Zentralverband des
Deutschen Handwerks

Eine Müllermeisterin denkt weiter

Karin Steinmeyer zeigt, dass auch mit alten Maschinen begehrte Mehle hergestellt werden können. Mit eigenen Produkten und Hofladen stellt sich die kreative Müllermeisterin breit auf und präsentiert sich und ihr Handwerk dem potentiellen Nachwuchs.
Müllermeisterin Karin Steinmeyer

Montagmorgens halb 10 in Luckenwalde – Zeit für die Lieferung der Dinkelwaffeln. Zur Annahme steht Karin Steinmeyer schon vor ihrer Mühle bereit: altrosa Spitzenkleid, heller Blazer, in den blonden Haaren ein buntes Tuch, hier und da ein Schimmer Mehlstaub. Ob die Kollegen aus dem Baugewerbe, die gerade vor ihr Glasfaserkabel verlegen, wohl ahnen, dass hier eine erfahrene Müllermeisterin steht?

“Heutzutage wird vom Müller nicht Kraft, sondern Köpfchen erwartet,” sagt Karin Steinmeyer und lächelt. Sie ist die einzige Frau in ganz Brandenburg, die eine Mühle betreibt und die erste Chefin in drei Generationen Familienbetrieb. Aber darauf lässt sie sich nicht reduzieren: Die Müllermeisterin hat einen ungeheuren Schöpfergeist. Sie erfindet originelle Produkte für ihren Hofladen, entwickelt neue Absatzmärkte, knüpft wertvolle Netzwerke in der Politik und öffnet dem Nachwuchs charmant die Tür zum Handwerk. Sie hat die Zukunft im Blick – aus der Kraft ihrer Familientradition und ihres Berufsverständnisses.

Großvater Georg Steinmeyer war im Jahr 1932 aus Nordrhein-Westfalen hierher, in die Bucht des Baruther Urstromtals gekommen. Hierhin, wo die Landschaft sandig, moorig und ebenerdig ist, hierhin, wo die Kleinstadt Luckenwalde in Felder mündet und die Straße gen Norden ins 50 Kilometer entfernte Berlin führt.

Es ist die Vernetzung, die mich als Unternehmerin und meine Mühle fit für die Zukunft macht. Aus der Zusammenarbeit mit anderen Lebensmittelhandwerken können wir mehr Kraft ziehen.

Die Bässe bringen die Müllerin in Schwung

Mühle Steinmeyer

Schon im 16. Jahrhundert stand hier eine alte Bockwindmühle. Die brannte 1923 nieder. Seitdem treibt ein Motor die Walzenstühle an und eine Solaranlage sorgt für Strom. Mahlt die Mühle, fängt es hinter den Steinmauern an, zu brummen, zu gurgeln, zu rascheln – wie Bässe, die die Müllermeisterin in Schwung bringen. “Das ist dieser wunderbare Mühlenklang!” ruft sie, während sie sich durch die drei Stockwerke ihrer Mühle bewegt, wie eine Dirigentin durch ihr Orchester. “Jede Maschine hat ihren Klang. Ich höre die Körner und das Mahlen. Und wenn ein Ton mal anders als sonst klingt, dann weiß ich, hier stimmt etwas nicht.”

Vom Walzboden nimmt Karin Steinmeyer die Holzstiege nach oben über den Rohrboden hin zum Sichterboden. Dort wird das Mahlgut gesiebt und sortiert. Per Hand überprüft sie die Konsistenz. “Wenn ich so ein Mehl zwischen den Fingern reibe, merke ich, ob es griffig ist”, erklärt Karin Steinmeyer. “So, wie die wunderbaren Hochmehle aus Österreich.” Das ist ihr eigener Qualitätsanspruch. Denn schließlich könne man auch mit alten Maschinen begehrte Mehle herstellen.

15 Tonnen produzieren ihre Maschinen in 24 Stunden. Mit dieser Leistung gehört die Mühle Steinmeyer zu den kleineren der 506 Mühlenbetriebe in Deutschland. Die größten schaffen in der gleichen Zeit 1000 Tonnen. 

Als ihr Vater, Winfried Steinmeyer, die Mühle 1970 übernahm, war genau diese überschaubare Größe sein Vorteil. Denn: Während die großen Mühlen in der DDR verstaatlicht wurden, durfte seine in privater Hand verbleiben. Wenn auch unter der Aufsicht staatlicher Planwirtschaft. Jedes Jahr musste ein bestimmtes Kontingent an Roggen gemahlen werden. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Und weil Familie Steinmeyer das Pumpernickel aus der nordrhein-westfälischen Heimat kannte, wurde sie zum Schrotlieferanten für das erste und einzige Pumpernickel der DDR.

Sich neu erfinden: Die Müllerin ist geübt darin

  • Brotmischungen der Mühle Steinmeyer

    Die selbst kreierten Brotbackmischungen der Mühle Steinmeyer sind der Verkaufsschlager im Mühlenladen.

  • Hofladen der Mühle Steinmeyer

Dann kommt die Wende und Pumpernickel wird nur noch im Westen produziert. Doch auch jetzt haben die Steinmeyers Glück: Roggenmühlen sind, anders als Weizenmühlen, ein Nischenmarkt und werden deshalb nicht als Konkurrenz gesehen. Der Familienbetrieb überlebt und mahlt auch heute noch hauptsächlich Roggen aus der Region für Bäckereien, die Gastronomie und Privatkunden. Längst kann die Müllermeisterin ihrer Kreativität wieder freien Raum lassen: Produziert wird, was der Kunde wünscht. “Wir haben zum Beispiel angefangen, mit Gelbweizen zu arbeiten. Den kannte hier niemand, wollte dann aber jeder haben.” Ihren basischen Müsliriegel hatte Karin Steinmeyer bereits in Fitnesscentern zum Verkauf ausliegen, dann kam die Pandemie und der Markt war platt.

Sich immer wieder neu erfinden, kreativ werden – die Müllerin ist geübt darin. Wer ihr über die Schulter schaut, erkennt: Ihr Handwerk ist auch Kunst. Ein Beruf, der Fingerspitzengefühl braucht und den richtigen Riecher. Und ein Beruf, der Kulturgeschichte anschaulich macht. Weil Wissen im Müllerhandwerk über Generationen weitergegeben wird, ist es ein lebendiger Ausdruck kultureller Kontinuität: Es verbindet Tradition mit der Verantwortung, das kulturelle Müller-Erbe zu bewahren und zu gestalten.

Dem fühlt sich auch Karin Steinmeyer verpflichtet, als sie 2013 den Betrieb ihres Vaters übernimmt. Kurz darauf bekommt sie ihr zweites Kind und baut parallel die Mühle vom Mehllieferanten zur innovativen Produktmanufaktur mit Mühlenladen aus. In den Regalen stehen inzwischen fast 40 Produkte, die sie aus ihrem Mahlgut herstellen lässt: Neben Dinkelprodukten, wie den Waffeln mit Kokoscreme, die heute Morgen geliefert wurden, gibt es Nudeln, Müslis und Energieriegel. Verkaufsschlager sind die Backmischungen. Für ihre Shiitake-Kräuter-Brotmischung erhielt sie bereits den Innovationspreis des Landes Brandenburg. 

Alte Weisheiten für modernes Handwerk

Karin Steinmeyer mit einer Mehlauswahl vor sich

Mehl ist nicht gleich Mehl. Das Müllerhandwerk braucht beides: Können und Wissen, Hand- und Kopfarbeit.

Im Unterschied zu vielen industriellen Mehlen veredelt die Müllerin das Korn nach Handwerksart, ohne Triebmittel, Geschmacksverstärker oder Stabilisatoren. “Für mich ist es ein Privileg, mit Naturprodukten zu arbeiten. Da nutze ich auch die Weisheiten aus der Generation meines Vaters und Großvaters.” “Traditionell handgefertigt”, “nachhaltig”, “regional” und “naturrein” diese Attribute zeichnen seit jeher die Mehle und Schrote der Mühle Steinmeyer aus. Inzwischen sind sie zu einem Prädikatsmerkmal geworden, das Althergebrachte plötzlich zum Trend.

Anders als der Müllerberuf, dessen korrekte Berufsbezeichnung seit 2011 “Verfahrenstechnologe/-technologin in der Mühlen- und Getreidewirtschaft” lautet. 

Doch auch hier sieht die Müllermeisterin noch Chancen für eine Trendwende: Zumindest, wenn endlich Unterstützung aus der Politik für die Ausbildung der dringend benötigten Fachkräfte käme. Dafür scheut sie kein Gespräch und besucht schonmal Ihren Namensvetter Frank-Walter Steinmeyer, den Bundespräsidenten persönlich.

Selbst in einem kleinen Mühlenbetrieb sei die Ausbildung hoch attraktiv, meint Karin Steinmeyer. “In einer kleinen Mühle müssen Azubis alles machen, dürfen sich kreativ austoben und lernen schneller, Verantwortung zu übernehmen. Kleine Mühle bedeutet großer Spielraum.”

Um den Nachwuchs frühzeitig ans Müllerhandwerk heranzuführen, veranstaltet Karin Steinmeyer Schul- und Familienführungen durch ihre Mühle, lässt alles anfassen, backt mit den Kindern. Mittlerweile waren sogar schon Schülerinnen und Schüler aus Frankreich, dem Libanon oder Australien bei ihr in Luckenwalde. Einigen konnte sie ein Praktikum ermöglichen. Keine Selbstverständlichkeit für einen kleinen Vier-Mitarbeiter-Betrieb, wie ihren. “Aber irgendwie verspüre ich den Auftrag, junge Menschen vom Müllerhandwerk zu begeistern. Ich will zeigen, wie wunderbar fein ein Mehl sein kann, und wie wichtig es für unser Leben ist. Wasser, Salz, Mehl – mehr braucht es nicht, zum Überleben.”

Im örtlichen Gymnasium sitzt die Müllerin im Förderverein. “Ich möchte, dass auch Abiturienten im Handwerk ein Zuhause finden.” Dafür braucht sie mehr Unterstützung aus Politik und Bildungseinrichtungen. Eine Fürsprecherin hat sie dort inzwischen: Tochter Lucia ist Lehrerin geworden. Und vielleicht, so hofft die Mutter, findet eines ihrer Kinder auch irgendwann sein Zuhause wieder in der Mühle. Denn, so erzählt sie: “Für mich ist es das Schönste, beim Mahlen, in dieses Mehlrohr zu greifen. Das frische Mehl kommt da runter geschossen, und dann riechst du das und dann denkst du dir: Genau dafür stehe ich jeden Morgen auf!”

Wie sich das Müllerhandwerk in den nächsten Jahren entwickeln wird, hängt stark von der Politik ab. Davon, ob unsere Handwerkskraft bezahlbar bleibt. Gesunde Mehle der Region sind die Kraft unserer Zukunft.

Jahrbuch 2025

Diese Handwerk-Story wurde zuerst im ZDH-Jahrbuch 2025 veröffentlicht. Das Jahrbuch steht unter dem Motto "Zukunft kommt von Können. Und wir können alles, was kommt." Es zeigt: Das Handwerk ist innovativ, vielfältig und kompetent und übernimmt gesellschaftliche Verantwortung.

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