"Lassen Sie sich zu Ihrem und zum Betriebe-SCHUTZ impfen!"

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"Wer will, dass sein Betrieb oder Unternehmen endlich corona-uneingeschränkt arbeiten und ausbilden kann, der sollte sich impfen lassen! Persönlicher Gesundheitsschutz durch die Impfung ist zugleich BetriebeSCHUTZ", betont ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer im Gespräch mit Olaf Gersemann und Christine Haas von der WELT.
Herr Wollseifer, jetzt kommt wohl bundesweit 3G: Zur Arbeit soll nur noch kommen dürfen, wer geimpft, genesen oder getestet ist. Sind Sie zufrieden?
Ein Auskunftsrecht zum Corona-Status der eigenen Beschäftigten, auf das man sich wohl zumindest mittelbar verständigen wird, war längst überfällig und von uns schon lange gefordert. Viele Kunden sagen uns: Schicken Sie mir keinen, der nicht geimpft ist. Eine ganze Reihe von Handwerksbetrieben haben Aufträge verschieben oder ablehnen müssen, weil sie den Impfstatus ihrer Beschäftigten gar nicht kennen. Nur wenn wir hier Bescheid wissen, können wir darauf basierend Hygienekonzepte organisieren und für den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz sorgen.
Werden die Betriebe die Tests bereitstellen?
Das tun sie ja bereits umfangreich. Viel testen ist auch gut. Aber wenn jetzt noch mehr testen eingefordert wird, können das natürlich nicht allein unsere Betriebe noch zusätzlich übernehmen. Wir sind gegen eine Ausweitung der bisherigen Testangebotspflicht von wöchentlich zwei Tests auf fünf Tage in der Woche. Sonst macht sich der Staat einen schlanken Fuß auf Kosten der Betriebe. Drei der fünf Tests werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über für sie kostenlose Bürgertests machen müssen.
Und 3G?
Da sind wir nicht grundsätzlich dagegen. Bei vielen eher kleinen Betrieben dürfte der Kontrollaufwand vergleichsweise überschaubar bleiben. Aber bei den Betrieben etwa der Gebäudereinigung oder im Bauhandwerk, bei denen die meisten Beschäftigten direkt zu den Baustellen und dann oft noch zu täglich wechselnden Objekten und Arbeitsorten fahren, dürfte es extrem schwierig werden. Wie will man das denn kontrollieren? Es ist noch völlig ungeklärt, wie diese verlangten täglichen Kontrollen pragmatisch durchgeführt und nachgewiesen werden können.
Brauchen wir auch deshalb am Ende doch eine Impfpflicht?
Ich persönlich und wir als ZDH verlangen keine Impfpflicht. Denn natürlich hat jeder grundsätzlich das Recht zu entscheiden, was mit seinem Körper passiert. Aber ich appelliere dringend an alle Ungeimpften, sich impfen zu lassen. Wer will, dass sein Betrieb oder Unternehmen endlich corona-uneingeschränkt arbeiten und ausbilden kann, der sollte sich impfen lassen! Persönlicher Gesundheitsschutz durch die Impfung ist zugleich BetriebeSCHUTZ! Und man muss natürlich auch immer das Umfeld sehen.
Und das soll heißen?
Na ja, wenn wirklich eine Überbelastung der Krankenhäuser droht, dann wird es am Ende vermutlich – zumindest für spezifische Berufe und Tätigkeitsbereiche – nicht anders gehen.
Es ginge auch anders – über einen Lockdown für Ungeimpfte mittels 2G-Regeln.
Der Begriff Lockdown für Ungeimpfte führt nach meiner Meinung in die Irre. Es geht doch darum, dass Geimpfte und Genesene ihre Freiheiten behalten. Ungeimpft zu sein, das ist eine freie Entscheidung, dann eben aber auch eine freie Entscheidung, die entsprechenden Konsequenzen zu akzeptieren und gegebenenfalls dann auch Einschränkungen hinnehmen zu müssen.
Neben dem Management der Corona-Lage müssen die Ampel-Parteien einen Koalitionsvertrag für die nächsten vier Jahre aushandeln. Fürchten Sie zu viel Klein-Klein?
Der Koalitionsvertrag muss so viel Luft lassen, dass Raum für Neubewertungen bleibt. Von Klimaschutz bis Demografie – die Dinge ändern sich so rasant, dass man zu Beginn von vier Jahren Regierungszeit inzwischen nicht wirklich wissen kann, welche politischen Entscheidungen und Maßnahmen im Lauf der Zeit nötig werden. Wenn ich in meinem Betrieb Verträge schließe, steht am Ende meistens eine salvatorische Klausel. Die besagt, dass alles, was nicht ausdrücklich im Vertrag steht, nachträglich im Sinne des Verabredeten geregelt werden kann.
Die Parteien wollen massiv investieren in Infrastruktur, Wohnungsbau und Klimaschutz. Ist das Handwerk überhaupt in der Lage, das zu stemmen?
Das Handwerk ist dazu in der Lage, wenn die Regierung die entsprechenden Rahmenbedingungen setzt. In Bereichen wie Klimaschutz, Energieeffizienz, Bauen und Wohnen muss unwahrscheinlich viel passieren – da brauchen wir weniger Bürokratie und Dokumentationspflichten. Unsere Leute wollen einfach nur arbeiten und ihren Beitrag leisten, Umsatz machen und dadurch ja auch Steuern und Sozialabgaben generieren. Dafür brauchen wir ein modernes Steuerrecht und große Sozialreformen.
Welche großen Reformen meinen Sie?
Das fängt schon bei der Rente an. Wenn alles so bleibt wie es ist, müssen die Jungen einen hohen Preis dafür zahlen, dass die Alten gut leben. Das ist neben dem Klimawandel eine Last für die junge Generation, die sie nicht stemmen kann. Deshalb dürfen wir nicht länger herumeiern, sondern Klartext reden: Die Finanzierung des Rentensystems muss auf den Prüfstand und beispielsweise versicherungsfremde Leistungen vollständig steuerfinanziert werden. Anders geht es nicht. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie man noch konsequenter Steuerschlupflöcher für internationale Konzerne stopft und so sicherstellt, dass alle Unternehmen leistungsgerecht zur Besteuerung herangezogen werden. Da geht es nicht nur um große Digitalunternehmen, sondern auch große deutsche Konzerne. Da muss man wirklich den Mut haben, Reformen durchzusetzen.
Wie soll das konkret gehen – sollen Daimler und Google dann höhere Steuern als Handwerksbetriebe zahlen?
Wenn Konzerne zumindest schon einmal gleich viel Steuern zahlen würden und wenn internationale digitale Unternehmen auch vor Ort Steuern zahlen würden, wie es unsere Handwerksbetriebe tun, wären wir schon ein Stück weiter. Unsere Betriebe sind ganz überwiegend Personengesellschaften. Ihre Unternehmenssteuer ist die Einkommensteuer mit Steuertarifen, die dann häufiger schon einmal über denen von Kapitalgesellschaften liegen. Wenn endlich die Besteuerung der thesaurierten Gewinne bei Personenunternehmen deutlich verbessert und im Betrieb und Unternehmen belassene Gewinne günstiger besteuert werden, würde das zudem unseren Betrieben zu Mitteln verhelfen, um nötige Investionen zu stemmen. Ebenfalls sollte die Verlustverrechnung verbessert werden, um so Betrieben, die durch Lieferengpässe oder die Corona-Krise besonders betroffen sind, kurzfristig und unbürokratisch Liquidität zu verschaffen.
Fest steht schon, dass die Ampel den Mindestlohn auf zwölf Euro erhöhen will. Wie viele Handwerksbetriebe sind davon betroffen?
Die Lage ist in unseren Branchen sehr unterschiedlich. In Bereichen wie beispielsweise dem Hoch- und Tiefbau ist das Lohnniveau sehr hoch. Da sind schon die Vergütungen in der Ausbildung mit die allerhöchsten in Deutschland – höher als bei Banken, Versicherungen und Co. Am unteren Ende der Spirale sind aber viele Helferjobs betroffen. In der gesamten deutschen Wirtschaft werden fast 200 Tarifverträge obsolet durch den Mindestlohn.
Hinzu kommt, dass einige der branchenspezifischen Mindestlöhne im Handwerk nur geringfügig über der 12-Euro-Grenze liegen – etwa bei Dachdeckern.
Ja, den Lohnabstand zu wahren ist ein großes Thema. Wer jetzt nur einen oder zwei Euro über der 12-Euro-Marke liegt, wird bei einer entsprechenden Erhöhung des Mindestlohns ebenfalls mehr fordern. Da kommt ein riesiger Stein ins Rollen. Der Mindestlohn wird zum Spielball der Politik. Wenn man die Lohnuntergrenze jetzt zum zweiten Mal gesetzlich festlegt, dann ist die Gefahr groß, dass das auch ein drittes und viertes Mal geschieht. Und da sind wir entschieden gegen. Das sollte frei von politischen Einflüssen bleiben. Man sollte wirklich den Experten von Gewerkschaften und Arbeitgebern diese Fragen überlassen – so, wie es in der Mindestlohnkommission bislang in bewährter Weise der Fall ist. Denn die berücksichtigen die aktuelle Branchensituation und die regionalen Besonderheiten angemessen. Und im Hochbau ist das nun einmal anders als bei einem Maßschneider, und in Frankfurt an der Oder anders als in Frankfurt am Main.
Mit welchen negativen Effekten rechnen Sie bei einem Sprung auf zwölf Euro?
Es kommt vielleicht nicht die große Entlassungswelle. Aber strukturschwache Regionen wird das treffen – und die gibt es längst nicht nur in Ostdeutschland. Viele Betriebe werden sich überlegen, ob sie sich ihr Personal wie geplant leisten können. Und dann stellen sie Menschen nicht ein, die sie sonst eingestellt hätten. Da werden auch Auszubildende nicht aufgenommen, die sonst eine Chance bekommen hätten. Das kann nicht zum Erfolg führen.
Ist es nicht eher so, dass Sie schon jetzt viel zu wenig Menschen für das Handwerk begeistern können?
Keine Frage: Wir haben nicht genügend Nachwuchs. Wir versuchen natürlich, mit Imagekampagnen und über Social Media die jungen Menschen zu erreichen. Aber die Gesellschaft verschließt sich hier ein Stück weit. Es gibt zu wenig Wertschätzung für die berufliche Bildung. Dabei ist niemandem geholfen, wenn 55 Prozent der jungen Leute anfangen zu studieren und mehr als Hunderttausend jedes Jahr abbrechen. Die bräuchten wir im Handwerk und hier könnten sie richtig gut Karriere machen.
Die Klage gibt es seit Jahren. Was muss sich konkret ändern?
An den Gymnasien muss die berufliche Bildung mit all ihren Möglichkeiten und Perspektiven genauso vorgestellt werden wie die akademische. Eine solche flächendeckende Berufsorientierung fehlt bisher. Viele Jugendliche erfahren so gar nicht, welche neuen, klima- und zukunftsrelevanten Berufe es im Handwerk gibt. Und wie digital und modern die sind. Und die wissen auch nichts über die Fortbildungsmöglichkeiten, die dann natürlich auch entsprechende Verdienste bringen: Es gibt Ausbildungsberufe, in denen man schnell Karriere machen kann. Los geht's mit der Facharbeiterausbildung, dann folgt der Meister, wo man oft schon so viel oder sogar mehr als ein Bachelorabsolvent verdienen kann. Und wer einen Betrieb übernimmt oder sich selbstständig macht, kann noch ganz andere Summen erreichen. Das müssen die Leute wissen. Politik muss beruflicher Bildung endlich eine Wertschätzung entgegenbringen, die der akademischen gleichwertig ist – auch finanziell. Und deshalb brauchen wir einen Berufsbildungspakt, der dafür sorgt, dass zumindest genauso viel Geld hierher fließt wie in die Hochschulen. Wenn das nicht gelingt, gehen uns die qualifizierten Fachkräfte aus. Als Folge müsste die Politik ihre Pläne zu Klimaschutz und Co. dann vermutlich um ein paar Jahre verschieben.
Auch private Kunden müssen schon jetzt lange auf Handwerker warten.
Ja, bei Bau und Ausbau sind wir schon bei rund drei Monaten Wartezeit. Im Gesamtdurchschnitt sind es jetzt wieder rund 9 Wochen. Und das könnte deutlich zunehmen, wenn sich an Fachkräfte-Problemen und Bürokratie nichts ändert.
Wie schlimm sind die Materialengpässe momentan?
Es fehlt an allem – vom Papier über Elektronikchips bis zu allen Baumaterialien. Aber wenn wir jetzt nicht einen Produktionsstopp bekommen durch die vierte Corona-Welle, dann bin ich zuversichtlich, dass die Produktionskapazitäten und globalen Logistikketten in der ersten Jahreshälfte 2022 wieder so aufgebaut sein werden, dass das meiste verfügbar ist. Nur bei Elektronikchips bin ich sehr verhalten. Da wird es wahrscheinlich noch bis Ende des nächsten Jahres dauern.
Was sollte die Politik in dieser Lage tun, damit sich die Lage entspannt?
Politik ist vor allem aufgefordert, die Auswirkungen dieses globalen Problems auf unsere Betriebe abzufedern. Unsere Betriebe berichten uns, dass private und gewerbliche Auftraggeber offenbar dazu bereit sind, die steigenden Kostenbelastungen mitzutragen. Öffentliche Auftraggeber hingegen – gerade auch auf kommunaler Ebene - lassen unsere Betriebe hier weitgehend im Regen stehen, nur in 6 Prozent der Fälle werden Kostensteigerungen zumindest anteilig mitgetragen. Bei Neuausschreibungen werden nur bei 10 Prozent Preisgleitklauseln angeboten. Wir setzen uns aktuell intensiv dafür ein, im Haushaltsrecht Klarheit zu schaffen, dass öffentliche Auftraggeber bei laufenden Verträgen auch einen Teil der Mehrkosten übernehmen können. Denn es dürfte wohl kaum im Interesse der Kommunen sein, Unternehmen in die Insolvenz zu treiben, nur weil man darauf besteht, dass Verträge erfüllt werden, die betriebswirtschaftlich nicht mehr darstellbar sind. Und wir raten unseren Betrieben, bei neuen Verträgen Preisgleitklauseln einzuarbeiten. Dass Aufträge nicht zu Verlustgeschäften werden, daran müsste Kommunen wie Betrieben gleichermaßen gelegen sein. Schließlich erwirtschaften die Betriebe die Gewerbesteuer, auf die die Kommunen maßgeblich angewiesen sind.