Zentralverband des
Deutschen Handwerks
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Deutschen Handwerks
31.08.2022

Zweiklassen-Bildungsgesellschaft beenden

Auszubildende sind seit den Bologna-Reformen wie Stiefkinder behandelt worden. Das muss sich dringend ändern, so ZDH-Präsident Wollseifer im Kölner Stadt-Anzeiger.
Portraitfoto von Hans Peter Wollseifer vor einer Strukturleinwand im Haus des Deutschen Handwerks in Berlin

Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks

"Ein Studium ist nicht die ultima ratio für beruflichen Erfolg und gesellschaftlichen Status. Wir alle müssen an dieser Stelle umdenken: Ich fordere eine Bildungswende hin zu einer gleichwertigen Behandlung von beruflicher und akademischer Bildung", so ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer gegenüber Thorsten Breitkopf vom Kölner Stadt-Anzeiger.

Herr Wollseifer, wie groß ist im deutschen Handwerk der Mangel an jungen Auszubildenden?

Wie groß der Bedarf an Nachwuchs ist, verdeutlichen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit, wonach derzeit allein im Handwerk mindestens 150.000 offene Stellen gemeldet sind, für die qualifizierte Handwerkerinnen und Handwerker fehlen. Aber längst nicht alle unsere Betriebe melden ihren Bedarf bei der Arbeitsagentur, weshalb wir schätzen, dass die Zahl sogar bei rund 250.000 liegt. Um all diese Stellen besetzen zu können, bedarf es einer enormen Ausbildungsanstrengung. Aktuell sind allein im Handwerk nach dem Start des Ausbildungsjahres am 1. August beziehungsweise 1. September 2022 noch rund 32.000 Ausbildungsplätze unbesetzt. Wir haben die Politik seit Jahren darauf hingewiesen, dass es zu diesem Mangel kommt, wenn sie nicht mehr für die berufliche Bildung tut, aber sie hat nicht reagiert. Die langen Wartezeiten auf Handwerker in fast allen Bereichen und einen entsprechenden volkswirtschaftlichen Schaden hat zu einem guten Teil auch die Politik zu verantworten.

Sie geben immer der Politik die Schuld am Azubi-Mangel. Aber müssten Sie nicht selbst erstmal Ihre Hausaufgaben machen und den jungen Menschen einfach mehr zahlen, um die Jobs im Handwerk attraktiver zu machen?

Das ist immer ein einfacher Reflex, zu sagen, es liegt am Geld. Tatsächlich werden im Handwerk die höchsten Ausbildungsvergütungen überhaupt in der Wirtschaft gezahlt, etwa in unseren Bauberufen im dritten Ausbildungsjahr bis zu 1500 Euro. Zudem sind in den vergangenen Jahren in vielen Handwerksbranchen die Ausbildungsvergütungen und Löhne deutlich gestiegen. Aber so einfach ist es leider nicht, die Hintergründe sind tiefer gehend. Sie sind in der demografischen Entwicklung und zudem in der Bildungspolitik der vergangenen Jahrzehnte zu suchen. Wir haben in Deutschland aktuell einfach weniger Schulabgänger, um die alle Wirtschaftsbereiche intensiv werben. Es gibt einen Wettbewerb um die klugen Köpfe.

Was genau werfen Sie der Politik dann vor?

In den vergangenen Jahren hat die Politik als Bildungsmantra vor sich hergetragen, dass möglichst Viele Abi machen und studieren. Nur das Studium stand im Fokus und stellte die bewährte Berufsausbildung mit dem besonderen System der Dualen Ausbildung und der darauf aufbauenden Höheren Berufsbildung in Deutschland in den Schatten. Dabei zeigt sich inzwischen, dass das mit dem Studium gegebene Aufstiegsversprechen für viele junge Menschen ein falsches Bildungsversprechen war. In den vergangenen Jahren hatten wir immer über 100.000 Studienabbrecher. Sicherlich ist es erstrebenswert, erfolgreich ein Studium zu absolvieren. Aber man muss sich gegenüber den jungen Leuten ehrlich machen und ihnen sagen: Nur wenn du an Theorie und Wissenschaft interessiert bist, und mit Kraftanstrengung und Fleiß das Studium angehst, dann ist das Studium auch Basis für einen erfolgreichen Berufsweg. Aktuell laufen die Bildungsströme an den Erfordernissen von Wirtschaft und Gesellschaft vorbei: Wir brauchen in Deutschland sicherlich nicht den Hunderttausendsten Philosophen. Damit allein werden wir unsere Zukunftsaufgaben nicht lösen können. Aber für fast alle diese Aufgaben sind Handwerker erforderlich.

Was lief denn schief?

Es hat sich eine Zwei-Klassen-Bildungsgesellschaft entwickelt. Auszubildende sind seit den Bologna-Reformen wie Stiefkinder behandelt worden, das rächt sich nun. Wissen steht über Können, und das ist falsch. Das ist auch bei vielen Eltern nicht angekommen, die an ihre Kinder bei der Berufswahl oft falsche Erwartungen haben oder nur solche Hilfestellung geben, die die Karrieremöglichkeiten einer beruflichen Ausbildung völlig ausblenden. Die OECD-Berichte haben jahrelang angemahnt, unser Land müsse akademischer werden. Dabei wurde völlig außer Acht gelassen, dass unser äußerst erfolgreiches Duales Ausbildungssystem vielfach zu einer Qualifikation führt, die in anderen Ländern über ein Studium erreicht wird. An unseren Gymnasien werden die Schüler immer noch fast ausschließlich auf ein Studium vorbereitet. Die vielen anspruchsvollen Berufe der beruflichen Ausbildung im Handwerk bleiben außen vor. Wir fordern, dass gerade auch an Gymnasien die berufliche Ausbildung als Einstieg in einen attraktiven beruflichen Werdegang in den Blick genommen und den Schülern diese Option aktiv offeriert werden muss. Ein Studium ist nicht die ultima ratio für beruflichen Erfolg und gesellschaftlichen Status. Wir alle müssen an dieser Stelle umdenken: Ich fordere eine Bildungswende hin zu einer gleichwertigen Behandlung von beruflicher und akademischer Bildung. Die Bedarfe von Wirtschaft und Gesellschaft werden in unserem Land durch unsere Uni-Absolventen doch gar nicht abgedeckt. Jahrelang wurden vor allem die Unis mit viel Geld unterstützt und gut ausgestattet. Gleichzeitig sind Berufsschulen in einem miserablen Zustand, weil das Geld fehlt. Ein Beispiel aus meinem Kammerbezirk: Das Berufskolleg 10 in Köln-Porz etwa ist in einem erbärmlichen Zustand, was wir seit Jahren beklagen. Dort ist weder die Verkehrssicherheit gegeben, noch ist die Hygiene gewährleistet. Der Rat der Stadt Köln muss dort dringend Änderungen beschließen.

Aber nochmal, liegt es nicht auch am Handwerk selbst. Etwa, indem Sie an einem besseren Image der Handwerker und des Handwerks arbeiten müssen?

Wir haben einiges getan und sind auch noch kräftig dabei. Auch mit neuen, hybriden Bildungsangeboten. In inzwischen neun Bundesländern etwa gibt es das BerufsAbitur. Da kann man eine Ausbildung und das Abi kombinieren. Nach drei Jahren können junge Leute ein Fachabitur und eine Ausbildung erwerben, in vier Jahren auch noch die Hochschulzugangsberechtigung. Es gibt inzwischen auch duale Studiengänge im Handwerk. Eine Kölner Erfindung ist etwa das triale Studium. Da ist man nach viereinhalb Jahren sogar Geselle, Meister und Bachelor in Handwerksmanagement. Dass man sich darüber hinaus mit einem Meisterabschluss nun auch als Bachelor Professional bezeichnen kann, zeigt: Meister und Bachelor liegen auf dem selben Qualifikationsniveau.

Aber das sind Bildungswege, was wäre mit einer echten Imagekampagne, die den Ruf der beworbenen Berufe stärkt, denn das scheint ja ein Hemmnis zu sein in der Selbstwahrnehmung junger Lehrlinge gegenüber ihren studierenden Altersgenossen…

Als Handwerk werben wir schon seit mehr als zehn Jahren mit einer Kampagne für die Berufe im Handwerk, in diesem Jahr unter anderem mit der provokativ formulierten Feststellung: „Hier stimmt was nicht“. Damit wollen wir den Finger in die Wunde legen. Denn leider erfahren junge Menschen, die das Handwerk zu ihrem Beruf machen, immer noch weniger Wertschätzung als Studierende. Dabei sind es Handwerkerinnen und Handwerker, die unser Land am Laufen halten und zur Zukunfts- und Wohlstandssicherung so dringend vonnöten sind. Vor allem über Social Media und zu Corona-Zeiten digital zeigen wir jungen Menschen, welche zukunftsrelevanten Berufe und Karrieremöglichkeiten es im Handwerk gibt. Wir entwickeln neue Ausbildungswege und auch ganz neue Berufe wie den Elektroniker für Gebäudesystemintegration. In unseren Handwerkskammern gibt es Ausbildungsberater und auf www.handwerk.de mit dem Berufe-Checker einen Überblick zu allen Berufen und den zugehörigen Ausbildungswegen.  Wir machen Azubi-Speed-Datings, entwickeln Unterrichtsmaterialien mit Bezug zum Handwerk und vieles vieles mehr.

Können Geflüchtete aus der Ukraine Ihren Fachkräftemangel beheben?

Generell sind unsere Betriebe Integrationsmotoren, das haben sie einmal mehr in der Flüchtlingskrise 2015 /2016 gezeigt. Hier hat das Handwerk überproportional viele Geflüchtete ausgebildet. Aber darüber lässt sich der Fachkräftemangel sicher nicht zur Gänze beheben, das ist ein wichtiger Baustein. Die Geflüchteten aus der Ukraine sind zum ganz überwiegenden Teil Frauen, die meisten davon mit Kindern. Damit sie überhaupt arbeiten können, muss es ein tragfähiges ganztägiges Betreuungsangebot in Schulen und Kitas geben. Dafür zu sorgen: An diesem Punkt ist Politik gefragt. Es wird sich erst im Laufe der nächsten Monate zeigen, wie viele der ukrainischen Geflüchteten über handwerkliche Qualifikationen verfügen und dauerhaft im Handwerk arbeiten wollen.

Welche Folgen hat die Gas-Umlage auf Ihre Betriebe?

Die Umlage verstärkt unsere Probleme, insbesondere in den Betrieben, die auf Prozessenergie angewiesen sind. Bäcker etwa heizen ihre Öfen weit überwiegend mit Erdgas, auch Textilreinigungen könnten angesichts der dadurch noch weiter steigenden Kosten in die Knie gehen, wenn da nicht was passiert, was Entlastung bringt. Ich fordere eine Unterstützung für kleine und mittelständische Betriebe und nicht nur für die Gas-Giganten aus dem Energiesektor. Die mögliche Mehrwertsteuer-Entlastung meine ich damit nicht, denn die hilft den Betrieben nicht, weil die Mehrwertsteuer für diese lediglich ein durchlaufender Posten ist.

Ist das baldige Verbrennerverbot ein Problem Ihrer Betriebe?

Das Handwerk unterstützt die Bemühungen hin zu einer CO2-freien Mobilität, allerdings wird das nur nach und nach umzustellen sein. Aber in der Zielsetzung sind wir durchaus bei den jungen Leuten von „Fridays for Future“. Aktuell ist es so: Die demonstrieren fürs Klima, wir installieren fürs Klima. Allerdings wird CO2-freies Fahren nur mit den richtigen Rahmenbedingungen zu bewerkstelligen sein. Dazu müssen auch entsprechende Fahrzeuge verfügbar sein. Bei Pkw sieht es schon gut aus, bei leichten Nutzfahrzeugen verbessert sich das Angebot immer mehr, bei schweren Nutzfahrzeugen gibt es aber noch wenig passende batterieelektrische Angebote. Und nötig sind dann auch entsprechend viele Ladesäulen, mehr als die Rhein-Energie derzeit anbieten kann. Die Menge muss stimmen: Ein Betrieb mit 15 Fahrzeugen braucht zwar keine 15 Ladesäulen, aber fünf sollten es zumindest sein und nicht, wie es heute möglich ist, lediglich zwei. Ohne Zugang zu Stellplätzen mit Lademöglichkeiten wird die Fuhrparkmodernisierung für innerstädtische Betriebe schwer umzusetzen sein. Wenn nicht Fahrzeuge laden können, dann gibt es am Morgen nicht genug, die zur Baustelle fahren können. So viele Ladesäulen verlangen aber auch nach der entsprechenden technischen Infrastruktur, die aktuell noch nicht vorhanden ist. Das wird also ein harter Weg, aber auch ein unumgänglicher.

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