Dittrich: Politik muss jetzt für Handwerk und Mittelstand liefern

Foto: ZDH/Henning Schacht
Bundeskanzler Friedrich Merz hatte zum Sommer einen Umschwung zum Besseren versprochen. Wie viel Stimmungsumschwung und wie viel Verbesserung spüren Sie gerade?
Der Umschwung ist nicht zu spüren. Die Daten sagen, dass es eine leichte Zuversicht gibt. Ich würde dieses Wort gerne verändern und sagen, es ist wohl eher die Hoffnung als die Zuversicht. Der Wachstumsbooster richtet sich an Menschen, die ein hohes Einkommen haben. Aber dass deswegen die Breite des Mittelstands investiert, das kann ich noch nicht erkennen.
Nach der abgesagten Stromsteuersenkung haben Sie der Regierung Vertrauensbruch vorgeworfen. Wie wenig Vertrauen haben die Handwerker noch in die Regierung?
Es ist vollkommen unverständlich: Die CDU plakatiert im Wahlkampf, dass sie die Stromsteuer senken will. Es steht im Koalitionsvertrag, wird im Koalitionsausschuss besprochen und im Sofortprogramm festgehalten. 14 Tage später heißt es plötzlich, die Finanzierung dafür sei nicht da. Was für eine Halbwertszeit haben dann aufgeschriebene Punkte? Ob das der richtige Weg für die Energiewende ist, will ich gar nicht beurteilen. Aber Vertrauen wurde damit massiv attackiert und deswegen die klare Forderung, das noch nachzuholen.
Sind die Handwerksmeister und Gesellen wütend?
Das zerstört eben dieses Vertrauen. Im Koalitionsvertrag stehen noch viele andere Sachen, die bisher eben nicht angegangen sind und jetzt unbedingt geliefert werden müssen. Ja, es gibt Wut bei vielen Leuten. Ich bekomme viele Anrufe dazu.
Bedeutet das, dass viele Handwerksmeister und Gesellen jetzt AfD wählen?
Das Handwerk ist eine große gesellschaftliche Gruppe. Und wenn die Anteile für die AfD wachsen, dann wird das im Handwerk auch so sein. Ich habe dazu keine extra Statistik, aber es wäre Unsinn, zu glauben, dass es dort weniger ist. Wir müssen hinschauen, warum das so ist. Die Wut ist im ländlichen Bereich am größten. Dort ist die Daseinsvorsorge nicht mehr genügend im Blick. Die Schule, die Kita, der öffentliche Personennahverkehr.
Nehmen wir an, Sie sind Berater des Bundeskanzlers. Was genau würden Sie jetzt anpacken?
Leistung muss sich lohnen. Das ist ein harter Weg und es wird wieder Ärger geben, dass ich das ausspreche. Wir erreichen das, indem wir unsere sozialen Sicherungssysteme nachhaltig finanzieren und uns ehrlich machen, was wir uns leisten können und wollen. Das andere ist das Thema Bürokratie.
Müssen wir später in Rente gehen?
Der Eintritt in die Rente ist in den vergangenen Jahrzehnten schon mal nach oben gesetzt worden. Wenn die Lebenserwartung weiter steigt, ist es mit Blick auf die jüngere Generation kaum möglich zu sagen, dass das automatisch alles nur Urlaub ist. Wir müssen uns die Erwerbsbiografien angucken. Ich bin Dachdeckermeister. Viele Dachdecker können nicht bis zum 75. Lebensjahr auf dem Dach arbeiten.
Können Sie als Dachdeckermeister bis 68 arbeiten?
Wenn wir miteinander die Grundlagen dafür schaffen, bin ich überzeugt, dass dort mehr geht. Wenn wir diese Menschen nicht körperlich schon ausmergeln, wenn sie noch jung sind. Wir müssen die Hilfsmöglichkeiten Exoskelette, Robotik, KI nutzen, damit Menschen länger im Arbeitsleben sein können.
Müssen alle unter der Woche länger arbeiten?
Die Frage ist, ob Menschen anders arbeiten wollen. Als Dachdeckermeister erlebe ich, dass Menschen sagen, sie wollen zum Beispiel in ein kleines Häuschen investieren und dafür ein bisschen mehr arbeiten. Es geht darum, ob wir den Menschen zutrauen, dass sie selbst ihre Flexibilisierung in die Hand nehmen. Selbstverständlich müssen wir hinschauen, dass Menschen nicht ausgebeutet werden, aber wir müssen wieder ein Stück mehr Mut zur Freiheit und zur Flexibilität haben.
Stichwort Bürokratie: Ist das geplante Tariftreuegesetz der richtige Weg?
Das bringt jetzt erst mal wieder neue Bürokratie. Wenn ich dieser Berater des Bundeskanzlers wäre, dann würde ich sagen, dass das momentan nicht das richtige Signal ist. Wir stärken dadurch nicht die Tarifhoheit.
Wie viel macht Bürokratie an einem Arbeitstag bei Ihnen aus?
Ich überlege, ob wir mal eine Comedy-Sendung buchen sollten. Die Regelungen, über die wir sprechen, sind so absurd, dass man eigentlich nur darüber lachen muss. Man denkt, das ist ein Witz. Nehmen Sie einen Fleischerbetrieb, der seinen Fußboden fliest. Die Fliese muss laut Hygienevorschrift glatt sein, damit sie keine Keime aufnehmen kann. Der Arbeitsschutz sagt aber, die Fliese muss rau sein, damit man nicht ausrutscht. Das ist Willkür.
Was machen solche Regelungen mit dem Vertrauen in die Politik?
Sie untergraben das Vertrauen in den Rechtsstaat. Das macht mir große Sorgen. Wenn du das Gefühl hast, du kannst die Regeln sowieso nicht einhalten, dann wird es beliebig.
Inwieweit werden die beiden Mindestlohnerhöhungen dazu beitragen, dass Handwerksleistungen noch teurer werden?
Es wird definitiv teurer werden und in Verbindung mit den Sozialkosten wird es noch mehr. Es kommt noch die Umsatzsteuer obendrauf. Das wird sich in Preisen widerspiegeln. Deswegen habe ich die ernsthafte Sorge, dass die eine oder andere Leistung für den Kunden dann unbezahlbar ist. Wenn die Leistung unbezahlbar ist, findet sie nicht statt. Wenn sie nicht stattfindet, gibt es keine Sozialabgaben darauf. Wir gehen in eine Spirale hinein, die manche Leistungen eliminiert und damit auch diese Wertschöpfung komplett. Das kann nicht in unserem Interesse sein.