Handwerk spürt zunehmenden wirtschaftlichen Druck
Foto: ZDH/Henning Schacht
Herr Dittrich, Sie sind seit Januar 2023 ZDH-Präsident, stehen also kurz vor dem Ende Ihrer dreijährigen Amtszeit. In dieser Zeit mussten Sie mit dem Ende der Ampel-Koalition, einem vorgezogenen Bundestagswahlkampf und nun einer Koalition aus Union und SPD umgehen. War das Amt härter als erwartet?
Nein, es ist nicht härter, als ich mir das vorgestellt hatte. Mir war klar, dass die Belastungen in diesem Amt groß sind. Man braucht Flexibilität, weil gerade in Krisenzeiten immer wieder Termine hinzukommen und Terminplanungen umgeschmissen werden. Sie kennen meinen Spruch: Schlafmangel gehört zum Job. Der einzige Punkt, den ich unterschätzt habe, ist die Belastung für die eigene Familie. Kleinen Kindern kann man nicht sagen, “Verlege Deine Aufführung bitte auf nächste Woche” oder “Ich bin gerade beim Bundeskanzler”. Das ist die größte Zerreißprobe, weil ich nicht möchte, dass meine Kinder irgendwann sagen, dir war das Ehrenamt wichtiger als unsere Kindheit.
Die Ampel hat das Handwerk mit ihrer Energiepolitik vor große Herausforderungen gestellt. Nun erleben wir mit der Koalition aus Union und SPD ähnliche Muster: große Ankündigungen, aber wenig konkrete Entlastung für Betriebe. Ist die Politik überhaupt noch in der Lage, die Interessen des Handwerks wirkungsvoll zu vertreten oder wenigstens zu erkennen?
Es geht nicht nur um das Handwerk, sondern um pragmatische Lösungen für die Gesellschaft insgesamt. Bisher ist die Politik das schuldig geblieben. Bei großen Themen wie Schulden oder dem Ukraine-Krieg wurden weitreichende Entscheidungen in wenigen Tagen getroffen. Aber wenn es um die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft geht, kommt bislang zu wenig und es wird endlos diskutiert. Die Mittelstandspolitik der Regierung insgesamt zu kritisieren, ist berechtigt.
In den vergangenen Monaten haben Sie Ihren Ton verschärft. Bei öffentlichen Auftritten sprechen Sie von “Wut” in den Betrieben, von massiver Enttäuschung über die Politik. Das klingt anders als noch vor einem Jahr. Wie schlecht ist die Stimmung tatsächlich?
Glauben Sie mir, ich kritisiere ganz sicher nicht aus purer Freude am Kritisieren. Aber die Enttäuschung sitzt bei den Handwerkerinnen und Handwerkern tatsächlich tief. Das gebrochene Versprechen der zugesagten Stromsteuersenkung für alle schätze ich inzwischen ähnlich schlimm in seiner Wirkung ein wie das Heizungsgesetz der Ampel-Regierung. Und da geht es nicht allein um die Enttäuschung über die für viele Betriebe ausgebliebene finanzielle Entlastung, sondern vor allem auch um den Vertrauensverlust in die Verlässlichkeit politischer Versprechen. Viele fragen sich, welchen Wert politische Zusagen noch haben, wenn sie - wie im Fall der Stromsteuersenkung für alle - kurzerhand wieder einkassiert werden, obwohl es zuvor im Koalitionsvertrag und im Sofortprogramm festgeschrieben war. Wenn man dann sagt, die Mittel reichen dafür nicht aus, gleichzeitig aber die Mütterrente um ein Jahr vorzieht, dann fehlt es schlicht an Konsistenz.
Aber einige energieintensive Handwerksbetriebe profitieren doch durchaus…
Die aktuelle Regelung führt zunächst einmal zu zusätzlicher Bürokratie. Betriebe, die von der Stromsteuerermäßigung profitieren möchten, müssen einen enormen Aufwand bei der Antragstellung betreiben. Gerade für sogenannte Mischbetriebe mit mehreren wirtschaftlichen Tätigkeiten ergeben sich dabei hochkomplexe Abgrenzungsfragen. Diese müssen nachweisen, dass der überwiegende Teil ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit dem produzierenden Gewerbe zuzurechnen ist und nicht etwa einer Handelstätigkeit. Wird Strom selbst erzeugt oder für Elektromobilität genutzt, ist dieser zudem aus dem Gesamtstromverbrauch herauszurechnen, da er nicht entlastungsfähig ist. Ohne die Unterstützung eines Energieberaters oder den Einsatz kostspieliger Messtechnik verzichten viele Betriebe daher ganz auf die Beantragung. Hier hat die Politik Vertrauen verspielt.
Die Bundesregierung verweist aber auch auf Entlastungen, etwa durch den Bauturbo oder die Reform des Bürgergeldes. Sehen Sie da positive Ansätze für das Handwerk?
Es gibt durchaus Schritte, die in die richtige Richtung gehen. So etwa das Gesetz, das die Führerscheinkontrolle in Betrieben abschafft und stattdessen auf die Eigenverantwortung der Beschäftigten setzt. Der Bauturbo wird mit Sicherheit dazu beitragen, dass neues Bauland schneller bereitgestellt wird. Ob das jedoch an den richtigen Stellen geschieht oder sogar zu Lasten bestehender Gewerbeflächen, ist noch unklar. Doch der Bauturbo allein reicht nicht: Wir müssen auch die Baukosten senken, die Genehmigungsverfahren beschleunigen und die Wohnraumförderung verbessern. Beim Bürgergeld bleibt der eigentliche Hauptkostentreiber unangetastet. Die Sozialkosten für Unterbringung und Heizung explodieren. Die Politik setzt hier eher symbolische Zeichen, ohne die Ursachen des Problems wirklich anzugehen. Und ich frage mich, wie der Handwerker mit seinen Abgaben und Steuern diese Kostensteigerungen der sozialen Sicherungssysteme noch schultern und bewältigen soll.
Ein Thema, das Betriebe massiv belastet, sind die Sozialversicherungsbeiträge. Sie liegen inzwischen bei über 42 Prozent, Tendenz steigend. Rentenbeiträge, die Krankenversicherung stehen unter Druck. Wird dieses Problem richtig angegangen?
Das ist einer der bedeutendsten Punkte. Wirtschaftsdaten belegen eindeutig, dass unsere sozialen Sicherungssysteme so nicht zu halten sein werden. Steigende Arbeitslosigkeit und ausbleibendes Potenzialwachstum setzen sie zusätzlich unter Druck. Doch immer, wenn ich das anspreche, folgt geradezu reflexartig der Vorwurf, ich wolle Sozialleistungen abbauen. Doch darum geht es gar nicht, im Gegenteil: Mir liegt daran, unsere Sozialsysteme zu erhalten und zukunftsfest zu machen. Genau deshalb müssen wir ihre Finanzierung grundlegend reformieren. Ohne Eingriffe und Änderungen bei der Finanzierung, den Leistungen und mehr Eigenverantwortung werden wir das nicht erreichen. Und wenn das nicht gelingt, dann gefährdet das unsere Sozialsysteme und damit genau das, was wir bewahren möchten. Deswegen muss es Reformen geben. Die Beitragssätze müssen wieder in Richtung 40 Prozent oder darunter sinken. Bei der Rente geht es zudem um Generationengerechtigkeit. Wenn in ein Umlagesystem ein Viertel des Bundeshaushalts fließt, ist es kein Umlagesystem mehr.
Die Bundesregierung hat Sondervermögen aufgelegt: 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, weitere hunderte Milliarden für Infrastruktur. Das klingt nach großen Chancen für Handwerksbetriebe. Kommt davon etwas bei den Betrieben an?
Wenn hunderte Milliarden in das System gegeben werden, wird das auch Auswirkungen im Handwerk haben. Momentan ist davon allerdings in den Auftragsbüchern der Betriebe noch wenig zu spüren. Damit sich das nicht fortsetzt, brauchen wir öffentliche und transparente Verfahren, die eine breite Beteiligung von Handwerk und Mittelstand ermöglichen. Gleichzeitig braucht es eine wirtschaftspolitische Reformagenda, die sicherstellt, dass die bereitgestellten Milliarden nicht nur ein kurzzeitiges Konjunktur-Strohfeuer entfachen, sondern nachhaltig Wachstum fördern.
Das Handwerk setzt sich seit Jahren für die Teillosvergabe ein. Das bedeutet, öffentliche Aufträge sollen in kleinere Lose aufgeteilt werden, damit auch mittelständische Betriebe eine realistische Chance haben und nicht nur Großkonzerne zum Zug kommen. Wie steht es um dieses Prinzip bei den milliardenschweren Sondervermögen?
Hier treibt uns die große Sorge um, dass das Prinzip der Fach- und Teillosvergabe bei öffentlichen Aufträgen auf der Strecke bleiben könnte. Das wäre sehr zum Nachteil kleiner und mittlerer Betriebe. Die Bundeswehr sagt, eine losweise Vergabe geht nicht. Das Sondervermögen für die Bundeswehr wurde daher nicht unter das Prinzip der Teillosvergabe gestellt. Dass man etwa die Ketten und den Turm eines Panzers nicht getrennt vergeben will, kann ich nachvollziehen. Diesen Kompromiss tragen wir mit. Ebenso, wenn auch mit Bauchgrummeln, dass die Teillosvergabe bei Investitionen über 14 Millionen aus dem Sondervermögen nicht angewendet werden muss. Für alle übrigen Fälle hält der Kabinettsentwurf des Vergabebeschleunigungsgesetzes jedoch am Grundsatz der Teillosvergabe fest. Jetzt aber stellen einige Bundesländer dieses Prinzip gänzlich infrage und wollen es mit dem Argument aushebeln, Städte und Gemeinden hätten zu wenig Personal, um die Vergaben und Auflagen zu bewältigen. Das empört mich zutiefst.
Warum?
Weil es in den Betrieben auch keine Rolle spielt, ob wir gerade die Zeit und die Kapazitäten haben, die ganzen Vorschriften und Dokumentationen einzuhalten. Es wird einfach bei Androhung von Strafe erzwungen. Der Staat gibt sich hohe moralische, technische und soziale Standards, im Arbeitsschutz, in den Lieferketten, beim Kündigungsschutz oder der Tarifbindung, die die Firmen beachten sollen. Und zur Belohnung werden dann mittelständische Betriebe von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen, weil der Staat sich eingestehen muss, dass er die eigenen Regeln nicht einhalten kann. Das ist nicht akzeptabel. Ich fordere die Länder auf, davon abzurücken. Wer zahlt denn vor Ort die Steuern, wer stellt die Arbeits- und Ausbildungsplätze, wer spendiert der Kinderfußballmannschaft Trikots und engagiert sich in der Freiwilligen Feuerwehr? Es sind auch die Handwerksbetriebe, die die enormen Schulden mit zurückzahlen müssen, aber von den Aufträgen sollen sie ausgeschlossen sein? Das ist schlicht unfair.
Bürokratieabbau ist ein Dauerthema. Alle Regierungen versprechen ihn, passieren tut wenig. Die Betriebe spüren die Belastung täglich. Wie hält der Verband die Motivation aufrecht, an diesem Thema dranzubleiben, ohne ermüdet aufzugeben?
In den über 70 Jahren Demokratie in Deutschland hat diese immer geliefert, wenn sie musste. Diesmal ist die Krise multidimensional: Energie, Digitalisierung, demografischer Wandel. Alle drei Entwicklungen erfordern entschlossenes Handeln. In den vergangenen zehn Jahren hat die Demokratie nicht ausreichend geliefert. Das ist die Sorge vieler Menschen. Seit 2019 stagniert Deutschland, während die USA um 15 Prozent gewachsen sind. Hätten wir nur die Hälfte des Wachstums geschafft, hätten wir 50 Milliarden Euro mehr an Steuereinnahmen und hätten gar keine Sonderschulden für Investitionen aufnehmen müssen. Das zeigt, dass wir auf Wachstum und Leistungsgerechtigkeit setzen müssen. Im Handwerk begegne ich vielen Menschen, die erwarten, dass sich Leistung auch wirklich lohnt.
Die Europäische Union produziert am laufenden Band neue Vorschriften und Regularien. Von der Entwaldungsverordnung über Lieferkettengesetze bis zu Nachhaltigkeitsberichterstattung– vieles davon trifft auch kleine Handwerksbetriebe. Ist die EU zum Bürokratiemonster fürs Handwerk mutiert?
Die EU wird als Normenproduktionsfabrik wahrgenommen. Es ist schon bizarr, dass man sich in Brüssel derzeit schon dafür feiert, dass der Aufwuchs an Bürokratie verlangsamt wird. Das kann doch wohl nicht sein. Das Ziel muss sein, Bürokratie spürbar zu verringern und zurückzubauen. Zu viele wichtige Entscheidungen in der EU fallen intransparent, hinter verschlossenen Türen. Und trotzdem: Eine Rückkehr zum Nationalismus kann nicht die Antwort sein. Ich bin überzeugt, dass die EU die Lösung für viele Probleme ist, aber nur dann, wenn sie nicht als Bürokratiemonster, sondern als Möglichkeitsraum daherkommt. Ich habe erlebt, was es bedeutet, wenn Mauern um ein Land stehen. Wer glaubt, wir kämen mit einer schwächeren EU besser weg, irrt grundlegend. Aber Europa nur mit Bürokratie zu verbinden, das ist genauso falsch. Das legt die Axt an die Wurzel dieser Friedensidee, die uns in der Summe unheimlich stark machen kann.
Das Handwerk ist eine tragende Säule der Energiewende. Betriebe installieren Wärmepumpen, Solaranlagen, Ladesäulen. Aber so mancher Kunde ist verunsichert. Was braucht die Energiewende aus Ihrer Sicht, damit es vorangeht?
Die Meisten wissen, dass Veränderung nötig ist. Dafür brauchen wir aber verlässliche Zusagen. Betriebe und auch Verbraucher müssen wissen, worauf sie setzen sollen: Gas, Strom oder Wasserstoff? Transformationspläne und Förderprogramme müssen langfristig angelegt sein. Statt schnell ausgeschöpfter oder kurzfristig leerer Fördertöpfe brauchen wir Technologieoffenheit und einen Plan, an dem sich die Betriebe orientieren und auf den sie sich verlassen können.
Ein besonders kontroverses Thema ist das Gebäudeenergiegesetz, auch Heizungsgesetz genannt. Im Wahlkampf haben Parteien versprochen, es zu entschärfen oder abzuschaffen. Was ist aus Sicht des Handwerks der richtige Weg?
Im Wahlkampf hieß es, das Gesetz komplett abzuschaffen. Das ist allerdings eher unrealistisch. Aber ganz sicher muss es nachjustiert und vereinfacht werden. Und die Diskussion darüber darf sich nicht endlos hinziehen. Die Auftragsbücher in diesem Bereich sind derzeit deutlich leerer, als sie es eigentlich sein sollten.
Der große Fachkräftebedarf und die Nachwuchssicherung bleibt das Kernproblem des Handwerks. Rund 20.000 Ausbildungsplätze sind unbesetzt geblieben. Gleichzeitig geht die Babyboomer-Generation in Rente, was das Problem in den nächsten Jahren dramatisch verschärfen wird. Was kann man noch tun, damit es vorwärts geht?
Drei Punkte. Erstens: Wenn über Jahrzehnte zu wenige Kinder geboren wurden und nun die Babyboomer in Rente gehen, fehlt schlicht die Zahl an Menschen. Das hat nichts mit der Attraktivität von Berufen oder Branchen zu tun. Wir sind eine alternde Gesellschaft. Selbst wenn alle Jugendlichen für das Handwerk gewonnen werden könnten und alle Schulabgänger einen Abschluss machten, würde die Zahl mathematisch trotzdem nicht für alle Branchen reichen. Das ist die demografische Realität. Deswegen müssen wir auch auf Zuwanderung setzen. Viele Betriebe erkennen das und tun es auch.
Zweitens: Betriebe müssen erkennen, dass sie nur mit Fachkräften ihre Betriebe erhalten und übergeben können. Manche Betriebe sehen jetzt, dass sie nicht genug getan haben und deswegen keinen Nachfolger finden. Wenn die Belegschaft im Schnitt über 50 ist, ist es oft zu spät.
Drittens und das ist entscheidend: Die Politik hat den größten Hebel in der Hand. Gibt es wirklich Gleichwertigkeit zwischen akademischer und beruflicher Bildung? Gibt es an Gymnasien eine Berufsorientierung, die nicht nur Studienorientierung ist? Das Wohlstands- und Bildungsversprechen darf nicht länger über das Studium laufen. Wir müssen ehrlich sagen: Das Bildungsideal tendierte zu lange in Richtung des Akademikers. Hier kann und muss Politik gegensteuern.
Was zum Beispiel?
Unsere Bildungszentren melden weit über drei Milliarden Euro an Bedarf zur Sanierung und zum Neubau an. Dafür sind Bund und Länder mit zuständig. Wenn ich sehe, in welchem Zustand manche dieser Zentren sind, während parallel über neue Hochschulen diskutiert wird, zeigt sich hier eine eindeutige Schieflage. Die Gleichwertigkeit ist in einem Gesetz zum Deutschen Qualifikationsrahmen bislang nicht umgesetzt. In der Bildungspolitik gibt es jede Menge zu tun, und eben nicht nur auf der Tonspur, sondern in aktivem Handeln.
Und warum kommt das so schwerlich an?
Ich hoffe, dass Lehrerinnen, Lehrer und Eltern zunehmend erkennen, welche Perspektiven das Handwerk jungen Menschen bietet, oft weit bessere als in vielen anderen Branchen. Leider haben zu wenige Entscheiderinnen und Entscheider in der Politik einen beruflichen Bildungsweg durchlaufen. Sie kennen die betriebliche Realität nicht aus eigener Erfahrung und unterschätzen die Dringlichkeit der Fachkräftesicherung über die berufliche Bildung. Wenn die meisten Abgeordneten und Minister akademisch geprägt sind, fehlt ihnen schlicht diese Erlebniswelt. Wir brauchen mehr Menschen mit Handwerksbiografie in Entscheidungspositionen.
Künstliche Intelligenz und Digitalisierung gelten als Zukunftsthemen. Aber gerade kleine Handwerksbetriebe scheinen sich damit noch schwer zu tun. Experten beklagen, dass das Handwerk bei der Digitalisierung hinterherhinke. Teilen Sie diese Einschätzung?
Diese Kritik höre ich oft und frage mich, ob sie tatsächlich berechtigt ist. Ja, es gibt viele kleinste Betriebe, die nicht so aktiv sind. Aber muss ein Einmannbetrieb mit Laufkundschaft überhaupt im Internet präsent sein? Mir scheint, aus den Daten werden häufig die falschen Schlüsse gezogen. Die Betriebe, die Digitalisierung und Automatisierung wirklich brauchen und umsetzen müssen, die sind auch längst aktiv und dabei ausgesprochen innovativ.
Im Handwerk sind wir vielleicht nicht die Grundlagenforscher, aber wir sind Anwendungsweltmeister. Wenn Handwerker sehen, dass ihnen eine Technologie hilft, setzen sie sie pragmatisch ein. Ich warte nur darauf, dass der Roboter meinen Werkzeugkoffer trägt oder Material transportiert. Das würde dazu beitragen können, die Lücken bei Fachkräften auszugleichen, weil etwa repetitive oder körperlich belastende Tätigkeiten an Robotik abgegeben werden könnte. Auch in der Büroarbeit gibt es über diese Technologien großes Entlastungspotenzial. Unsere gut eine Million Betriebe werden ihre Innovationskraft ausspielen, weil jeder seine eigenen Ideen einbringt.
Sie kandidieren für eine zweite Amtszeit als ZDH-Präsident. Was sind Ihre Ziele für die nächsten drei Jahre? Was wollen Sie erreichen, was wollen Sie vielleicht auch anders machen als in der ersten Amtszeit?
Das Handwerk muss geschlossen auftreten und mit einer Stimme sprechen, um gehört zu werden. In einer so stark fragmentierten Gesellschaft ist das nicht einfach. Ich sehe es als Aufgabe für alle und auch für mich an, das Handwerk in all seiner Vielschichtigkeit auch zukünftig zusammenzuhalten. Und es braucht noch mehr öffentliche Wahrnehmung. Unsere Öffentlichkeitsarbeit müssen wir gewissermaßen wie ein Medienhaus betreiben, das viele Kanäle bespielen muss. Auch der Verband selbst muss sich weiterentwickeln. Wegen der Alterung der Gesellschaft stehen wir vor großen Herausforderungen. Was bedeutet es zum Beispiel, wenn Innungen kleiner werden, weil es weniger Betriebe gibt? Darauf müssen wir Antworten geben. Die Verbandsarbeit muss sich verändern und zugleich attraktiv bleiben.
Was könnte ein Leitmotiv für Ihre mögliche zweite Amtszeit sein?
Wenn man heute in Deutschland eine Abstimmung machen würde - Innovation oder Sicherheit, unternehmerische Freiheit oder mehr Staat –, bin ich mir nicht sicher, ob mehrheitlich für Innovation und mehr eigenverantwortliche Freiheit gestimmt würde. Die Sehnsucht nach Sicherheit ist groß. Ich möchte dafür eintreten, dass das Handwerk auf der Seite von Innovation und unternehmerischer Freiheit steht, natürlich bei solidarischer Absicherung.