Wirtschaftspolitik muss stärker auf Mittelstand fokussiert sein

Foto: ZDH/Henning Schacht
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich freue mich sehr, Sie heute hier in Potsdam begrüßen zu dürfen. Diese Stadt – geprägt von ihren prachtvollen Schlössern, weitläufigen Gärten und dem UNESCO-Welterbe – steht wie kaum ein anderer Ort für das bewusste Bewahren und Wiederherstellen historischer Strukturen. Als Modellprojekt für eine Smart City vereint Potsdam Tradition und Zukunftsorientierung auf besondere Weise. Es ist also ein idealer Rahmen für unsere diesjährige Herbst-Hauptgeschäftsführerkonferenz des Deutschen Handwerkskammertages (DHKT) und für einen Blick auf die aktuelle Lage und die Perspektiven des Handwerks.
Die Handwerksbetriebe, die Handwerkerinnen und Handwerker im ganzen Land, geben Tag für Tag ihr Bestes, in Zeiten, die herausfordernder sind denn je. Viele von ihnen fühlen sich jedoch durch die politische und wirtschaftliche Lage zunehmend verunsichert und belastet. Sie wünschen sich, dass ihre Anliegen und Herausforderungen gesehen und stärker in den Mittelpunkt der politischen Entscheidungen rücken. Dabei geht es um faire Rahmenbedingungen, um eine Wirtschaftspolitik, die die Breite unserer mittelständischen Wirtschaft in den Blick nimmt und vor allem auch kleinen und mittleren Betrieben Planungssicherheit gibt.
Das Handwerk steht in besonderer Weise für Verantwortung, regionale Verbundenheit und soziale Stabilität. Umso wichtiger ist es, dass wirtschaftspolitische Entscheidungen nicht nur auf die großen Konzerne zielen, sondern immer kleine und mittlere Betriebe mit ihren ganz spezifischen Erfordernissen mitdenken. Das sind die Betriebe, die vor Ort ausbilden, investieren und Werte schaffen.
Im engen Austausch mit der Bundesregierung und auch auf europäischer Ebene – zuletzt in Gesprächen mit Bundeskanzler Friedrich Merz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen – haben wir immer wieder betont: Eine starke, wettbewerbsfähige Wirtschaft ist das Fundament für gesellschaftlichen Zusammenhalt, internationale Handlungsfähigkeit und Sicherheit. Diese Wirtschaftsstärke erwächst aus dem Kreis der vielen kleinen und mittleren Betriebe, insbesondere auch im Handwerk.
Doch diese Mitte steht unter Druck. Die Belastungen durch immer weiter steigende Sozialabgaben, eine nach wie vor fesselnde Bürokratie, hohe Energie- und Materialpreise bringen viele Handwerksbetriebe an die Grenzen der wirtschaftlichen Tragfähigkeit ihrer Geschäftsmodelle. Da Sozialversicherungsbeiträge überwiegend lohnbezogen erhoben werden, treffen Lohnzusatzkosten von über 42 Prozent insbesondere das personalintensive Handwerk und wirken sich direkt auf die Wettbewerbsfähigkeit aus. Sie engen die Investitionsspielräume ein, und das in einer Zeit, in der Investitionen dringend gebraucht werden: in Bildung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Gleichzeitig haben dadurch auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer weniger finanzielle Spielräume.
Deshalb braucht es jetzt gemeinsame Anstrengungen, um die wirtschaftliche Dynamik wieder zu beleben. Wir alle wissen: Eine Politik, die auf Verlässlichkeit, Vereinfachung und Entlastung setzt, schafft Vertrauen.
Vertrauen ist die wichtigste Währung in wirtschaftlich unsicheren Zeiten. Es braucht daher unbedingt wieder Vertrauen in die Verlässlichkeit und Problemlösekompetenz der Politik. Denn das ist, wie Umfragen zeigen, nicht mehr selbstverständlich.
Auch die Handwerkskonjunktur zeigt ein gemischtes Bild. Nach einer leichten Aufhellung im Frühjahr erwarten viele Betriebe für die zweite Jahreshälfte eine weitgehend stabile, aber nicht zufriedenstellende Entwicklung: eine Seitwärtsentwicklung bei Auftragslage, Umsatz und Beschäftigung.
Belastend wirken weiterhin die geopolitischen Unsicherheiten und eine Politik der Bundesregierung, die bisher im Alltag der Betriebe noch zu wenig spürbare Erleichterungen gebracht hat. Das sorgt für Frust, der Frustpegel steigt. Das erleben wir in der Organisation leider tagtäglich direkt in den Gesprächen, die wir führen. Statt der im Wahlkampf und letztendlich auch im Koalitionsvertrag versprochenen konkreten Entlastungen und Zusagen zu Kostensenkungen und zum Bürokratieabbau, stellen die Betriebe fest, dass die Sozialabgaben weiter steigen, das neue bürokratische Regelungen hinzukommen. Die Bundesregierung muss jetzt – auch emotional – das wichtige Signal senden, dass sie verstanden hat, was den Betriebsalltag erschwert.
Dabei werden besonders Handwerksbetriebe gebraucht, damit die zentralen Zukunftsaufgaben gelingen können: Fachkräftesicherung, digitale und technische Transformation, Nachhaltigkeit und Klimaschutz, Energie- und Mobilitätswende, Wohnungsbau und Infrastrukturausbau. Das alles wird nur mit Handwerkerinnen und Handwerkern zu machen sein.
Auf der Hauptgeschäftsführerkonferenz werden wir wieder die gute Gelegenheit haben, uns darüber auszutauschen, denn im Deutschen Handwerkskammertag versammeln wir die Perspektiven aus den unterschiedlichen Regionen Deutschlands. Was überall festzustellen ist: Der Bedarf an qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bleibt hoch.
Die Betriebe investieren gleichzeitig weiter in ihre Ressourcen in der Ausbildung: Zwischen Januar und September 2025 sind über 127.000 Ausbildungsverträge in die Lehrlingsrollen der Handwerkskammern neu eingetragen worden. Das waren 1,1 % mehr Neuverträge als im Vorjahreszeitraum. Ein gutes Zeichen! Es zeigt, dass das Handwerk Verantwortung für junge Menschen, für die Regionen, für die Zukunft übernimmt. Und es zeigt zugleich, dass das Handwerk für junge Menschen attraktiv ist.
Damit Ausbildung gelingen kann, braucht sie stabile Rahmenbedingungen. Die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung darf kein Lippenbekenntnis bleiben. Das geplante DQR-Gesetz muss jetzt kommen. Es wäre ein wichtiger Schritt, der dann aber zudem von einer auskömmlichen Finanzierung der beruflichen Bildung flankiert werden muss. In den handwerklichen Bildungszentren, den Hochschulen des Handwerks, besteht ein enormer Investitionsstau. Dort muss auch aus dem Sondervermögen investiert werden, damit sie auch künftig attraktive Lernorte auf dem neuesten technologischen Niveau bleiben. Denn: Berufliche Bildung ist keine Nebenlinie, sie ist ein zentraler Zukunftsfaktor für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Gerade in Zeiten der digitalen Transformation entscheidet sich hier, ob wir den Anschluss halten. Das Handwerk zeigt, wie mit KI-gestützten Anwendungen, digitalisierten Prozessen und nachhaltigen Produktionsmethoden Innovation aus Tradition entstehen kann. Das ist gelebte Zukunftsfähigkeit.
Der Herbst wird nun zu einer wichtigen Wegmarke für die neue Bundesregierung. Es kommt jetzt darauf an, auch innenpolitisch klare Akzente zu setzen. Deutschland braucht endlich einen neuen Kurs, der Wachstum ermöglicht, Bürokratie abbaut und die Wettbewerbsfähigkeit stärkt. Das Handwerk ist bereit, diesen Weg mitzugehen und mitzugestalten.
Ich gebe das Wort nun an den Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Potsdam, Herrn Ralph Bührig.