"Betriebe können Energie-Preisschock nicht allein auffangen"

Foto: AdobeStock/Gina Sanders
"Unsere Betriebe waren zu Beginn des Jahres mehrheitlich optimistisch, wieder richtig durchstarten zu können. Das hat der brutale Angriffskrieg Putins komplett zunichte gemacht. Dessen globale Folgen kann man momentan nur ansatzweise erahnen, aber sicher ist schon jetzt, dass der Ukraine-Krieg die bisherigen Wachstumsprognosen obsolet macht", so ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer gegenüber der "Passauer Neuen Presse".
Wie wirkt sich der Ukraine-Krieg auf das deutsche Handwerk aus?
Unmittelbar betroffen sind Betriebe, in denen ukrainische Fachkräfte ausfallen, weil sie in ihr Land fahren, um es zu verteidigen oder ihre Familien zu schützen. Krieg und Sanktionen machen sich unmittelbar auch bei Betrieben bemerkbar, denen dadurch Aufträge wegbrechen oder Projekte und Wartungen stocken – das betrifft etwa Musikinstrumenten- und Orgelbauer, den Bootsbau und Yachtausbau. Bei einer mit der Dauer des Krieges immer größer werdenden Anzahl von Handwerksbetrieben geraten Produktionsabläufe ins Stocken: Das fängt bei Metall-, Elektro- und Bauhandwerken im Hinblick auf Stahl und weitere Metalle an oder beim Straßenbau, da ein Großteil des Bitumen bisher aus der Ukraine kommt, geht weiter über industrielle Zulieferer und reicht bis hin zu Müllern, Bäckern, Konditoren, weil der Weizen oder Sonnenblumenöl fehlen. Bei der – wenn auch kleinen Zahl – von Betrieben, die vor Ort in der Ukraine, Belarus und Russland aktiv sind, oder den Betrieben, die geschäftlich stark in diesen drei Ländern engagiert sind, können die Folgen von Krieg und Sanktionen durchaus auch existenzbedrohend sein. Dazu sind alle Handwerksbetriebe wie auch wir Verbraucher zu 100 Prozent von den kriegsbedingten Preisexplosionen bei Energie betroffen.
Die Experten kappen ihre Wachstumsprognosen für Deutschland massiv. Befürchten Sie eine Rezession?
Zu Jahresbeginn war das Handwerk zuversichtlich für 2022. Es erschien realistisch, Corona im Jahresverlauf endlich hinter uns lassen zu können. Auch bei den Materialengpässen deutete sich Entspannung an. Unsere Betriebe waren mehrheitlich optimistisch, wieder richtig durchstarten zu können. Das hat der brutale Angriffskrieg Putins komplett zunichte gemacht. Dessen globale Folgen kann man momentan nur ansatzweise erahnen, aber sicher ist schon jetzt, dass der Ukraine-Krieg die bisherigen Wachstumsprognosen obsolet macht. Und natürlich kann sich auch das Handwerk nicht völlig von diesen Entwicklungen abkoppeln. Das noch vor ein paar Wochen erwartete Umsatzwachstum von gut 3 Prozent wird wohl geringer ausfallen.
Lieferengpässe, Kostenanstiege, Nachfrage-Verunsicherung: Was sind aktuell für ihre Betriebe die größten Probleme?
Der Preisschock bei Energie setzt sehr vielen Betrieben massiv zu – umso mehr, als er noch oben draufgesattelt wird auf die ohnehin schon explosionsartigen Preisanstiege bei vielen Materialien und auf die Lieferengpässe in den vergangenen Monaten. Viele Betriebe werden das allein nicht auffangen können. Selbst wenn sie Preise erhöhen, wird das nicht reichen, um solche Preissprünge zu kompensieren. Und vollständig lassen sie sich nicht an die Kundinnen und Kunden weiterreichen. Die Energiepreisbelastung macht viele unserer Betriebe ärmer, lässt die nach zwei Coronajahren bereits sehr dünne Liquiditätsdecke noch dünner werden. Mittel- und langfristig kommt zudem als größte Herausforderung im Handwerk der immense Fachkräftebedarf hinzu.
Das Geld wird knapp: Spüren Sie schon eine schlechtere Zahlungsmoral bei den Kunden?
Bislang habe ich von den Betrieben noch nicht gehört, dass die Zahlungsmoral ihrer Kundinnen und Kunden schlechter geworden ist. Aber es gibt erste Anzeichen, dass private Konsumenten insbesondere bei hochpreisigen Konsumgütern oder auch bei Sanierungsmaßnahmen zurückhaltender werden.
Was muss der Staat vordringlich tun, um drastische Einbrüche zu verhindern?
Die Politik muss unseren Betrieben gezielt, schnell und unbürokratisch helfen, die Lasten aus dieser Preisexplosion abzufedern und Härten auszugleichen. Bei den Energiekosten müssen Betriebe entlastet werden, am besten, indem besondere Verbrauchsteuern wie Strom- und Energiesteuern auf die europäisch zulässigen Mindestsätze gesenkt werden. Bei öffentlichen Aufträgen setzen wir uns dafür ein, Preisgleitklauseln umfänglich zu nutzen und bestehende Aufträge preislich entsprechend anzupassen. Besonders betroffenen energieintensiven Betrieben müssen zielgenaue direkte Hilfen gewährt werden, um einer Insolvenzwelle vorzubeugen. Die Umsatzsteuer zu senken, bringt unseren Betrieben hingegen wenig, weil es sich um einen reinen Durchlaufposten handelt. Weil der Ukraine-Krieg viele Handwerksbetriebe - jenseits der Energieproblematik – mittelbar durch massive Materialpreissteigerungen und Lieferkettenprobleme betrifft, muss zwingend ein zusätzlicher Kleinbeihilferahmen geschaffen werden. Den müssen gegebenenfalls auch Betriebe nutzen können, die bereits Covid19-Beihilfen erhalten haben, nun aber durch den Krieg erneut betroffen sind. Das, was die Bundesregierung aktuell an Hilfen diskutiert – etwa KfW-Kredite oder ein reaktivierter Wirtschaftsstabilisierungsfonds – würde an der Mehrheit der vom Ukraine-Krieg betroffenen Handwerksbetriebe vorbeilaufen.