Aufhebung BMF-Schreiben Gebäude-AfA nach kürzerer Nutzungsdauer
Hintergrund
Mit Urteil vom 28. Juli 2021 (BFH IX R 25/19) stellte der Bundesfinanzhof klar, dass Steuerpflichtige für den Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer jede geeignete Darlegungsmethode nutzen können, soweit daraus Rückschlüsse auf technische, wirtschaftliche oder rechtliche Determinanten möglich sind: die Nachweisform dürfte nicht eingeschränkt werden.
Das aufgehobene BMF-Schreiben vom 22. Februar 2023 (BStBl 2023, 332) stellte allerdings detaillierte Anforderungen an den Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer. Diese Anforderungen stützten sich auf folgende Kernelemente:
- Option zur Abschreibung nach tatsächlicher Nutzungsdauer (Rz. 2-5): Die AfA nach der tatsächlichen Nutzungsdauer sollte nur in begründeten Ausnahmefällen möglich sein und setzte nach Auffassung des BMF eine erhebliche Mitwirkungsleistung der Steuerpflichtigen voraus (Rz. 8).
- Strenge Rechtfertigungsgründe (Rz. 6-9): Die Nutzungsdauer sei prognostisch zu bestimmen; hierzu müssten technische, wirtschaftliche und rechtliche Faktoren umfassend dargelegt werden.
- Maßgebliche Determinanten (Rz. 17-21):
- technischer Verschleiß, insbesondere der Tragstruktur,
- wirtschaftliche Entwertung,
- rechtliche Nutzungsbeschränkungen.
- Besondere Gebäudetypen (Rn. 10-16): Für Hallen in Leichtbauweise, Betriebsvorrichtungen oder Mietereinbauten konnten sich verkürzte Nutzungsdauern aus AfA-Tabellen ergeben.
- Nachweismethoden (Rz. 22-24):
- zwingendes Gutachten nur von öffentlich bestellten oder ISO-17024-zertifizierten Sachverständigen,
- detaillierte bautechnische Darstellung der Tragstruktur,
- Ausschluss von Verkehrswertgutachten und ImmoWertV-Restnutzungsdauern als tauglicher Nachweis.
Diese restriktive Verwaltungsauffassung erschwerte die praktische Anwendung des § 7 Absatz 4 Satz 2 EStG und führte bundesweit zu uneinheitlicher und streitanfälliger Anwendung.
Aufhebung durch das BMF-Schreiben vom 1. Dezember 2025
Mit Schreiben vom 1. Dezember 2025 hat das Bundesministerium der Finanzen im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder das BMF-Schreiben vom 22. Februar 2023 vollständig aufgehoben. Die niedergelegten Anforderungen des aufgehobenen BMF-Schreibens finden damit keine Anwendung mehr. Maßgeblich ist wieder der Gesetzeswortlaut des § 7 Absatz 4 Satz 2 EStG sowie die höchstrichterliche Rechtsprechung.
Auswirkungen auf die Praxis
Die Aufhebung des BMF-Schreibens führt zu einer deutlichen Entschärfung der Nachweisanforderungen und zu einer Rückkehr der BFH-Linie:
- Wegfall der Gutachterbeschränkung:
Nachweise müssen nicht mehr zwingend durch öffentlich bestellte oder ISO-17024-zertifizierte Sachverständige erbracht werden. Andere geeignete technische oder wirtschaftliche Gutachten können wieder anerkannt werden.
- Methodenfreiheit des Nachweises:
Der BFH hatte betont, dass jede geeignete Darlegungsmethode zulässig ist. Diese Freiheit war durch das Schreiben 2023 erheblich eingeschränkt worden. Mit der Aufhebung entfällt diese Einschränkung.
- Flexibilisierung der Beweiswürdigung bei den Determinanten:
Technischer Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung und rechtliche Nutzungsbeschränkungen können wieder im Rahmen der freien Beweiswürdigung vorgebracht werden, ohne dass eine starre bautechnische Tiefenprüfung der Tragstruktur zwingend erforderlich ist.
- Vereinfachung in Offenen Fällen:
Offene Steuerfälle, in denen Finanzämter Ablehnungen auf die Nachweismethoden oder die Prognoseanforderungen gestützt haben, sind erneut zu prüfen. Die Erfolgsaussichten von Einsprüchen steigen deutlich.
Einordnung
Mit der Aufhebung des BMF-Schreibens vom 22. Februar 2023 kehrt die Verwaltungspraxis zu einer der BFH-Rechtsprechung entsprechenden stärker einzelfallbezogenen Auslegung des § 7 Absatz 4 Satz 2 EStG zurück. Für Steuerpflichtige bedeutet dies geringere formelle Hürden, einen breiteren Kreis zulässiger Nachweismethoden und eine spürbare Entlastung bei der Durchsetzung einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer. Nicht ausgeschlossen ist, dass das BMF zu einem späteren Zeitpunkt erneut ein BMF-Schreiben zur Thematik vorlegt.