als die Vermutung des § 158 AO von der Finanzbehörde widerlegt ist. An die Erschütterung der Vermutung sind strenge Anforderungen zu stellen. Ist die Buchführung hingegen formell ordnungswidrig, sinkt das Beweismaß für eine Schätzung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 AO von vorneherein herab. (...)

Je schwerwiegender sich die Buchführungsmängel erweisen, umso gröber darf auch das Schätzungsverfahren sein. Ist das Buchführungsergebnis trotz formeller Mängel sachlich richtig, darf hingegen nicht geschätzt werden. Hierfür reicht es jedoch nicht aus, dass die sachliche Richtigkeit trotz formeller Mängel denkbar ist oder das die sachliche Unrichtigkeit trotz formeller Mängel ungewiss ist; die sachliche Richtigkeit muss vielmehr zweifellos bejaht werden können. (...)

Auch das Fehlen der Programmierprotokolle einer elektronischen Registrierkasse stellt einen formellen Mangel dar. Anweisungen zur Kassenprogrammierung sowie insbesondere die Programmierprotokolle, die nachträgliche Änderungen dokumentieren, sind nach § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO als "sonstige Organisationsunterlagen" aufbewahrungspflichtig. Dies hat die Finanzverwaltung schon lange vertreten. Der X. Senat des BFH (im Urteil vom 25. März 2015 X R 20/13, BStBl II 2015, 743) hat sich dieser Auffassung angeschlossen und ausgeführt, dass das Fehlen einer lückenlosen Dokumentation zur Kassenprogrammierung in seinen Auswirkungen auf die Beurteilung der formellen Ordnungsmäßigkeit der Buchführung und der Eröffnung der Schätzungsbefugnis dem Fehlen von Tagesendsummenbons bei einer Registrierkasse bzw. dem Fehlen täglicher Protokolle über das Auszählen einer offenen Ladenkasse gleichsteht. In allen drei Fällen lässt der formelle Mangel zwar keinen sicheren Schluss auf die Verkürzung von Einnahmen zu. Gleichwohl gibt es systembedingt keine Gewähr mehr für die Vollständigkeit der Erfassung der Bareinnahmen, ohne dass eine nachträgliche Ergänzung der Dokumentation bzw. eine anderweitige Heilung des Mangels möglich wäre. Elektronische Kassensysteme sind durch Umprogrammierung in nahezu beliebiger Weise manipulierbar; von derartigen Manipulationsmöglichkeiten machen Teile der betrieblichen Praxis nach dem Erkenntnisstand des X. Senats des BFH durchaus Gebrauch. Es ist daher von erheblicher Bedeutung, dass ein Betriebsprüfer - und ggf. auch ein FG - sich davon überzeugen kann, wie die Kasse im Zeitpunkt ihrer Auslieferung und Inbetriebnahme programmiert war, sowie ob bzw. in welchem Umfang nach der Inbetriebnahme der Kasse spätere Programmeingriffe vorgenommen worden sind. Für den Steuerpflichtigen überschreitet der mit der Dokumentation verbundene Aufwand die Grenze des Zumutbaren nicht. Beim Erwerb der Kasse kann er vom Verkäufer die Übergabe von Bedienungsanleitungen und Programmdokumentationen verlangen. Die Dokumentation späterer Umprogrammierungen verursacht jedenfalls einen geringeren Aufwand als die Umprogrammierung selbst. Das Gewicht dieses Mangels tritt allerdings zurück, wenn der Steuerpflichtige für den konkreten Einzelfall darlegt, dass die von ihm verwendete elektronische Kasse trotz ihrer Programmierbarkeit ausnahmsweise keine Manipulationsmöglichkeiten eröffnet."

Im Weiteren hat der erkennende Senat ausgeführt dass (bei einem Mehrfilialbetrieb) erhebliche Bedenken gegen einen vom Finanzamt festgesetzten Sicherheitszuschlag von 10 % bestehen.

  • Zunächst hätte das Finanzamt nach den Vorgaben des BFH zur Methodenwahl darlegen müssen, dass anderweitige Schätzungsmethoden (etwa Richtsatz-Hinzuschätzung, Ausbeutekalkulation wichtiger Warengruppen, Geldverkehrsrechnung oder Vermögenszuwachsrechnung, Schätzung aufgefundener Lücken mit einem Durchschnittsumsatz und -gewinn) nicht möglich sind oder keine realitätsgerechte Abbildung von Buchführungsmängeln darstellen.
  • Auch wenn man den Sicherheitszuschlag als zulässiges Schätzungsinstrument ansieht, seien die hierdurch errechneten Hinzuschätzungen einer Prüfung zu unterziehen, ob sie schlüssig, wirtschaftlich möglich, vernünftig und im Einklang mit ggf. konkreten Prüfungsfeststellungen stehen. (...) Dabei sei nicht ausreichend berücksichtigt worden, dass die Antragstellerin ihr Unternehmen in mehreren Filialen betreibt und Eingriffe des Unternehmensinhabers in tatsächlicher Hinsicht (Erzielung und unversteuerter Geldzufluss von zusätzlichen Einnahmen) erheblich schwieriger seien als dies bei einem typischerweise inhaberbetriebenen (Klein-)Unternehmen der Fall ist. (...)
  • Bei einer (im Schätzungsweg angenommenen) Verkürzung von so erheblichen Beträgen, lägen üblicherweise anderweitige Auffälligkeiten vor (z.B. nachweisbar nicht erfasste Wareneinkäufe, nachweisbar nicht verbuchte Umsätze [z. B. bei Probekäufen]), nachhaltige und erhebliche Unschlüssigkeiten in der Kassenbuchführung - z. B. erhebliche und nachhaltige Kassenfehlbeträge, ungeklärte Bargeldzu- oder -abflüsse, Auffälligkeiten in einer Vermögenszuwachsrechnung oder Geldverkehrsrechnung, auffällige Transferzahlungen/Zahlungsflüsse, Anhaltspunkte für Schwarzlohnzahlungen an Mitarbeiter oder komplett unversteuerte Beschäftigung weiterer Mitarbeiter, etc.).
  • Es obliege der Betriebsprüfung, in solchen Fällen einen Anfangsverdacht einer Einnahmenverkürzung durch weitere nachhaltige und erhebliche Mängel zu untermauern.

Im Streitfall bedürfe es hierzu einer derzeit für den Senat nicht erkennbaren Darlegung, dass die vorgelegten Ursprungsaufzeichnungen bereits an der Quelle einer Manipulation unterlegen haben könnten (d.h. bspw. tägliche Zählprotokolle der Tagesumsätze unstimmig waren, bspw. durch Entstehung von Kassenfehlbeträgen) oder dass bei nicht erkennbar fehlerhaften Ursprungsaufzeichnungen in Papierform oder elektronischer Form (z.B. Z-Bons, Zählprotokolle; Daten in vorgeschalteten Systemen) im weiteren Verarbeitungsablauf beim Unternehmensinhaber Unschlüssigkeiten enthalten sind. (...) Geringfügig dargestellte Abweichungen bei einzelnen Stornobuchungen oder in Tagesabschlüssen würden bei der Unternehmensgröße und der Anzahl der Geschäftsvorfälle aus Sicht des erkennenden Senats nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand bei summarischer Betrachtung nicht ausreichen, einen sowohl absolut wie relativ recht hohen (Un-)Sicherheitszuschlag von 10 % zu rechtfertigen.

Hinweis

Zu berücksichtigen ist, dass die sehr umfassende Entscheidung über 15 Seiten in einem Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung ergangen ist und damit die Entscheidung im Hauptsacheverfahren noch aussteht.

Daniela Jope

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