Zentralverband des
Deutschen Handwerks
02.10.2025

Handwerkspräsident pocht auf ehrliche Debatten und echte Reformen

ZDH-Präsident Jörg Dittrich sieht die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gefährdet und fordert bei Tobias Peter von der "Stuttgarter Zeitung" einen echten Herbst der Reformen mit klaren Entscheidungen zu Sozialabgaben, Renten, Energiepreisen und Bürokratie.
ZDH-Präsident Jörg Dittrich

Herr Dittrich, erleben wir nun einen Herbst der Reformen – oder ist einfach nur Herbst?

Wir brauchen dringend einen Herbst der Reformen. Es wäre fatal für das Land, wenn es stattdessen nur einen langen Winter der Enttäuschungen geben sollte. Die deutsche Wirtschaft muss die Chance bekommen, wieder viel stärker wettbewerbsfähig zu werden. Sonst droht das Land endgültig abzusteigen.

Friedrich Merz wollte als Kanzler für einen Stimmungsumschwung sorgen. Wie nehmen Sie die Stimmung in den Unternehmen wahr?

Die Stimmung in den Handwerksbetrieben ist schlecht. Hier kommen zwei Dinge zusammen. Erstens ist sie am Boden, weil die tatsächliche Lage wirklich alles andere als gut ist. Die Wirtschaftsdaten sprechen da eine eindeutige Sprache. Zweitens ist es der Bundesregierung bislang eben nicht gelungen, ein Gefühl des Aufbruchs zu verbreiten.

Und nun?

Jetzt sind Friedrich Merz und sein Kabinett, jetzt sind Union und SPD gefragt, daran etwas zu ändern. Wir dürfen uns politisch und gesellschaftlich nicht länger um die ehrliche Debatte darüber drücken, wie das Land wieder fit wird. Der Investitionsbooster, mit dem die Regierung durch Steuernachlässe die Unternehmen zum Investieren anregen will, ist durchaus gut. Doch die Probleme sind viel zu tiefgreifend, als dass der Staat sie nur mit Geld lösen könnte. Zumal er dafür Kredite aufnehmen muss.

Was bedeutet das konkret?

Vergleichen Sie Deutschland mal mit einer Fußballmannschaft. Wenn die Woche für Woche verliert oder jedenfalls nicht gut genug spielt, reicht es nicht aus, neue Schuhe zu kaufen. Dann heißt es: Ab ins Trainingslager und den eigenen Muskeln etwas zumuten, bis es weh tut! Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien müssen mit den Menschen im Land eine ehrliche Diskussion führen, was jetzt notwendig ist. Bei den Sozialversicherungsbeiträgen wird als Ziel nicht reichen, lediglich deren Anstieg zu bremsen. Nein, die müssen wieder runter auf 40 Prozent. Da sie momentan etwa zwei Punkte höher liegen, sind massive Veränderungen notwendig. Die werden auch wehtun.

Stichwort Rente. Müssen die Menschen angesichts des demografischen Wandels länger arbeiten?

Es ist einfache Mathematik, dass das wohl so ist. Die Menschen werden älter und das ist gut. Aber wenn das so ist, dann kann die zusätzliche Lebenszeit nicht allein der Rente zufallen, sondern ein Teil davon muss gearbeitet werden. Das ist auch eine Frage der Generationengerechtigkeit gegenüber den Jungen. 

Sie sind also für die Rente mit 70?

Ganz so einfach ist es nicht. Wir müssen dafür sorgen, dass alle mehr arbeiten. Ich bin aber dafür, dass wir individuell schauen und unterscheiden, ob jemand mit 17 angefangen hat, zu arbeiten und einzuzahlen, oder ob er nach dem Studium im Extremfall sogar erst ab Anfang 30 in den Job gestartet ist. Warum sollte dann derjenige, auf den das zutrifft, nicht länger als bis 67 arbeiten? Mit solchen Fragen müssen wir uns auseinandersetzen, wenn die Finanzierung und damit die Sozialsysteme weiter funktionieren sollen. Ich weiß derzeit auch nicht genau, wie wir das in ein System abgebildet bekommen. Aber gerade deshalb müssen Politik und Gesellschaft die Debatte jetzt offen führen und können sich nicht davor wegducken.

Sie führen in vierter Generation einen Betrieb als Dachdeckermeister. Der Dachdecker wird in jeder Rentendebatte angeführt – als Beispiel dafür, dass längeres Arbeiten in einigen Berufen nicht möglich ist.

Bei körperlich belastenden Berufen sollten wir die Menschen, die aus körperlichen Gründen nicht mehr weiterarbeiten können, möglichst gut über die Erwerbsminderungsrente absichern. Aber natürlich sind erst einmal auch die Unternehmen gefragt, etwas zu tun, damit die Menschen durchhalten können - etwa durch den Einsatz von digitalen Instrumenten oder Exoskeletten, die die Arbeit erleichtern. Oder indem andere Einsatzfelder im Betrieb gefunden werden.

Wie ist das zum Beispiel in ihrem eigenen Unternehmen?

Bei uns gibt es zum Beispiel die Aufgabe, dass ein Mitarbeiter zu Kunden fährt und kleinere Reparaturarbeiten macht. Dafür ist ein älterer Arbeitnehmer oft ideal geeignet, weil es ein Job ist, bei dem man viel Erfahrung mitbringen sollte. Gleichzeitig muss er eben nicht den ganzen Tag über schwere Gegenstände schleppen. Viele wollen lange im Job bleiben, auch für den Kontakt mit den Kollegen. Das müssen wir alle zusammen besser hinbekommen.

Akut ist das Problem mit den steigenden Krankenkassenbeiträgen. Was kann die Bundesregierung dagegen tun? 

Die Kranken müssen gut abgesichert sein. Es braucht aber ein Element im System, dass dem einzelnen Versicherten ein Signal gibt, dass er bei allem, was er im System in Anspruch nimmt, Kosten verursacht. Ob das etwa mit einer Wiedereinführung der Praxisgebühr gelingen könnte, ist eine Diskussion, die von den Fachleuten geführt werden muss.

Wo kann die Bundesregierung dem Handwerk durch Bürokratieabbau helfen?

Weg mit unnützen Dokumentationspflichten! Ein Beispiel: Wenn alle in einem Familienbetrieb gut zusammenarbeiten und keiner sich beschwert, muss doch wirklich nicht akribisch jede Pausenzeit erfasst werden, nur damit es staatlich kontrolliert werden kann.

Vielleicht trauen manche Arbeitnehmer sich nur nicht, etwas zu sagen.

Das galt vielleicht früher mal. Heute ist doch jeder Arbeitgeber froh, wenn er gutes Personal überhaupt findet und halten kann. Durch den Fachkräftemangel befinden wir uns längst in einem Arbeitnehmermarkt.

Was ist Ihr wichtigster Wunsch an Friedrich Merz?

Er muss es schaffen, dass Union und SPD gemeinsam bei ihren politischen Entscheidungen konsequent die Frage in den Mittelpunkt stellen, wie Deutschland wieder wettbewerbsfähiger wird. Wir müssen wieder um Platz eins in der Champions League mitspielen.

Das Gespräch führte Tobias Peter.

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