Freiwilliges Handwerksjahr als Brücke in den Beruf

Foto: ZDH/Henning Schacht
Was halten Sie von der möglichen Wiedereinführung der Wehrpflicht bzw. eines sozialen Pflichtjahres?
Sicherheits- und gesellschaftspolitische Fragestellungen müssen faktenbasiert beantwortet werden. Ob zur Stärkung der Wehrhaftigkeit unseres Landes eine Wiedereinführung der Wehrpflicht geboten ist oder ob eine solche Stärkung auf freiwilligem Weg zu erreichen ist, liegt in der Verantwortung der Bundesregierung. Entscheidend ist dabei eine Abwägung sicherheits-, gesellschafts- und wirtschaftspolitischer Aspekte. Unabhängig davon befasst sich das Handwerk intensiv mit der Frage, wie junge Menschen für gesellschaftliches Engagement und berufliche Orientierung gleichermaßen gewonnen werden können. In diesem Zusammenhang haben sich Modelle wie das „Freiwillige Handwerksjahr“ als vielversprechend erwiesen, etwa in Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg oder in der Pfalz.
Wo sehen Sie Vor-, wo Nachteile?
Ein verpflichtender Dienst könnte zwar den Berufseinstieg vieler junger Menschen verzögern, und es wäre möglicherweise im Jahr der Einführung mit einem Rückgang bei den Bewerberzahlen auf die von Handwerksbetrieben angebotenen Ausbildungsplätze zu rechnen. Doch gleichzeitig eröffnet ein Jahresdienst – besonders einer mit berufspraktischem Fokus – große Chancen und kann dazu beitragen, Brücken zu bauen: zwischen Schule und Ausbildung, zwischen gesellschaftlichem Engagement und beruflicher Orientierung. Das Handwerk bietet in verschiedenen Gewerken viele sinnstiftende Tätigkeitsfelder, etwa in der Denkmalpflege oder im Bereich klimaschonender Gebäudetechnik. Der Bundesfreiwilligendienst ließe sich hier gezielt erweitern, um jungen Menschen wertvolle Erfahrungen zu ermöglichen. Wer sich dort bewährt, dem fällt der Einstieg in eine Ausbildung oft leichter.
Welche Herausforderungen gäbe es?
Die Herausforderung liegt vor allem in der Sicherung des Berufsnachwuchses. Der Fachkräftebedarf im Handwerk ist groß, viele Betriebe suchen Auszubildende und freuen sich, wenn sie junge Menschen für ihr Gewerk begeistern können. Nötig sind tragfähige Konzepte, die gesellschaftliches Engagement nicht in Konkurrenz zur beruflichen Integration stellen. Ein strukturiertes „Freiwilliges Handwerksjahr“ kann hier ein echter Baustein sein: Es ist freiwillig, praxisnah und förderlich für die Berufsorientierung. So können gesellschaftliches Engagement und berufliche Entwicklung Hand in Hand gehen, was langfristig den Fachkräftenachwuchs stärkt.
Welche Folgen könnte es für Unternehmen haben, wenn junge Menschen erstmal ein Jahr nicht arbeiten können?
Sicherlich würde es zunächst eine Lücke im Ausbildungsjahrgang bedeuten, also weniger Bewerbungen, unbesetzte Lehrstellen, geringere Planungssicherheit. Wenn unmittelbar nach Abschluss der Lehre ein Pflichtdienst folgen würde, könnte das die Bindung von jungen Fachkräften an ihre Ausbildungsbetriebe schwächen, weil diese dann erst einmal wieder aus dem Betrieb herausgehen. Andererseits bietet sich durch ein solches Jahr für Betriebe auch die Chance, neue Talente zu gewinnen, die bei ihnen dieses Jahr absolvieren. Junge Menschen, die beruflich noch nicht wissen, wohin es gehen soll, können so für das Handwerk begeistert und auf eine Ausbildung vorbereitet werden. Und mit einer guten Gestaltung des Jahres könnte es gelingen, die Bindung an Betriebe sogar zu stärken.
Welche Rolle spielt der derzeitige Fachkräftemangel in der Überlegung?
Der große Fachkräftebedarf im Handwerk verdeutlicht die guten Zukunftsperspektiven, die es im Handwerk gibt. Das ist eine große Chance, junge Menschen für das Handwerk zu gewinnen. Ein gesellschaftlich orientierter Dienst kann das Interesse an handwerklichen Berufen wecken. Freiwillige Orientierungsjahre bieten die Möglichkeit, Talente zu entdecken und langfristig an das Handwerk zu binden. So wird der Wettbewerb um die besten Nachwuchskräfte positiv gestaltet.
Was sind potenzielle Sorgen der Arbeitgeber? Wo sehen Sie Chancen, positive Folgen?
Natürlich haben Betriebe im Blick, dass sich der Ausbildungsstart und der Berufseinstieg verzögern könnten und sich das auf Betriebsabläufe auswirken könnte. Doch es sollte auch das Potenzial gesehen werden, das darin steckt: Wer etwa im Rahmen eines gesellschaftlichen Jahres erste Einblicke in handwerkliche Arbeitsfelder erhält, kann für eine Ausbildung motiviert werden. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass dieses Jahr sinnvoll mit berufspraktischen Inhalten und der Möglichkeit gestaltet wird, verschiedene Gewerke kennenzulernen. Genau hier setzt das Modell des „Freiwilligen Handwerksjahres“ an.
Wie nehmen Sie die Stimmung diesbezüglich in Ihrer Branche wahr?
Die Haltung im Handwerk ist geprägt von Realismus und Zuversicht. Die sicherheitspolitischen Entwicklungen werden ernst genommen, der Handlungsbedarf erkannt und das Bedürfnis nach gesamtgesellschaftlicher Resilienz wird gesehen. Zudem gibt es bereits heute gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit der Bundeswehr, etwa durch Rückkehrer ins Handwerk oder Kooperationsprojekte mit den Karrierecentern. Diese positiven Ansätze zeigen, dass das Handwerk offen für Lösungen ist, die Engagement fördern und gleichzeitig die Fachkräftesicherung stärken.