Noch keine Entwarnung beim Baustoffmangel

Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks
Foto: ZDH/Boris Trenkel
Damit aus den massiv gestiegenen Preisen und Lieferengpässen bei Baumaterialien kein konjunktureller Flächenbrand wird, müssen jetzt alle Hebel in Bewegung gesetzt werden. ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer sprach dazu mit Thomas Schindler vom Magazin vdw AKTUELL.
Dass bestimmte Rohstoffe wegen hoher Nachfrage auch mal knapper und somit teurer werden, ist auf dem Weltmarkt keine Seltenheit. Bei der aktuellen Entwicklung hat man allerdings den Eindruck, dass es sich um ein Problem in viel größerer Dimension handelt. Wie gravierend ist das, was wir gerade erleben?
Aus eigener über 40-jähriger Tätigkeit im Handwerk kann ich sagen, eine solche Situation in den letzten Jahrzehnten noch nicht erlebt zu haben. Dass einzelne Materialien fehlen, das gab es immer einmal wieder, aber in dieser Breite noch nie. Das ist eine so noch nicht dagewesene Problemdimension, weil es gleichzeitig so viele Roh- und Baustoffe und weitere Materialien betrifft. In einer aktuellen ZDH-Umfrage haben Ende Mai 61 Prozent der Handwerksbetriebe angegeben, dass sie unter massiven Beschaffungs- und Preisproblemen für die von ihnen benötigten Materialien leiden. Uns erreichen Hilferufe aus praktisch allen Regionen des Landes. Leider können wir noch keine Entwarnung geben, auch wenn zumindest am internationalen Holzmarkt die Preise gerade wieder deutlich zurückgegangen sind.
Welche Materialien fehlen im Moment besonders häufig auf den Baustellen für die Wohnungswirtschaft – und welche Auswirkungen hat das?
Wir reden hier wirklich von der ganzen Bandbreite: Holz. Holzprodukte. Dämmstoffe. Stahl. Stahlbeton. Farben. Isoliermaterial. Kunststoffrohre. Kabelisolierungen. Bis hin zu „Selbstverständlichkeiten“ wie Schrauben. Im Prinzip also alles, was es für ein komplettes Haus braucht - vom Keller bis zum Dach. Wenn Rohre fehlen, dann kann das Fundament nicht gegossen werden. Wenn wegen fehlenden Materials nicht weitergearbeitet werden kann, dann verzögern sich die Baumaßnahmen bis inzwischen hin zum Stillstand auf Baustellen. Eigentlich geplante Bau- und Sanierungsprojekte müssen zurückgestellt werden. Und das führt natürlich auch zu erheblichen Kostenmehrbelastungen. Bauen wird insgesamt teurer.
Droht aus Ihrer Sicht ein völliger Stillstand bei Sanierungen und Neubauprojekten, wenn die Engpässe nicht zeitnah aufgelöst werden können?
Die Gefahr eines völligen Stillstands bei Sanierungen und Neubauprojekten sehen wir nicht. Experten gehen davon aus, dass sich das Marktgefüge für die betroffenen Roh- und Baustoffe sowie Materialien in der zweiten Jahreshälfte wieder „normalisieren“ wird. Überall werden aktuell die Produktionskapazitäten wieder oder weiter hochgefahren. Dadurch wird dann auch das Angebot der erforderlichen Baumaterialien wieder steigen. Aber ganz sicher wird sich die Bau- und Sanierungsdynamik zunächst erst einmal verlangsamen.
Welche längerfristigen Auswirkungen befürchten Sie für die Konjunktur, für das bezahlbare Wohnen von morgen und für die Investitionstätigkeit im Land?
Zumindest im aktuellen Jahresverlauf wird der Bau und der Ausbau nicht mehr als der zentrale Konjunkturstabilisator wirken können, der sie während der Corona-Pandemie gewesen sind. Sollte sich dieser Konjunkturanker lösen, dann dürften nicht nur die Bau- und Ausbaugewerke in schweres Wasser geraten, sondern der gesamte wirtschaftliche Aufholprozess im zweiten Halbjahr ist gefährdet. Doch nach einer Normalisierung der Marktsituation sollte eigentlich recht schnell wieder an die bisherige Dynamik angeknüpft werden können, denn die Auftragsbücher vieler Bau- und Ausbaubetriebe sind weiter gut gefüllt.
Was muss die Politik aus Ihrer Sicht jetzt dringend tun, um das Problem zu entschärfen und auch sicherzustellen, dass die erheblichen Mehrkosten für Bau und Sanierung von Wohnungen nicht an den Handwerksbetrieben und Wohnungsunternehmen hängen bleiben, die diese "Beschaffungskrise" nicht zu verantworten haben?
Natürlich wissen wir selbst, dass es hier nicht die eine einfache Lösung gibt. Die Ursachen und Probleme auf nationaler und internationaler Ebene sind viel zu komplex dafür. Aber es müssen zumindest alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um die schlimmsten Folgen abzufedern. Etwa, indem die öffentliche Hand auf Vertragsstrafen verzichtet. Etwa, indem Preisgleitklauseln zum Standard werden. Auf unser Drängen hin sind diese Signale auch in der Politik angekommen. Wir haben darauf hingewiesen, dass bei steigenden Baupreisen die „Reichweite“ der staatlichen Bau- und Sanierungsförderung sinkt. Angesichts dessen setzen wir uns dafür ein, die betreffenden Förderinstrumente auszuweiten. Sehr wichtig ist uns natürlich, dass unsere Handwerksbetriebe wirtschaftlich nicht an der akuten Preis- und Beschaffungssituation scheitern. Die Betriebe können ihren Vertragspflichten teilweise schon nicht mehr nachkommen, Termine und Preise nicht einhalten. Trotz voller Auftragsbücher gerät das Thema Kurzarbeit bei manchen Betrieben in den Blickpunkt. Daher ist die gerade bis Ende September verlängerte Sonderregelung für den Bezug von Kurzarbeit ein wichtiger Beitrag. Zudem müssen die aktuellen Beschaffungsprobleme für viele Handwerksbetriebe auch bei den fortgeführten Corona-Hilfsprogrammen antragsberechtigend anerkannt werden. Positiv werten wir, dass das sogenannte Einschlagsverbot für heimische Wälder ausgesetzt worden ist, damit sich der Markt für Bauholz wieder etwas beruhigen kann. Und schließlich: Jetzt ist wohl kaum die Zeit, um internationale Handelsstreitigkeiten auszufechten. Die EU-Kommission prüft derzeit, auf Schrauben und weitere Verbindungselemente aus China einen Schutzzoll zu erheben. Das würde zu noch gravierenderen Versorgungsengpässen führen als die, die jedermann bereits jetzt im Baumarkt zu spüren bekommt.
Die Wohnungswirtschaft und das Handwerk sind seit jeher enge Partner, die sich aufeinander verlassen können. Im Moment wird diese Partnerschaft – bedingt durch äußere Einflüsse, für die beide Seiten nichts können – auf eine harte Probe gestellt: Aufträge müssen plötzlich storniert werden, Termine und Kalkulationen werden nicht eingehalten. Was können Handwerksbetriebe und Wohnungsunternehmen gemeinsam tun, um diese schwierige Situation partnerschaftlich zu meistern?
Gerade auch in einer so schwierigen Situation besteht keine Alternative zu der bewährten engen Partnerschaft zwischen Wohnungswirtschaft und Handwerk! Beide Seiten werden sich darauf einstellen müssen, dass bereits laufende Bauprojekte teurer werden. Dieses Problem können die jeweiligen Vertragspartner nur gemeinsam lösen: Besteht der Auftraggeber auf der ursprünglichen, unter ganz anderen Bedingungen ermittelten Kosten- und damit Preiskalkulation, wird das betreffende Bauunternehmen ggf. insolvent, was das gesamte Bauprojekt zunächst einmal in Frage stellen würde. Auch zu Fristvorgaben bei laufenden Bauaufträgen wird es im beiderseitigen Interesse Verlängerungsvereinbarungen geben müssen.