Handwerksorganisationen verschaffen dem Handwerk Gehör

Foto: ZDH/Henning Schacht
Herr Dittrich, 75 Jahre Zentralverband des Deutschen Handwerks und 125 Jahre Handwerkskammern. Das sind zwei starke Jubiläen. Warum braucht das Handwerk gerade jetzt eine kraftvolle Interessenvertretung?
Handwerkskammern, Verbände und ZDH stehen für Stabilität, Eigenverantwortung und den Willen, die Zukunft aktiv zu gestalten. Wir vertreten über eine Million Handwerksbetriebe mit 5,6 Millionen Beschäftigten und bringen das Wissen aus der Praxis in politische Entscheidungsprozesse ein. Ob Ausbildung, Fachkräftesicherung, Energiepolitik, Digitalisierung oder der derzeit dringend notwendige Reformbedarf der sozialen Sicherungssysteme: Die Handwerksorganisationen sorgen dafür, dass die Stimme des Handwerks gehört wird.
Selbstverwaltung und Ehrenamt sind feste Säulen im Handwerk. Welchen Mehrwert hat dieses Modell für Betriebe, Beschäftigte und Auszubildende?
Das Ehrenamt ist das Herzstück unserer Organisation und unserer Gesellschaft. Es steht für Zusammenhalt, Verantwortungsbewusstsein und einen immensen Erfahrungsschatz. Über 300.000 ehrenamtliche Prüferinnen und Prüfer engagieren sich bundesweit in allen Wirtschaftsbereichen in der beruflichen Bildung. Ohne ihre Zeit, ihr Wissen und ihren Einsatz gäbe es das System der dualen Ausbildung in dieser Form nicht. Dieses Engagement ist gelebte Solidarität und zugleich Ausdruck einer besonderen Stärke des Handwerks: Wir denken nicht in Quartalszahlen, sondern in Generationen. Für mich persönlich ist das ein Beweis, dass das Handwerk mehr ist als ein Wirtschaftszweig: Es ist eine große Gemeinschaft. Darum spreche ich so häufig von der "Handwerksfamilie".
Viele Handwerkerinnen und Handwerker sind im Alltag stark gefordert. Warum lohnt es sich Ihrer Erfahrung nach, trotzdem Zeit und Energie in ein Ehrenamt in der Handwerksorganisation zu investieren?
Im Ehrenamt geht es nicht nur um die eigene Werkstatt oder den eigenen Betrieb, sondern um die Gesellschaft. Wer sich in der Handwerksorganisation engagiert, gestaltet die Zukunft mit: sei es in Prüfungsausschüssen, in der Innung oder in der Vollversammlung. Sicherlich fordert ein solches Ehrenamt viel Zeit und Engagement, aber man bekommt im Ehrenamt auch sehr viel zurück: nicht in Form von Geld, sondern durch Wertschätzung, Wissenstransfer, durch Austausch mit Kolleginnen und Kollegen und durch die Erfahrung, etwas bewegen zu können.
Welche Möglichkeiten sehen Sie, um junge Handwerkerinnen und Handwerker frühzeitig für das Ehrenamt zu begeistern?
Junge Menschen wollen Verantwortung übernehmen, wenn man ihnen Vertrauen schenkt und ihnen zeigt, dass ihre Stimme zählt und sie etwas bewirken können. Deshalb ist es wichtig, sie frühzeitig einzubinden, sei es in Prüfungsausschüssen, als Jugendvertreter oder über spezielle Nachwuchsprogramme. Wer erlebt, dass er nicht nur "dabeisitzt", sondern tatsächlich etwas gestalten kann, bleibt auch langfristig dabei. Dazu kommt: Junge Handwerkerinnen und Handwerker bringen eine wertvolle Perspektive mit. Sie denken oft digitaler, vernetzter und haben ein gutes Gespür für die Erwartungen ihrer eigenen Generation. Es ist unser Auftrag, Gremienarbeit den neuen Gegebenheiten anzupassen, damit junge Leute mitarbeiten wollen.
Was braucht es – auch von der Politik –, damit das ehrenamtliche Engagement im Handwerk auch in der Zukunft lebendig bleibt?
Zunächst einmal Wertschätzung und Wirksamkeit. Ehrenamtliche müssen spüren, dass ihr Einsatz gesehen wird und etwas bewirkt: in der Branche, in der Gesellschaft und vonseiten der Politik. Und natürlich müssen die Rahmenbedingungen stimmen, die Engagement erleichtern. Wer neben Betrieb und Familie noch ehrenamtlich aktiv ist, muss Zeit und Ressourcen investieren. Politik und Verwaltung können hier entlasten, zum Beispiel durch flexible Regelungen für Freistellungen, Schulungen oder bürokratische Entlastung.
Kurzinfos
Jörg Dittrich ist Dachdeckermeister, Diplom-Hochbauingenieur und seit dem 1. Januar 2023 Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH). Seit 2012 ist er Präsident der Handwerkskammer Dresden. Er wurde am 1. August 1969 in Dresden geboren, ist parteilos und Vater von sechs Kindern. Als Geschäftsführer der Dachdeckermeister Claus Dittrich GmbH & Co. KG in Dresden mit Standorten auch in Berlin, Heidenau und Sehmatal beschäftigt er mehr als 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Mit dem ZDH als Spitzenverband der deutschen Wirtschaft hat das Handwerk eine starke Stimme, die sich für die Interessen von 1 Million Handwerksbetrieben mit rund 5,6 Millionen Beschäftigten und 340.000 Auszubildenden einsetzt. Der ZDH bündelt die Arbeit von 53 Handwerkskammern, rund 50 Fachverbänden des Handwerks auf Bundesebene sowie wirtschaftlichen und sonstigen Einrichtungen des Handwerks in Deutschland.