Zentralverband des
Deutschen Handwerks
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Deutschen Handwerks
07.03.2022

"Unsere Türen sind weit offen"

ZDH-Präsident Wollseifer betont gegenüber der "Südwest Presse", dass das Handwerk Geflüchtete aus der Ukraine aufnehmen und in die Betriebe integrieren wird.
Portraitfoto von Hans Peter Wollseifer vor blauer Handwerksleinwand im Haus des Deutschen Handwerks in Berlin

Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks

"Wir verurteilen den Angriff Russlands, der uns tief erschüttert hat, aufs Schärfste, und wir unterstützen alle Maßnahmen der Bundesregierung und der internationalen Gemeinschaft mit ihrem Ziel, dass dieser Krieg möglichst rasch endet. Direkt betroffen ist das Handwerk bei seinen Belegschaften. Zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Ukrainer oder haben ukrainische Wurzeln. Diese persönliche Nähe macht alle sehr betroffen", so ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer gegenüber Dr. Dieter Keller von der "Südwest Presse".

Russlands Überfall auf die Ukraine hat alle schockiert. Gibt es direkte Auswirkungen auf das Handwerk?

Wir verurteilen den Angriff Russlands, der uns tief erschüttert hat, aufs Schärfste, und wir unterstützen alle Maßnahmen der Bundesregierung und der internationalen Gemeinschaft mit ihrem Ziel, dass dieser Krieg möglichst rasch endet. Direkt betroffen ist das Handwerk bei seinen Belegschaften. Zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Ukrainer oder haben ukrainische Wurzeln. Diese persönliche Nähe macht alle sehr betroffen. Außerdem hatten wir schon seit einiger Zeit coronabedingt gestörte Lieferbedingungen, Materialengpässe und steigende Energiepreise. All das wird sich wohl durch den Krieg noch verschärfen.

Könnte das auch Arbeitsplätze kosten?

In manchen Fällen kann ich mir das vorstellen. Beispielsweise fallen für Feinwerkmechaniker die Industrieunternehmen als Abnehmer aus, die ihre Produkte jetzt nicht mehr nach Russland oder in die Ukraine exportieren können.  

Kann das Handwerk Ukrainern, die nach Deutschland flüchten, Beschäftigung und Perspektive bieten?

Ja! Wie schon in vorherigen Flüchtlingskrisen kann ich sagen: Wir machen unsere Türen ganz weit auf. Wir haben der Bundesregierung zugesagt: Das Handwerk ist offen, diese Menschen aufzunehmen und sie in die Betriebe zu integrieren. Ich habe selbst Ukrainer beschäftigt und die Erfahrung gemacht: Das sind Menschen, die für sich selbst sorgen wollen. Sie sind sehr ehrgeizig, und jetzt müssen sie für ihre Familien und für in der Heimat gebliebene Angehörige sorgen. Da ist Arbeit sehr wichtig und für die jungen Leute, eine Ausbildung zu bekommen. All das bieten wir an.

Wie sieht es bei der Qualifikation aus?

Aus der Ukraine kommen in der Regel gut ausgebildete Facharbeiter und es hat sich gezeigt, dass sie gewerkeübergreifend sehr flexibel einsetzbar sind. In der Ukraine gibt es zwar keine duale Ausbildung wie bei uns. Aber dank ihrer Erfahrung im Alltag und häufig noch Weiterbildung in der Theorie können sie meistens nach kurzer Einarbeitung eingesetzt werden.

Im Alltag haben die Menschen immer mehr Probleme, einen Handwerker zu bekommen. Haben Sie einen Tipp, wie das gelingt?

Die Wartezeiten sind leider sehr lang. Anders ist das bei Notfällen, wenn etwa jetzt im Winter die Heizung ausgefallen ist oder im Sturm Dachziegel weggeflogen sind. Dann sind die Handwerker eigentlich immer zur Stelle. Aber bei planbaren Arbeiten kann es zwei oder drei Monate dauern. Da ist gut dran, wer Stammkunde bei Handwerkern ist und ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hat. Dazu gehört, sie bei guter Arbeit auch korrekt zu behandeln. Etwa die Rechnung nicht erst nach 30 Tagen zu bezahlen, sondern sofort, wie das auch an der Supermarktkasse üblich ist.

Und was tut derjenige, der keinen Handwerker kennt?

Der kann einen Kollegen aus einem anderen Handwerk nach einem Tipp fragen. Handwerker kennen sich und ihre Kapazitäten. Häufig arbeiten sie in Netzwerken zusammen. Darauf sollte man zurückgreifen. Helfen kann zudem ein Anruf bei der Innung oder der Handwerkskammer. Dort sind die Betriebe gelistet, und man kann davon ausgehen, von diesen Betrieben ein seriöses Angebot und eine fachgerechte Leistung zu bekommen.

Bei welchen Handwerken ist der Fachkräftemangel besonders groß?

Lange hatte das Lebensmittelhandwerk sehr zu kämpfen, also vor allem Bäcker und Metzger. Das ist immer noch so. Aber insbesondere alle Bauberufe sind dazugekommen sowie alle, die mit Energiewende und Klimaschutz zu tun haben. Etwa Elektroniker von der Bauelektrik bis zum Gebäudesystemintegrator. Auch Hoch-, Tief- und Straßenbau. Mittlerweile fehlen sogar im Kfz-Bereich Fachkräfte.

Die Bundesregierung hat ehrgeizige Ziele beim Klimaschutz. Sind die überhaupt zu erreichen?

Nur wenn es genug Handwerkerinnen und Handwerker gibt. Da bin ich mir mit Wirtschaftsminister Robert Habeck einig. Notwendig ist eine große Fachkräfteinitiative zu starten. Wir stehen bereit, die Ziele der Regierung zu unterstützen. Sie sind für unsere Gesellschaft und unser Land sehr wichtig. Aber allein kann das Handwerk die Fachkräftesicherung nicht stemmen, dafür brauchen wir die Unterstützung von Politik und Gesellschaft. Sonst werden weder 400.000 Wohnungen pro Jahr gebaut noch die Solarmodule für die Energiewende installiert, um nur zwei Beispiele zu nennen.  

Wie könnte das aussehen?

Es geht um Anerkennung und Wertschätzung. In der Gesellschaft herrscht die Einstellung: Handwerker – schön, sie zu haben, aber nicht schön, es selbst zu sein. Das müssen wir ändern. Wir müssen auch Eltern, Lehrern, Mitschülern und Freunden vermitteln, dass man im Handwerk eine gute Karriere machen kann, die mit einer akademischen vergleichbar ist. Ein Handwerksmeister ist wahrscheinlich bis zur Rente nicht von Arbeitslosigkeit bedroht, und als Selbständiger kann er mehr verdienen als ein Uniabsolvent. Darauf machen wir mit unserer Imagekampagne im Fernsehen und auf Plakatwänden immer wieder deutlich. Wir schicken Ausbildungsbotschafter in die Schulen, nutzen elektronische Medien und vieles mehr. Außerdem können wir bald wieder Praktika in den Betrieben anbieten. Die sind der Schlüssel zur Ausbildung. Das hat Corona zwei Jahre lang verhindert.

Wie viele Facharbeiter fehlen?

Aktuell schätzungsweise 250.000, und die Lücke wird noch größer, schon weil die Ansprüche ans Handwerk durch die Vorhaben der Bundesregierung größer geworden sind. Wenn weiter jedes Jahr rund 20.000 Ausbildungsplätze, die unsere Betriebe ja anbieten, nicht besetzt werden können, dann scheitern die Pläne der Regierung.

Wie stark steigen die Preise für Handwerkerleistungen?

Wenn es weniger Zulieferteile gibt und Lieferketten gestört sind, steigen die Preise, teilweise explodieren sie förmlich. Das müssen die Handwerksbetriebe genauso weitergeben wie höhere Kosten durch den Mindestlohn von zwölf Euro. Niederschlagen wird sich in der Kalkulation auch, dass höhere Lohngruppen mehr verlangen, weil sie den Abstand beim Verdienst zum Mindestlohn wahren wollen. Das wird nur teilweise durchzusetzen sein, und es sorgt für Unfrieden in den Betrieben.

Sind die Kunden bereit, wegen des höheren Mindestlohns beim Friseur oder im Restaurant deutlich mehr zu bezahlen?

Haare wachsen nach und müssen geschnitten werden. In anderen Bereichen wird er sicher für mehr Diskussionen sorgen. Es sorgt zudem für einen negativen Wettbewerb. Ein Bäcker vor dem Supermarkt hat viel höhere Personalkosten als bei den industriell gefertigten Produkten, die im Markt verkauft werden. Das wird manchen Kunden dazu bewegen, nicht das qualitativ höherwertige Produkt zu kaufen. Das wäre sehr schade.

Steigen die Preise für Handwerkerleistungen in diesem Jahr stärker als die allgemeine Inflationsrate?

Ich persönlich rechne nicht damit. Die Belastung durch Corona dürfte zumindest im zweiten und dritten Quartal deutlich abnehmen. Jetzt hängt viel von den Auswirkungen der Sanktionen und von Lieferengpässen ab.

Wie sehr bremst Corona in diesem Jahr noch das Handwerk?

Die Öffnung in drei Stufen ist richtig. Das gibt unseren Betrieben eine Perspektive. Ich rechne derzeit noch mit einem Umsatzzuwachs von drei bis vier Prozent – aber ob es so kommt, hängt natürlich auch sehr vom weiteren Verlauf der aktuellen Entwicklungen ab.

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