Zentralverband des
Deutschen Handwerks

Integrationsstart mit Lotsenhilfe

Handwerksfirma wird zu einer Handwerksfamilie. Elektrotechnikermeister Tim Naumann und Partnerin sowie Firmeninhaberin Kerstin Boek bilden Ihre Fachkräfte selbst aus und erhalten dabei Unterstützung von einer Willkommenslotsin der Handwerkskammer.
Tim Naumann mit Geselle Ahmad Mohammad und Azubi Martin Ukwuani

Ein gutes Team: Elektrotechnikermeister Tim Naumann (M.) mit Geselle Ahmad Mohammad (l.) aus Syrien, den er auch ausgebildet hat und der inzwischen eingebürgert ist, und dem Azubi Martin Ukwuani (r.) aus Nigeria.

Wenn die Chefin der Naumann Elektrotechnik GmbH pünktlich um sieben Uhr morgens den Kaffee fertig hat, haben “ihre Jungs” schon auf den weichen Polstern der Firmenzentrale Platz genommen. Die Mitarbeiter mit ausländischen Wurzeln wissen, wenn sie zu dieser morgendlichen Kaffeerunde nicht deutsche Pünktlichkeit an den Tag legen, wird Kerstin Boek unruhig – einfach, weil “Mutti” sich sonst Sorgen macht. 

“Mutti”. Dieser Titel hat sich im Team durchgesetzt. Kerstin Boek nimmt ihn mit einem Lächeln und sagt: “Klar, ich betüddel die ja auch. Ich pass einfach gut auf, auf meine Jungs hier! Die wissen, dass sie immer zu uns kommen können, auch, wenn es ihnen privat nicht gut geht.”

“Ihre Jungs”, das sind allesamt Elektroniker für Energie und Gebäudetechnik. Sechs Gesellen, drei Auszubildende. Für fast die Hälfte der Mitarbeiter ist Deutschland erst seit wenigen Jahren ein Zuhause. Zwei kommen aus Syrien, zwei aus Nigeria, einer ist Halb-Chilene. Ein Zufall ist diese internationale Besetzung des Handwerksbetriebs an der Ostseeküste nicht. Hier hat eine “Willkommenslotsin” mitgeholfen, eine Vermittlerin zwischen Betrieben und zugewanderten Menschen

Wir interessieren uns für den Menschen, nicht die Herkunft, nicht die Zeugnisse. Wir wollen, dass jemand motiviert ist, und setzen dann alles daran, diesen jungen Menschen weiter auszubilden.

Gruppenfoto: Firmeninhaberin Kerstin  Boek und "ihre Jungs"

Firmeninhaberin Kerstin Boek und "ihre Jungs"

Knapp sieben Jahre ist es her, als Kerstin Boek gemeinsam mit ihrem Lebenspartner Tim Naumann, dem “Cheffe”, wie ihn hier alle nennen, den Elektrobetrieb in Kiel gründet. “Der Start war schwerer als gedacht”, erzählt der Elektrotechnikermeister, der zuvor Jahrzehnte in Festanstellung gearbeitet und ausgebildet hat. “Uns fehlten einfach die nötigen Fachkräfte, um die guten Aufträge an Land zu ziehen.”

An Kundenanfragen und Aufträgen mangelt es nicht, wohl aber nach wie vor an Ausbildungswilligen. “Seit 30 Jahren erzählen die Eltern ihren Kindern: Du musst aufs Gymnasium, Du musst studieren. Und am Ende kriegt keiner mehr ein Kabel in die Wand.”

Die Handwerksfirma ist Handwerksfamilie

Die Lösung? Selbst Talente fördern, selbst Fachwissen aufbauen, selbst ausbilden. Jahr für Jahr. Ihre Handwerksfirma versteht das Unternehmerpaar als Handwerksfamilie. “Wir sprechen sehr offen miteinander. Die Angestellten kennen zum Beispiel auch all unsere Zahlen”, sagt der Meister. Ein Konzept, das aufgeht: “Bisher sind alle, die bei uns ihre Gesellenprüfung gemacht haben, auch geblieben.” Ganz bewusst soll im Arbeitsalltag Platz gelassen werden fürs Leben. “Wir achten darauf, dass die Jungs auch in ihrer Freizeit gemeinsam etwas unternehmen.” Führerschein, Behördengänge, Sprachkurse: Auch diese Lebenshilfe gehört für die beiden Firmeninhaber mit zum Führungsauftrag. “Unsere Mitarbeiter sollen sich nicht nur bei uns wohl fühlen, sondern auch insgesamt gut integriert sein in der Gesellschaft. Die sind doch nicht nur zum Arbeiten in diesem Land.” Aber eben auch: Schaffen sie die Lehre, dann leisten sie wertvolle Arbeit für den Betrieb - und für das Land.

Inzwischen ist die Naumann Elektrotechnik fest etabliert auf dem Markt und bedient weit über die Kieler Stadtgrenze hinaus ein breites Geschäftsfeld, für Privatkunden und Gewerbe: von einfachen Reparaturen bis hin zu komplexen Konzepten für intelligente Gebäudetechnik. 

Regelmäßig laden sie Schulklassen in den Betrieb ein – um von ihrem Handwerk und dessen Faszination zu berichten. Und Kerstin Boek und Tim Naumann ist anzumerken, wie sehr sie es freut, dass ihre Azubis den Schülerinnen und Schülern mit Stolz ihr im Betrieb erlerntes Handwerk nahebringen.

Unser Zukunftskönnen ist neben dem Handwerk das Miteinander. Wir sind nicht nur eine Firma, wir sind eine Familie. Wir arbeiten nicht nur gemeinsam, wir leben zusammen. Und dieses positive, menschliche Miteinander überträgt sich vom Mitarbeiter auf die Kunden. Die wollen mit uns arbeiten, weil wir Menschen sind und keine gefühlskalten Maschinen.

Tausende Studierende, aber zu wenige Azubis

Während sich in der Universitätsstadt Kiel jedes Jahr Tausende für ein Studium einschreiben, warten viele Ausbildungsbetriebe vergeblich auf Bewerbungen für ihre offenen Stellen. Nicht nur in Schleswig-Holsteins Landeshauptstadt. Die Suche nach jungen Talenten und Nachwuchskräften ist in den vergangenen Jahren zu einer Herausforderung für die gesamte deutsche Wirtschaft geworden. Im Jahr 2023 konnten Handwerksbetriebe rund 20.000 ihrer angebotenen Ausbildungsplätze nicht besetzen. 

Auch bei der Naumann Elektrotechnik hatten die beiden Firmeninhaber im Sommer 2023 die Hoffnung schon aufgegeben, für die ausgeschriebene Ausbildungsstelle noch jemand passenden zu finden. 

Da klingelte plötzlich das Telefon. Ein absoluter Glücksmoment, wie sich später herausstellen soll. 

Aus Nigeria über die Ukraine nach Deutschland

Willkommenslotsin Carmen Haas und Martin Ukwuani

Willkommenslotsin Carmen Haas lotste Martin Ukwuani in den Kieler Elektrotechnikbetrieb Naumann.

Denn in der Leitung war Carmen Haas, eine von rund 200 “Willkommenslotsen” in Deutschland. Im Auftrag der Handwerkammer Lübeck berät und begleitet sie Handwerksbetriebe bei der Suche und Einstellung zugewanderter Menschen und Zuwanderungswilliger. Für viele Betriebsinhaber im Kammerbezirk ist sie es, die den Kontakt zu einer ganz neuen Bewerbergruppe herstellt. Sie führt die Erstgespräche mit den Interessenten, stellt Ausbildungsberufe vor und sucht nach passenden Betrieben. Dass sie früher selbst Unternehmerin war und weiß, wie es ist, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu suchen und zu führen, hilft in dieser Vermittlerposition sehr.

Am Telefon erzählt Carmen Haas den beiden Unternehmens-Chefs die ungewöhnliche Geschichte von Martin Ukwuani. Einem Nigerianer, der aus der Ukraine flüchten musste und nun in Deutschland arbeiten wolle. Nach mehreren Jahren als selbstständiger Elektriker hatte er eigentlich vor, in der Ukraine Elektrotechnik zu studieren. Alles war organisiert, als er 2021 in die Ukraine einreiste. Dann kam der Krieg – und die Flucht nach Deutschland. 

Als Nigerianer hatte Ukwuani kein Bleiberecht – wohl aber den Wunsch, beruflich weiterzukommen. “Wenn nicht in der Ukraine, dann eben hier, in Deutschland”, erzählt er. Ukwuani ist ehrgeizig, lernt Deutsch, geht zu Beratungsstellen und kommt schließlich zu Naumann Elektrotechnik. Dank Carmen Haas, der Willkommenslotsin.

Der Funke muss überspringen

“Wenn ich einen Kandidaten vermittle, weiß ich ja selbst nicht, ob wirklich beide Seiten, der Betrieb und der Interessent, zusammenpassen. Ich versuche so gut wie möglich alles vorab abzuklopfen, das Wissen und Können, die Erwartungen und Erfahrungen, aber am Ende ist immer auch ein bisschen Glück im Spiel.” Wie in jeder guten Partnerschaft, wo der Funke überspringen muss. “Ich freue mich jedenfalls sehr darüber, dass hier offensichtlich alles stimmt – fachlich und menschlich.”  

Für die Firma Naumann, ein perfektes Match. Für Carmen Haas eine von fast 20 Vermittlungsaktionen, die ihr jedes Jahr glücken. 

Die Ausländerbehörden sind das Nadelöhr

Auch nach dem “Matching” bleibt sie den Betrieben und ihren Azubis als Ansprechpartnerin erhalten und lotst sie durch den Verwaltungsaufwand hin zu den Förder- und Unterstützungsangeboten in der Region und umschifft gemeinsam mit ihnen die rechtlichen Strudel. Auch bei Fragen zu Sprachförderung, Aufenthaltsstatus und Qualifikationsbedarf unterstützt sie mit aller Kraft.

Nur auf eine Hürde hat Carmen Haas als Willkommenslotsin selbst keinen Einfluss: Die langen Verfahren in der Ausländerbehörde sind für die Betriebe ein großer Unsicherheitsfaktor. “Das ist vollkommen unberechenbar,” sagt sie. Manchmal wissen die Betriebe bis zum letzten Tag vor dem Ausbildungsstart nicht, ob sie die Menschen einstellen dürfen. “Hier liegt das Nadelöhr, das dringend beseitigt werden muss”, sagt die Willkommenslotsin. Dann könnten noch viel mehr Handwerksbetriebe Menschen aus aller Welt zu Fachkräften in Deutschland ausbilden.   

Jahrbuch 2025

Diese Handwerk-Story wurde zuerst im ZDH-Jahrbuch 2025 veröffentlicht. Das Jahrbuch steht unter dem Motto "Zukunft kommt von Können. Und wir können alles, was kommt." Es zeigt: Das Handwerk ist innovativ, vielfältig und kompetent und übernimmt gesellschaftliche Verantwortung.

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