Handwerk verdient mehr Wertschätzung und bessere Bedingungen

Foto: ZDH/Henning Schacht
Sehr geehrter Herr Dittrich, Sie sind Handwerks-Lobbyist, wenn ich das mal so nennen darf, aber Sie sind auch Firmenchef und gelernter Dachdecker. Wann haben Sie das letzte Mal auf einem Dach gestanden?
Zur Beratung oder Absprachen komme ich noch aufs Dach. Im Büro bin ich viel häufiger. Unsere Firma ist ja meine Hauptarbeit. Sie sorgt dafür, dass ich den Bezug zur Praxis nicht verliere. Das ist mir nicht nur als Unternehmer wichtig, sondern vor allem auch für mein Ehrenamt als Handwerkspräsident. Weil ich täglich im Alltag selbst erlebe, was das betriebliche Arbeiten erschwert und belastet. So kann ich die Interessen unserer 5,6 Millionen Beschäftigten und rund 1 Million Betriebe gegenüber der Politik glaubwürdig vertreten und unseren Problemen Gehör verschaffen.
Sie sind, wenn ich richtig informiert bin, sechsfacher Vater. Darf man fragen, was die Kinder beruflich machen? Auch etwas Handwerkliches?
Vier meiner Kinder sind noch in Kita oder Schule. Als Vater ist mir wichtig, dass jedes der Kinder seinen eigenen Weg findet. Mein ältester Sohn und mein Neffe haben sich für eine handwerkliche Ausbildung entschieden und sind Dachdeckermeister.
Thema Ausbildung. In NRW kommen laut Bundesagentur generell gerade 106 Bewerber auf 100 angebotene Lehrstellen. Und: 19 Prozent aller Deutschen zwischen 19 und 34 Jahren haben keinen Berufsabschluss. Gerade das Handwerk klagt aber seit Jahren über einen Mangel an Fachkräften und auch Azubis. Rein rechnerisch müsste es doch eigentlich genügend potenzielle Arbeitskräfte geben.
Rein rechnerisch mag das stimmen, aber in der Realität passen Angebot und Nachfrage oft nicht zusammen. Jedes Jahr bleiben im Schnitt rund 20.000 von Handwerksbetrieben angebotene Ausbildungsplätze unbesetzt, weil sich keine passenden Bewerberinnen und Bewerber finden. Viele wissen gar nicht, wie vielfältig, zukunftsfähig und chancenreich das Handwerk ist. Es fehlt an Berufsorientierung an den Schulen und an Wertschätzung für die berufliche Bildung. Außerdem gibt es praktische Hürden: Wohnort und Ausbildungsort passen nicht zusammen, schulische Kompetenzen fehlen oder der Wunschberuf ist nicht verfügbar. Hier braucht es mehr Aufklärung und eine bessere politische Unterstützung für die berufliche Bildung, die auch finanziell nicht länger stiefmütterlich behandelt werden darf.
Wenn Sie jungen Leuten einen Ausbildungsberuf im Handwerk schmackhaft machen wollen – was sagen Sie denen?
Wer mit Herz, Kopf und Hand arbeiten will, ist im Handwerk richtig. Über 130 Berufe bieten vielfältige Möglichkeiten entsprechend den eigenen Talenten. Egal, ob in der Energiewende, im Klimaschutz, beim Infrastrukturausbau, in der Lebensmittelversorgung oder in den Gesundheitshandwerken. Für all das sind Handwerkerinnen und Handwerker unverzichtbar. Man sieht am Ende des Tages, was man geschafft hat. Das ist sinnstiftend und erfüllend. Und es wird gebraucht, heute und in Zukunft. KI kann vieles, aber das eigentliche Handwerk kann KI nicht ersetzen.
Wie sieht es mit den Verdienstmöglichkeiten aus? Und mit Karrierechancen?
Die sind sehr gut. Schon die Ausbildungsvergütung ab dem ersten Ausbildungstag macht unabhängig. Danach kann man sich weiterbilden, Verantwortung übernehmen, Meister oder Betriebswirt werden oder sich selbstständig machen. Die Karrierechancen im Handwerk sind exzellent und auch finanziell auf Augenhöhe mit vielen Akademikerberufen.
Es gibt eine aktuelle Studie der IKK Classic, wonach Handwerk sich positiv auf die körperliche und seelische Gesundheit auswirkt – und auch die Zuversicht stärkt. Haben Sie solche Effekte am eigenen Leib verspürt?
Handwerkliche Arbeit ist aktiv, konkret, abwechslungsreich. Das tut Körper und Seele gut. Wenn man sieht, was man geschafft hat, stärkt das das Selbstbewusstsein. Ich merke das auch bei meinen Mitarbeitern: Wer Sinn in seiner Arbeit sieht, ist auch psychisch stabiler.
Haben Sie ein Beispiel, wie Bürokratie Ihnen oder Ihren Kollegen das Leben schwermacht? Und glauben Sie, dass die jetzige Bundesregierung ernst macht mit ihrem Versprechen, diese Hürden abzubauen? Es ist ja nicht die erste Ankündigung dieser Art.
EIN Beispiel? Es ist die schiere Masse an bürokratischen, häufig sogar widersprüchlichen Regelungen und Vorgaben, an Dokumentations- und Nachweispflichten, die gerade viele kleine und mittlere Betriebe überfordert. Hier muss die Politik endlich entschlossen handeln und das massiv entschlacken, gerade für kleine und mittlere Betriebe. Was der Koalitionsvertrag an Bürokratieabbau verspricht, ist richtig. Aber bislang ist noch zu wenig passiert. Entscheidend ist nicht, was angekündigt wird, sondern was den Betrieben konkret den Alltag erleichtert.
Wenn Sie den Digitalisierungsgrad des deutschen Handwerks mit einer Schulnote bewerten sollen: Welche Zensur geben Sie?
Eine solide Drei. Es gibt viele gute digitale Lösungen, von digitaler Zeiterfassung bis hin zur 3-D-Planung. Sehr viele Betriebe sind Vorreiter der Digitalisierung in ihrem Sektor. Doch Luft nach oben ist natürlich vorhanden. Und Digitalisierung funktioniert nur, wenn auch Verwaltung und Infrastruktur mithalten. Da gibt es noch erhebliche Defizite in Deutschland.
Wenn Sie alle positiven und alle negativen Aspekte einbeziehen: Wo sehen Sie das deutsche Handwerk in, sagen wir mal, zehn Jahren?
Als Vater von 6 Kindern sage ich aus tiefer Überzeugung: Das Handwerk wird in zehn Jahren noch bedeutender sein als heute. Alle Zukunftsthemen brauchen die handwerkliche Umsetzung. Wer sich heute fürs Handwerk entscheidet, hat beste berufliche Zukunftsperspektiven. Und für die nötigen Rahmenbedingungen setzen wir uns mit aller Kraft ein.
Herr Dittrich, haben Sie vielen Dank für den Austausch.