Zentralverband des
Deutschen Handwerks
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Deutschen Handwerks
04.04.2023

Vorbilder inspirieren bei Nachwuchswerbung

Nachwuchswerbung und Mitarbeiterbindung werden auch im Handwerk wichtiger. Im Interview mit "Mappe" erläutert ZDH-Geschäftsführer Dirk Palige, warum eine breiter angelegte Berufsorientierung grundlegend ist, und welche Rolle Vorbilder im Handwerk spielen.
Älterer Herr legt den Arm um die Schulter eines jüngeren Mannes.

Das Beispiel von Malermeisterin Jessica Hansen (Die Malerin) zeigt, dass ein attraktiver Betrieb mehr als genug BewerberInnen gewinnen kann, zumeist von anderen Betrieben. Kritische Stimmen sagen, dass sie damit anderen Malerbetrieben die Mitarbeiter "wegnehme". Wie sieht der ZDH das?

Ein typisches Merkmal von mittelständischem Handwerk ist, dass Betriebe ihre Erfahrungen über erfolgreiche Wege etwa zur Nachwuchswerbung oder auch zur Mitarbeiterbindung beispielsweise bei Innungsversammlungen austauschen und miteinander teilen. Und natürlich konkurrieren sie gewissermaßen miteinander – sowohl bei der Mitarbeitergewinnung als auch mit ihren Produkten und Dienstleistungen. Das – wie Sie es bezeichnen – „Wegnehmen“ ist aber nicht das Problem, sondern vor allem der Fakt, dass es derzeit einfach zu wenige Bewerberinnen und Bewerber für eine Ausbildung und Karriere im Handwerk gibt. Vor allem hier müssen wir ansetzen und alles daransetzen, die ganze Vielfalt und Bandbreite beruflicher Möglichkeiten im Handwerk aufzuzeigen, sodass junge Menschen das Handwerk für sich bei der Berufswahl ganz selbstverständlich mit in Betracht ziehen und sich bestenfalls für das Handwerk entscheiden. Viele junge Menschen haben die Karriere- und Bildungschancen einfach zu wenig auf dem Schirm und kennen gar nicht alle Berufe, die das Handwerk für sie bereithält.

Was sagen Sie zu dem Argument, dass Angebote wie von Frau Hansen das Niveau des Handwerks oder der Branche im Allgemeinen stärken würden – insbesondere, wenn immer mehr Betriebe diesem Beispiel folgten?

Es gibt viele Betriebe, die sehr kreativ an das Thema Nachwuchsgewinnung gehen, die Benefits und flexible Arbeitszeiten anbieten oder besondere Ausbildungsprojekte starten. Hierfür gibt es immer mehr Beispiele und das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung. Dieses neue Denken und mutige Andersmachen ist absolut vorbildlich und es ist daher umso wichtiger, dass wir es auch sichtbar machen. Dafür sorgt auch der Heribert-Späth-Preis, dessen Preisträgerinnen und Preisträger für ihr zukunftsweisendes Engagement ausgezeichnet werden. Der renommierte Preis geht jedes Jahr an einen Betrieb mit besonderer Ausbildungsleistung. Je mehr Betriebe sich von diesen Ideen und Projekten dazu inspirieren lassen, selbst neue Wege zu beschreiten, umso besser. Auch die Imagekampagne des Handwerks hat viel dazu beigetragen, das Handwerk stärker ins Bewusstsein der Menschen zu heben, und dort positiv zu verankern.

Was raten Sie Betrieben, die händeringend Fachkräfte suchen?

Eine professionelle Außendarstellung – in diesen Zeiten vermehrt auch über die sozialen Medien – und ein gutes Betriebsklimasind sicherlich gute Argumente, mit denen ein Betrieb punkten und erfolgreich Fachkräfte gewinnen kann. Für die Mitarbeiterbindung sind dann vor allem die Führungskultur und eine transparente Kommunikation wichtig. Wenn die Belegschaft mit dem Betrieb und dessen Führung zufrieden ist, wird sie das nach außen ausstrahlen. Das spricht sich herum und trägt dazu bei, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen.  Zu allen Fragen rund um die Unternehmensführung steht den Betrieben die Handwerksorganisation beratend zur Seite. In rund 900 Beratungsstellen werden sie kompetent auch zu den relevanten Themen Personalmanagement, Führungskultur und Kommunikation im Betrieb sowie Außendarstellung unterstützt. Ich kann nur jedem Handwerksbetrieb raten, diesen kostenfreien Service in Anspruch zu nehmen.

Laut dem Ausbildungsmonitor 2023 der Bertelsmann Stiftung strebt knapp die Hälfte eines Abiturjahrgangs eine berufliche Ausbildung an. Ist damit das Potenzial für die betriebliche Ausbildung erschöpft?

So erfreulich es ist, dass sich in den vergangenen Jahren die Zahl der Abiturientinnen und Abiturienten gestiegen ist, die eine Ausbildung im Handwerk machen, so bleibt dennoch weiter Luft nach oben: Im Jahr 2021 hatten bei den Ausbildungsanfängern im Handwerk gerade mal 17 Prozent Abitur oder eine fachgebundene Hochschulreife.

Das Ausbildungsengagement im Handwerk ist ungebrochen hoch, wie unsere aktuelle Umfrage zur Ausbildungssituation im Handwerk belegt. Die Betriebe bieten deutlich mehr Ausbildungsplätze an als besetzt werden können. Was fehlt, sind die Bewerberinnen und Bewerber. Ihre Anzahl ist bundesweit laut Bundesagentur für Arbeit in den letzten fünf Jahren um 113.000 und damit um 21 Prozent gesunken. Besonders stark ist der Rückgang mit 29 Prozent bei Ausbildungsbewerberinnen und -bewerber mit allgemeiner und fachgebundener Hochschulreife. Auch Hochschulstatistische Kennzahlen des Statistischen Bundesamtes widersprechen der These eines verstärkten Drängens von Abiturienten in die duale Ausbildung. Während 2005 noch lediglich 38 Prozent der Schulabgängerinnen und Schulabgänger mit Hochschulzugangsberechtigung gleich nach ihrem Abschluss ein Studium angefangen haben, waren es 2021 bereits 49 Prozent. Wenn es also ein Drängen der Abiturientinnen und Abiturienten gibt, dann noch schneller in Richtung Hochschule und nicht in Richtung berufliche Ausbildung im Handwerk. Der Trend zum Studium ist ungebrochen.

Jugendliche mit einer geringen Schulbildung hingegen haben immer schlechtere Chancen eine Ausbildungsstelle zu finden. Wie sollte das Handwerk (Organisationen und Betriebe) hier agieren?

Im Jahr 2021 kamen 36 Prozent der Azubis im Handwerk von der Hauptschule, mehr als 42 Prozent von der Realschule und 17 Prozent waren Abiturienten. Vier Prozent hatten keinen Schulabschluss. Die berufliche Ausbildung im Handwerk ist und bleibt ein Integrationsmotor. Ausbildungschancen eröffnen sich im Handwerk für jede und jeden, egal wo man herkommt. Das gilt für Schulleistungsschwächere, Geflüchtete und generell Menschen mit Migrationshintergrund. Wichtiger als der Abschluss ist eine gute, passgenaue Förderung: Lerndefizite, die den Erfolg einer Ausbildung erschweren, müssen ausgeglichen werden. Dies macht das Handwerk etwa mit dem Programm VerA (Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen), mit dem junge Menschen mit Förderbedarf unterstützt werden. Im Handwerk geht es uns immer darum, die Talente zu sehen und zu fördern, die jemand mitbringt. Es muss nicht jeder Abitur haben, der im Handwerk arbeitet: Die Mischung macht es!

Autorin: Bärbel Daiber. Das Interview ist zuerst in der Fachzeitschrift Mappe Ausgabe 4.2023 erschienen.