Verantwortung übernehmen, Zukunft gestalten

Foto: ZDH/Henning Schacht
Was bedeutet das Doppeljubiläum 75 Jahre ZDH und 125 Jahre Handwerkskammern für Sie?
Ein Jubiläum ist immer auch ein Moment der Besinnung. Es lädt dazu ein, zurückzuschauen und zugleich mit klarer Haltung nach vorne zu blicken. 125 Jahre Handwerkskammern und 75 Jahre ZDH sind weit mehr als beeindruckende Zahlen. Sie sind Ausdruck von Stabilität, stehen für Eigenverantwortung und den Willen zur Mitgestaltung. Die Gründung der Handwerkskammern vor 125 Jahren war ein Meilenstein. Die Kammern entstanden aus dem Wunsch, das Handwerk zu organisieren, zu stärken und eine gemeinsame Stimme zu finden. Menschen haben sich zusammengetan, um Verantwortung für ihre Berufe, ihre Ausbildung und die nächste Generation zu übernehmen. Vor 75 Jahren wurde der ZDH als Antwort auf die gesellschaftlichen Herausforderungen der Nachkriegszeit ins Leben gerufen. Dass Kammern damals noch vor der Gründung der Bundesrepublik wieder ihre Arbeit aufgenommen haben, zeigt, welche Gestaltungskraft in der Selbstorganisation des Handwerks liegt. Demütig schaue ich auf die Leistung der Vorfahren und entnehme dort Kraft und Pflicht, das Privileg der Teilhabe auch für unsere Nachfahren in die Zukunft zu tragen.
Was sind aus Ihrer Sicht wichtige Aufgaben, die der ZDH und die Kammern als Interessenvertretung übernehmen?
Wir vertreten die Interessen von über einer Million Betrieben und deren 5,6 Millionen Beschäftigten. Das geschieht nicht abstrakt, sondern konkret. Wir bringen das Wissen aus der Praxis und die Perspektiven aus dem Handwerk in politische Entscheidungsprozesse ein. Wir im Handwerk sind keine Zuschauer der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung, wir sind Akteure. Ob beim Thema Ausbildung, Fachkräftesicherung, Energiepolitik oder Digitalisierung: Die im ZDH zusammengeschlossenen Kammern und Verbände sorgen dafür, dass die Stimme des Handwerks gehört wird. Vor allem findet dort die Organisation der beruflichen Bildung statt. Mit rund 350.000 Auszubildenden stellt das Handwerk gemessen an seiner Wirtschaftskraft überdurchschnittlich viele Ausbildungsplätze zur Verfügung. Eine gewaltige gesellschaftliche Leistung, die leider zu wenig Wertschätzung erfährt. Wir setzen uns dafür ein, dass das anders wird. Handwerksbetriebe brauchen faire Rahmenbedingungen. Auch dafür sind wir in Haupt- und Ehrenamt strategisch unterwegs.
Welchen Stellenwert hat das Ehrenamt für Sie persönlich und für die Kammern insgesamt?
Das Ehrenamt ist das Herzstück unserer Organisation. Es steht für Zusammenhalt, Verantwortung und Erfahrung der gesamten Gesellschaft. Die Zahlen sind beeindruckend. Über 300.000 Ehrenamtliche engagieren sich allein im Handwerk, etwa in Prüfungsausschüssen, Gremien und Organisationen des Handwerks. Nur durch ihren Einsatz funktioniert das System. Sie machen die duale Ausbildung erst möglich, sichern Standards und geben ihr Wissen weiter. Und sie tun das nicht für sich, sondern für die nächste Generation. Das ist gelebte Solidarität. Für mich persönlich ist dieses Engagement ein Beweis dafür, wie stark die Gemeinschaft des Handwerks ist, und wie bedeutsam sie für unsere Gesellschaft und unser Land ist. Ich spreche deswegen häufig von der Handwerksfamilie, weil man hier sieht, dass wir in Generationen denken. So wie das in der Familie auch passiert.
Welche Rolle spielt die Selbstverwaltung der Kammern in diesem Zusammenhang?
Die Selbstverwaltung ist das Fundament des Handwerks. Sie steht für Mitgestaltung, für Eigenverantwortung, für Teilhabe. Entscheidung durch die Betroffenen. Das Prinzip der Subsidiarität ist hier sichtbar. Das heißt, Betriebe und Beschäftigte gestalten ihren Berufsstand aktiv mit. Die Handwerkskammern sind keine bloßen Verwaltungsapparate. Sie sind Orte, an denen Verantwortung übernommen wird. Dieses Prinzip funktioniert seit über einem Jahrhundert und hat sich in Krisen als besonders tragfähig erwiesen. Es ist ein demokratisches Modell, das wir bewahren und weiterentwickeln müssen. Gerade in einer Zeit, in der das Vertrauen in Institutionen vielerorts schwindet.
Was wünschen Sie sich für die kommenden Jahre in der Zusammenarbeit zwischen Kammern, Betrieben und dem ZDH?
Ich wünsche mir, dass wir selbst erkennen, welchen Schatz wir mit unserer Organisation in den Händen halten. Viele andere Länder beneiden uns darum. Es ist unsere Aufgabe, diese Organisation zu bewahren und weiterzuentwickeln für die Zukunft. Gemeinsam müssen wir mutig vorangehen, so wie es unsere Vorfahren getan haben, als sie vor 125 Jahren die Kammern gründeten. Wir müssen uns und unsere Strukturen hinterfragen, um sie an veränderte Einflüsse anzupassen und ohne zu vergessen, was uns stark gemacht hat. Was hat uns stark gemacht? Nähe, Vertrauen und das Bewusstsein, dass wir als große Handwerksfamilie mehr bewegen können als jede Institution für sich. Die Zusammenarbeit zwischen ZDH, Kammern und Betrieben ist stark. Sie ist das Ergebnis vieler Jahre engagierter Arbeit. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass wir das Handwerk nicht nur als Wirtschaftssektor begreifen, sondern auch als gesellschaftliche Kraft. Als Ort, an dem Werte weitergegeben werden. Als Raum, in dem Verantwortung übernommen wird. Und als Beispiel dafür, wie Demokratie im Alltag funktionieren kann. Wenn mein kleiner Sohn mich fragt, wie Europa aussieht, wenn er einmal erwachsen ist, möchte ich immer sagen können: Wir übernehmen als Handwerkerinnen und Handwerker unseren Teil der Verantwortung. Nicht nur für unseren Beruf, sondern für das große Ganze: für die Gesellschaft, für Europa und für die Chancen auch seiner Generation.