Zentralverband des
Deutschen Handwerks
Zentralverband des
Deutschen Handwerks
24.10.2022

"Bestehende Unterstützungslücke muss geschlossen werden"

Energieintensive Betriebe brauchen im Januar / Februar eine Härtefallbrücke, bis die Gaspreisbremse im März greift, so der ZDH-Präsident in der NOZ.
Portraitfoto von Hans Peter Wollseifer auf der Dachterrasse im Haus des Deutschen Handwerks in Berlin

Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks

"Wir brauchen unbedingt Hilfen für Januar und Februar, mit denen die energieintensiven Betriebe bis zur Gaspreisbremse im März unterstützt werden. Aktuell besteht hier eine echte "Unterstützungslücke". Wir müssen für Januar und Februar eine Härtefallbrücke bauen. Unser Vorschlag ist, dass der Staat für Januar und Februar die Hälfte des Abschlags bei Strom und Gas übernimmt", betonte Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, im Interview mit Rena Lehmann von der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

Herr Wollseifer, wie sehen die Handwerksbetriebe dem Winter entgegen?

Sehr viele Betriebe sehen dem Winter mit großer Sorge entgegen. Die Expertenkommission hat nun zwar erste Vorschläge vorgelegt für Entlastungen – die Übernahme des Dezember-Abschlags und die Gaspreisbremse ab März. Das ist gut, aber für unsere energieintensiven Betriebe zu wenig und zu spät.

Warum?

Wir haben schon jetzt eine dramatische Situation in den energieintensiven Betrieben. Die Übernahme des Dezember-Abschlags wäre nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Damit können die Betriebe nur anteilig die hohen Mehrkosten kompensieren, die sie in diesem Jahr gehabt haben. Bis März dann ohne Hilfen durchzuhalten – das schaffen viele Betriebe nicht.

Können Sie Beispiele nennen?

Wir sprechen nicht über 20 oder 40 Prozent Mehrkosten, wir sprechen über teils verachtfachte monatliche Abschläge für Energie. Da haben die Betriebe keine Chance, auch wenn sie eigentlich gut dastehen.

Was schlagen Sie denn vor als Hilfe?

Wir brauchen unbedingt Hilfen für Januar und Februar, mit denen die energieintensiven Betriebe bis zur Gaspreisbremse im März unterstützt werden. Aktuell besteht hier eine echte "Unterstützungslücke". Wir müssen für Januar und Februar eine Härtefallbrücke bauen. Unser Vorschlag ist, dass der Staat für Januar und Februar die Hälfte des Abschlags bei Strom und Gas übernimmt. Das wäre einfach zu machen, weil es ja ähnlich funktionieren würde wie die Übernahme des Dezember-Abschlags. Wir wollen keine Subventionierung mit der Gießkanne, uns geht es darum, die Betriebe zu retten, die an sich gesund sind, aber die die externen Schocks ohne Unterstützung nicht verkraften können und sonst schließen müssten.

Wie viele und welche Betriebe wären das?

Betroffen sind besonders Bäcker, Konditoren, Metzger, Brauer, Galvaniseure, Oberflächenveredler, Textilreiniger und Kfz-Werkstätten, um nur einige besonders betroffene Gewerke zu nennen. Auch Metallbauer und einige mehr zählen dazu. Das sind Tausende Betriebe. Die Textilreiniger warnen bereits davor, dass sie Krankenhäuser und Altenheime nicht mehr mit hygienisch-frischer Wäsche beliefern können.

Haben die Betriebe keine Rücklagen, um weitere zwei Monate zu überstehen?

Die Rücklagen sind aufgebracht. Die Betriebe haben schon über zwei Jahre Corona-Pandemie hinter sich. Wir bekommen jetzt wirklich viele verzweifelte Hilferufe, ja regelrechte Notrufe von eigentlich gut laufenden Betrieben.

Kommt das vierte Entlastungspaket dann noch rechtzeitig?

Wir haben schon Ende August darauf gedrungen, endlich auch die kleinen und mittleren energieintensiven Handwerksbetriebe zu entlasten. In diesen Betrieben wie im Handwerk insgesamt sind mehrere Millionen Menschen beschäftigt. Es braucht dieses Signal, um wirtschaftliche und soziale Verwerfungen zu verhindern. Wir dürfen nicht zulassen, dass Betriebe völlig unverschuldet in die Insolvenz gehen müssen oder aber aus Perspektivlosigkeit schlicht ihre Tore schließen. Staatliche Hilfen, um das zu verhindern, sind die beste Sozial- und Arbeitsmarktpolitik – alles andere dürfte noch teurer werden, weil bei Betriebsschließungen die Steuern und Sozialabgaben wegfallen und zugleich Kosten für die Arbeitslosigkeit Tausender entstehen.

Warum wurden Sie bisher nicht erhört?

Die Bundesregierung handelt jetzt mit dem vierten Entlastungspaket. Aber das ist für viele Betriebe schon reichlich spät. Für nicht wenige bereits zu spät. Die Regierung handelt nicht schnell genug. Jetzt müssen Taten folgen: Was nützt ein Rettungsschirm von 200 Milliarden Euro, wenn er nicht aufgespannt ist? Es ist die Aufgabe aller drei Ampel-Parteien, Schaden von der Wirtschaft und den Betrieben abzuwenden. Es braucht Taten und Mut zur Entscheidung.

Einzelne Kreishandwerkerschaften haben bereits wütende Briefe ans Kanzleramt geschickt und gefordert, die Sanktionen gegen Russland zu stoppen…

Wir Handwerker machen keine Außenpolitik. Die Ängste und Sorgen bei Betrieben und Beschäftigten sind aber derzeit sehr groß und wir müssen sie ernst nehmen. Meine ganz persönliche Überzeugung ist aber, dass die Bundesregierung dann richtig handelt, wenn sie demokratische und rechtsstaatliche Werte und Freiheit verteidigt, um so einen verlässlichen Rahmen für die Betriebe und damit auch für Beschäftigung und Ausbildung zu sichern. Ich glaube, wir müssen unseren Blick auf die Auswirkungen des Krieges auf die Betriebe richten und uns darauf konzentrieren, alles zu tun, damit die Folgen aufgefangen werden und die Betriebe weiter arbeiten können.  

Können die Betriebe Energie sparen?

Die Betriebe sparen längst. Von Bäckereien habe ich gehört, dass sie ihre Verkaufszeiten verkürzen und so Heizungs- und Personalkosten einsparen. Andere backen nicht mehr zwölf, sondern nur noch acht verschiedene Brotsorten, um so die Öfen effizienter zu nutzen. Aber auch alle anderen Gewerke helfen mit, möglichst viel einzusparen.

Wie optimistisch sind Sie, was die Energiepreise im kommenden Jahr angeht?

Für die Betriebe zählen in erster Linie Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit. Wenn die Flüssiggas-Terminals in Brunsbüttel und Wilhelmshaven an den Start gehen, haben wir wieder eine neue Lage. Dann sind wir nicht mehr so angewiesen auf russisches Gas. Wir bekommen jetzt Gas aus Norwegen, von den Niederlanden, Belgien und aus Spanien. Man wird Schritt für Schritt weitersehen und Entscheidungen treffen müssen. Wir befinden uns in einer Situation, wie wir sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht hatten.

Bremst die Energiekrise den Ausbildungsmarkt gerade aus?

Die Betriebe bilden weiter aus. Wir haben derzeit noch 26.000 freie Ausbildungsplätze im Handwerk. Im vergangenen Jahr sind mehr als 18.000 Plätze nicht besetzt worden. Wir hoffen, dass wir noch viele Tausend Plätze in diesem Jahr nachbesetzen können, denn auch jetzt noch im Oktober / November können Jugendliche eine Ausbildung starten. Wenn wir die von unseren Betrieben angebotenen Ausbildungsplätze in den letzten Jahren besetzt hätten und wir dafür Bewerber gefunden hätten, gäbe es jetzt nicht so einen Fachkräftemangel.

Was sind die Gründe?

Wir haben erstens immer weniger Schulabgänger, um die sich dann alle Wirtschaftsbereiche bemühen. Zweitens entscheiden sich noch immer über die Hälfte der Schulabgänger für ein Studium – als Folge des jahrzehntelangen Bildungsmantras vom Abi und Studium als vermeintlichem Königsweg für beruflichen Erfolg. Jährlich brechen aber mehr als 100.000 junge Leute das Studium ab. Wir könnten sie supergut im Handwerk brauchen.

Unser Einsatz

Für Entlastungen für das Handwerk
findet auf mehreren Ebenen statt.

Zur Übersicht
Stromzähler

Schlagworte