Zentralverband des
Deutschen Handwerks
03.11.2025

Berufliche Bildung stärken, um Fachkräftebedarf zu sichern

Um den Fachkräftebedarf künftig decken zu können, muss die Berufsorientierung besser und gezielt in die berufliche Bildungsinfrastruktur investiert werden, betont ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke im ikk classic – OnlineMagazin.
Ausbilderin und Auszubildende stehen an einer Sägemaschine in einer Tischlerei.

Wie bewerten Sie die aktuelle Lage des Fachkräftemangels im Handwerk in Deutschland, und wie könnte sich die Situation Ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren entwickeln?

Aktuell gehen wir von rund 200.000 offenen Stellen im Gesamthandwerk aus. Der große Fachkräftebedarf bleibt damit ein Fokusthema im Handwerk. Doch es ist keine Herausforderung, vor der sich nur unsere Branche sieht, sondern durch den demografischen Wandel betrifft dies alle Wirtschaftsbranchen. Umso erfreulicher ist es, dass die Zahl neuer Ausbildungsverträge im Handwerk entgegen dem Trend in der Gesamtwirtschaft seit zwei Jahren steigt. 2024 waren es über 131.000, auch dieses Jahr ist die Tendenz positiv. Das zeigt, dass das Handwerk als Branche mit Zukunftsperspektiven wahrgenommen wird. Gerade in Zeiten von Künstlicher Intelligenz und Automatisierung erkennen junge Menschen zunehmend den Wert handwerklicher Arbeit, nicht nur wegen der Sicherheit, sondern auch wegen der Möglichkeit, kreativ und sinnstiftend zu arbeiten. Handwerkliches Können wird auch absehbar nicht durch KI ersetzt werden können. Natürlich werden uns die demografischen Herausforderungen weiter begleiten, aber das wachsende Interesse am Handwerk zeigt: Unsere fortlaufende Bildungsarbeit und die vielfältigen Orientierungsangebote zahlen sich aus. Daran knüpfen wir an, um uns bei noch mehr jungen Menschen Gehör zu verschaffen und ihnen die vielfältigen Möglichkeiten aufzuzeigen, die das Handwerk bietet.

Welche Hauptursachen sehen Sie für den Fachkräftemangel im Handwerk, und welche Maßnahmen wären aus Ihrer Sicht nötig, um diesen langfristig zu lösen?

Für die Fachkräfteengpässe und den hohen Fachkräftebedarf gibt es im wesentlich drei Hauptursachen: den demografischen Wandel, das bildungspolitische Mantra der vergangenen Jahrzehnte mit einer Fokussierung auf den akademischen Weg sowie Passungsprobleme zwischen Betrieben und Jugendlichen. Es gibt schlicht zu wenige Schulabgängerinnen und -abgänger, von denen wiederum zu viele immer noch das Abitur und ein anschließendes Studium als den Königs-Bildungsweg betrachten. Und zunehmend ergeben sich Passungsprobleme und eine Gefährdung des Ausbildungserfolges dadurch, dass nicht mehr alle Schulabgänger über die nötigen Grundkompetenzen beim Lesen, Schreiben und Rechnen verfügen. Hier muss die Politik schnellstmöglich gegensteuern, insbesondere durch die Einführung von Diagnosesystemen, um Förderbedarfe rechtzeitig zu erkennen und die aufgespürten Kompetenzlücken möglichst noch vor Schulabschluss zu füllen. Notwendig ist zudem eine flächendeckende praxisnahe Berufsorientierung, auch an Gymnasien, bei der gleichwertig über die möglichen beruflichen wie akademischen Bildungswege informiert wird. Und politisch dringen wir darauf, die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung gesetzlich zu verankern, um damit die beiden Wege auch gesetzlich-rechtlich endlich auf Augenhöhe zu bringen.

Wie macht sich der Fachkräftemangel konkret im Alltag von Handwerksbetrieben bemerkbar, und welche Herausforderungen ergeben sich dadurch?

Die Auswirkungen sind im Alltag klar spürbar: Termine verzögern sich und Wartezeiten verlängern sich, Aufträge müssen verschoben oder abgelehnt werden. Für die Beschäftigten bedeutet es teils eine Mehrbelastung, um die Auftragsspitzen abzuarbeiten. Und weil Fachkräfte fehlen, ist es auch immer schwieriger, passende Nachfolger für Betriebe zu finden, selbst für wirtschaftlich gesunde. Schon jetzt ist ein stilles Sterben solcher Betriebe zu beobachten. Damit droht, dass sich perspektivisch das Angebot handwerklicher Produkte und Dienstleistungen weiter verengt, was auch die Versorgung kritischer Infrastrukturen oder der täglichen Daseinsvorsorge gefährden kann. Unsere Betriebe wollen ihren Beitrag leisten, aber sie brauchen dafür die passenden Rahmenbedingungen und ausreichend qualifizierte Fachkräfte. Die berufliche Bildung muss deutlich stärker in den Fokus der Politik rücken und ihre stiefmütterliche finanzielle Behandlung ein Ende haben.

Welche Maßnahmen empfehlen Sie Handwerksbetrieben, um neue Fachkräfte zu gewinnen?

Betriebe sollten alle verfügbaren Aus-, Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten nutzen. Flexible Qualifizierungswege wie Teilqualifizierungen, Umschulungen oder Anpassungsweiterbildungen eröffnen auch Geringqualifizierten den Zugang zum Handwerk und fördern die Weiterentwicklung von bestehendem Personal. Auch moderne Arbeitsgestaltung kann die Arbeitgeberattraktivität erhöhen etwa durch flexible Arbeitszeiten, Familienfreundlichkeit und echte Entwicklungsperspektiven. Ein großes Potenzial verspricht zudem die Zuwanderung: Das novellierte Fachkräfteeinwanderungsgesetz schafft gute Möglichkeiten, gezielt qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland zu gewinnen. Unsere Handwerkskammern und Verbände stehen den Betrieben hier beratend und unterstützend zur Seite, in einigen Fällen mit eigenen Projekten zur Rekrutierung von Auszubildenden und Fachkräften.

Wie können Betriebe ihre Ausbildungsangebote attraktiver gestalten, junge Talente für das Handwerk gewinnen? Und wie können Handwerksbetriebe gezielt ältere Fachkräfte ansprechen und erfolgreich einbinden?

Wer junge Menschen erreichen will, muss sichtbar sein, am besten frühzeitig schon in der Kita oder Schule. Erfolgreich ist vor allem der direkte Kontakt, etwa über Ausbildungsbotschafter oder Praktika. Viele Jugendliche entscheiden sich nach einem Praktikum für eine Ausbildung, weil sie die Arbeit im Betrieb erleben konnten. Natürlich wird auch Social Media immer wichtiger. Authentische Einblicke in den Berufsalltag auf Plattformen wie Instagram oder TikTok schaffen Nähe und Interesse. Auch eine Ausbildungs- und Karriereseite auf der Betriebshomepage mit der Möglichkeit, sich niedrigschwellig zu bewerben, ist ein erfolgversprechender Ansatz, um Auszubildende und Fachkräfte zu gewinnen. Gleichzeitig lohnt es sich, erfahrene Fachkräfte aktiv einzubinden, zum Beispiel über flexible Modelle oder gezielte Weiterbildungen. Das stärkt das Team und sichert Wissen im Betrieb.

Gibt es Förderprogramme oder Initiativen, die Betriebe beim Thema Fachkräftegewinnung und Fachkräftesicherung unterstützen können?

Ja, es gibt zahlreiche Programme, die Betriebe dabei unterstützen, Fachkräfte zu gewinnen und zu sichern, etwa die betriebliche Einstiegsqualifizierung, die junge Menschen auf eine Ausbildung vorbereitet, oder die Assistierte Ausbildung (AsA) als ausbildungsbegleitende Unterstützung. Auch das ehrenamtliche Mentorenprogramm VerAplus leistet einen wichtigen Beitrag, die Ausbildungsqualität zu verbessern und so Auszubildende erfolgreich im Betrieb zu halten. Bei der Fachkräftegewinnung aus Drittstaaten gibt es viele regionale Projekte der Handwerksorganisationen, je nach Branche und Bedarf. Interessierte Betriebe sollten sich bei ihrer zuständigen Handwerkskammer oder örtlichen Handwerksorganisation informieren. Dort gibt es praxisnahe Hilfe dazu, wie sich Betriebe an fachlich passenden Projekten beteiligen können.

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