Zentralverband des
Deutschen Handwerks
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Deutschen Handwerks
18.07.2022

"Mit Akademikern allein werden wir die Zukunft nicht bauen"

Fachkräftebedarf im Handwerk darf nicht zur Transformationsbremse werden: ZDH-Präsident Wollseifer fordert eine Bildungswende.
Zwei Auszubildende arbeiten an einer Drehbank.

"Teils wurden Abiturienten belächelt, die sich für eine Handwerksausbildung entschieden", so ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer gegenüber Cornelia Schmergal vom "Spiegel". Er fordert eine Bildungswende hin zu mehr Wertschätzung der beruflichen Bildung.

Was ist aus Ihrer Sicht der Grund für den aktuellen Mangel?

Die Ursachen für den Fachkräftemangel finden sich in schon länger zurückliegenden falschen Schwerpunktsetzungen in der Bildungspolitik, deren Folgen jetzt verstärkt zu spüren sind, und zudem in einer parallel dazu stattfindenden demografischen Entwicklung mit immer weniger Schulabgängerinnen und Schulabgängern der Abschlussjahrgänge der vergangenen Jahre. Als Handwerk haben wir seit Jahren davor gewarnt, dass uns die bildungspolitisch einseitige Fokussierung auf den akademischen Bereich auf die Füße fallen wird und der für unser Land notwendige stabile Fachkräftesockel brüchig zu werden droht. Jahrelang verhallten unsere Warnungen ungehört, dass uns Fachkräfte fehlen werden, wenn wir nicht genügend junge Menschen für eine duale Ausbildung im Handwerk gewinnen. Das Bildungscredo lautete Abi und Studium und dementsprechend flossen auch die überwiegenden finanziellen Mittel in den akademischen Bereich. Im Ergebnis hat das zudem zu einer insgesamt geringeren gesellschaftlichen Wertschätzung für eine berufliche Ausbildung und berufspraktische Tätigkeit geführt. Teils wurden Abiturienten belächelt, die sich für eine Handwerksausbildung entschieden. Hier müssen wir endlich gegensteuern. Denn eines ist gewiss: Mit Akademikern allein werden wir die Zukunft unseres Landes nicht bauen. Wir brauchen gleichermaßen beruflich qualifizierte Handwerkerinnen und Handwerker, damit der Fachkräftebedarf nicht zum Nadelöhr für künftige Vorhaben etwa beim Klimaschutz wird oder diese gar völlig ausbremst. Es braucht ein gesamtgesellschaftliches Umdenken: Handwerklichen Berufen muss die Anerkennung und Wertschätzung entgegengebracht werden, die ihnen angesichts ihrer zentralen Rolle für unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft, unser Land gebührt. Denn einig sind wir uns mit der Politik inzwischen zumindest in dem Befund, dass wir Zehntausende zusätzliche qualifizierte Handwerkerinnen und Handwerker brauchen, um die von der Politik angestrebten "Wenden" beim Klima, bei Energie und der Mobilität umsetzen zu können. Das wird nur mit qualifizierten Handwerkerinnen und Handwerkern gelingen können. Daher nochmals unsere eindringliche Aufforderung: Wir müssen eine Bildungswende vornehmen, weil sie die Voraussetzung für alle anderen Wenden ist! Politik muss die Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Bildung gesetzlich verankern, so dass sich alle Umsetzungsmaßnahmen daran ausrichten müssen. Eine solche rechtliche Festlegung würde zum einen zeigen, dass es Politik mit der Bildungswende als Toppriorität müsste sich die Mittelverteilung im Bildungsbereich daran orientieren und berufliche und akademische Bildung gleichermaßen ausstatten. Echte Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung bedeutet beispielsweise, die Modernisierung von Bildungszentren und Berufsschulen schneller voranzubringen. Viele unserer über 600 handwerklichen Bildungszentren bundesweit sind zu modernisieren und müssen weiterentwickelt werden. Die Berufsschulen sind in einem zum Teil nicht hinnehmbaren Zustand. Wir möchten gut ausgestattete Universitäten, aber genauso brauchen wir gut ausgestattete Berufsbildungszentren des Handwerks. Die berufliche Bildung muss dringend der akademischen Ausbildung gleichgestellt und die Bedingungen der Berufsbildung attraktiver gestaltet werden. Es braucht endlich mehr Wertschätzung für berufliche Bildung. Nur dann können wir auch wieder mehr junge Menschen dafür gewinnen, den berufspraktischen Weg einzuschlagen, und so zu den qualifizierten Fachkräften zu werden, die unser Land so zwingend für alle Transformationsprozesse und damit für unsere Zukunft braucht.

Wie sehr gefährdet der Personalmangel Wirtschaftlichkeit und Zukunft der Betriebe?

Der Nachwuchs- und Personalmangel im Handwerk bedroht generell unsere Zukunftsfähigkeit, nicht allein die von Handwerksbetrieben. Das Handwerk hat schon aktuell nicht die Kapazitäten, um all die Wärmepumpen, Solarmodule und Wallboxen für eine erfolgreiche Energiewende zu installieren, und damit schon gar nicht die Kapazitäten, um bereits bis zum kommenden Winter all das ein- und umbauen zu können, was es bräuchte, um unabhängig von russischen Gas-Importen zu sein. Insofern stellen angesichts der aktuellen Entwicklungen und auch der angestrebten Transformationsprozesse die fehlenden Fachkräfte keineswegs nur ein Problem allein für das Handwerk dar, sondern für unsere Wirtschaft und unser Land insgesamt. Aktuelle Studien zur Fachkräftesituation zeigen, dass zur Bewältigung der großen Zukunftsaufgaben in Deutschland in den kommenden Jahren nicht hauptsächlich akademisch Qualifizierte, sondern mit großem Abstand beruflich qualifizierte Fachkräfte gerade auch im Handwerk gebraucht werden. Nur mit genügend qualifizierten Handwerkerinnen und Handwerkern können Klimaschutz, die Energie- und Mobilitätswende, der Infrastrukturausbau gelingen und die tägliche Versorgung sichergestellt werden. Handwerkerinnen und Handwerker bauen, montieren und warten die erneuerbaren Energieanlagen und bringen die Elektromobilität auf die Straße, sie sanieren Gebäude und steigern so deren Energieeffizienz, sie sind Teil einer ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft und fördern diese – um nur einige Beispiele für den täglich gelebten Klimaschutz und die Arbeit an der Energiewende im Handwerk zu nennen. Dazu kommt der drohende Wegfall von Arbeits- und Ausbildungsplätzen, wenn die im Handwerk anstehenden etwa 125.000 Betriebsübergaben in den nächsten fünf Jahren nicht klappen. Es liegt somit im allgemeinen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interesse, dass sich wieder mehr junge Menschen zu einer dualen Ausbildung im Handwerk entschließen.

Über all die Berufs- und Karrieremöglichkeiten informieren wir als Handwerksorganisation umfassend: über Social Media und zu Corona-Zeiten digital. Wir entwickeln neue Ausbildungswege – Stichworte sind hier BerufsAbitur oder Höhere Berufsbildung – und auch ganz neue Berufe wie den Elektroniker für Gebäudesystemintegration. In unseren Handwerkskammern gibt es Ausbildungsberater und auf www.handwerk.de einen Überblick zu allen Berufen und den zugehörigen Ausbildungswegen. Und flankiert wird das Ganze nun schon seit mehr als 10 Jahren von unserer Kampagne.

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