Zentralverband des
Deutschen Handwerks
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Deutschen Handwerks
11.07.2023

Noch mehr Frauen im Handwerk erwünscht: gerade auch als Chefinnen

Wie die Unternehmensnachfolge am besten gelingt und warum besonders Handwerkerinnen die Chance auf den eigenen Betrieb ergreifen sollten, erläutert ZDH-Präsident Jörg Dittrich im Interview mit Dana Rotter vom Wirtschafts- und Karrieremagazin "SHEworks!"
Junge Gitarrenbauerin arbeitet an einem Werkstück.

In den kommenden fünf Jahren müssen allein im Handwerk bis zu 125.000 Familienbetriebe eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger suchen – entweder in der eigenen Familie, Belegschaft oder extern. Dabei ist die größte Herausforderung, eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger zu finden, der geeignet und entsprechend qualifiziert ist. Wie dieser bevorstehende Generationenwechsel im Handwerk attraktiv gestaltet werden kann, und warum besonders weibliche Nachfolgerinnen mehr in den Fokus rücken sollten, hat Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), im Magazin SHE works! erläutert.

Herr Dittrich, um einen Betrieb nachhaltig aufzustellen, ist es wichtig, auch rechtzeitig über eine Nachfolge nachzudenken. Wie aber finde ich eine qualifizierte Nachfolge?

In der Praxis werden die meisten Nachfolgen intern geregelt, vor allem innerhalb der Familie, aber auch innerbetrieblich. Im Grunde so, wie es bei mir war: Ich bin Dachdeckermeister in einem Betrieb, den mein Ur-Großvater gegründet hat. Die Identifikation ist quasi in die Wiege gelegt. Vieles trifft meistens auch zu, wenn jemand aus der Belegschaft die Nachfolge antritt. Doch es gibt auch gute Möglichkeiten, eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger zu finden, wenn man niemanden aus der eigenen Familie oder Belegschaft im Auge hat. Wer sein Unternehmen übergeben möchte, findet bei den Betriebsberatungsstellen der bundesweit 53 Handwerkskammern und bei den Fachverbänden Unterstützung. Frauen, die Interesse haben, einen Betrieb zu übernehmen, können sich an eine von 900 Betriebsberatungsstellen der Handwerksorganisation wenden. In regionalen Betriebsdatenbanken oder der bundesweit aufgestellten Unternehmensbörse nexxt-change.org kann man Betriebe und Nachfolgerinnen suchen und finden.

Bisher wird die Möglichkeit, ein Unternehmen zu übernehmen, nicht als besonders attraktiv angesehen. Dabei ist es doch genau das. Was spricht für eine Nachfolge?

Man fängt nicht bei Null an. Die Belegschaft steht, die Maschinen sind da, es gibt einen festen Kundenstamm. Statt einen Betrieb ganz neu aufbauen zu müssen, kann man auf einem bewährten Fundament den bestehenden Betrieb mit neuen Geschäftsideen und Technologien weiterentwickeln. Ich führe heute ein Unternehmen mit mehr als 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und beschäftige neben Dachdeckern unter anderen auch Zimmerer und Trockenbauer. Unser Betrieb beteiligt sich an Forschungsprojekten. Wir nutzen neue Technologien wie Dachroboter. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Es spricht sehr viel dafür, eine Nachfolge anzutreten, denn wer einen Betrieb übernimmt, der gestaltet Bewährtes neu und bewahrt Ausbildungs- und Arbeitsplätze und wertvolles Know-How. 

Vor allem Frauen sind als Nachfolgerinnen im Handwerk noch unterrepräsentiert. Etwa 16 Prozent der Übernahmen werden durch weibliche Nachfolgerinnen angetreten. Woran liegt das? Warum ist eine Unternehmensnachfolge im Handwerk besonders attraktiv für Frauen?

Das Handwerk mit seinen über 130 Berufen bietet Frauen die Chance, unterschiedlichste Talente einzubringen und sich vielfältige Kenntnisse anzueignen, neue Ideen zu entwickeln und durchzustarten. Wohl in kaum einem anderen Wirtschaftsbereich kann man schon so jung seine eigene Chefin werden und einen Betrieb leiten wie im Handwerk. Hinzu kommt, dass sich mit dem digitalen Wandel in vielen Handwerksberufen die körperlichen Belastungen deutlich verringert haben. Und derzeit sind die Perspektiven im Handwerk hervorragend - angesichts all der zukunftsrelevanten Aufgaben, für die es unverzichtbar ist: beim Klimaschutz, bei der Energie-, Wärme- und Mobilitätswende, beim Wohnungsbau oder bei der Versorgung einer immer älteren Bevölkerung. Die Arbeit wird ganz sicher nicht ausgehen.

Stehen Frauen im Handwerk vor besonderen Herausforderungen, wenn sie die Nachfolge in einem Betrieb antreten? Wie können Frauen gefördert werden?

Es ist erfreulich, dass Frauen als Unternehmerinnen im Handwerk auf dem Vormarsch sind und inzwischen in jedem vierten Handwerksbetrieb eine Frau an der Spitze steht. Allerdings schöpfen Frauen ihr Potenzial als Unternehmerin noch nicht in allen Bereichen im Handwerk aus. Nach wie vor bevorzugen Frauen deutlich häufiger kreative und dienstleistungsnahe Gewerke, obwohl sich ihnen gerade jenseits der traditionellen Muster zukunftsträchtige Perspektiven eröffnen. Wenn wir das ändern wollen, müssen wir Mädchen stärker ermutigen, ihre Berufswahl jenseits starrer Rollenmuster zu treffen und schon in der Berufsorientierung damit beginnen, das Berufsbild der Unternehmerin zu vermitteln. Wir wollen Frauen darin bestärken, einen Betrieb zu übernehmen und zu führen, damit noch viel mehr Frauen den Schritt in die Selbstständigkeit gehen. Neben der klassischen Fortbildung zur Meisterin bereiten auch Weiterbildungen im kaufmännischen Bereich beispielsweise zur Betriebswirtin im Handwerk oder duale Studiengänge auf die Selbstständigkeit vor. Als hilfreich erweisen sich zudem Mentorinnen-Programme, die Gesellinnen beim Aufstieg zur Meisterin begleiten und gezielt auf ihre Rolle als Führungskraft oder Unternehmerin vorbereiten. Nicht zuletzt nehmen viele Frauen den Austausch in Netzwerken von Unternehmerinnen und weiblichen Führungskräften wie dem Verband der Unternehmerfrauen im Handwerk, als bereichernd und wertvoll wahr. Letztlich kommt es jedoch darauf an, dass wir in der Gesellschaft umdenken. Handwerkerinnen kämpfen vielfach noch gegen veraltete Klischees. Dabei gehört ihnen als Chefinnen im Handwerk die Zukunft.

Auch die Zahlen sprechen für eine weibliche Nachfolgerin: Laut Nachfolgemonitor 2022 sind vor allem weibliche Handwerkerinnen wirtschaften im Durchschnitt erkennbar solider, stetiger und nachhaltiger als die männlichen Meister. Woran liegt das Ihrer Einschätzung nach?

Frauen bringen oft Kompetenzen mit, die in den Führungsetagen der Handwerksbetriebe zunehmend gebraucht werden. Bei Themen wie zum Beispiel Arbeitsklima, Führungskultur, Work-Life-Balance und Personalentwicklung sind Kommunikationsstärke und Kreativität gefragt. Ich kann mir also vorstellen, dass diese Kompetenzen dazu beitragen, Kundinnen und Kunden zu gewinnen sowie Personal zu motivieren und zu halten. 

Der ZDH engagiert sich dafür, dass Unternehmensnachfolge mehr als attraktive Alternative in das Bewusstsein rückt. Wie wollen Sie das schaffen?

Zunächst indem wir uns dafür einsetzen, dass handwerkliche Berufe für junge Menschen insgesamt wieder attraktiver werden. Wir sind dazu schon seit Jahren selbst aktiv, werben mit Projekten bereits in Kitas und Schulen für das Handwerk, haben neue Bildungswege und Berufsabschlussbezeichnungen auf den Weg gebracht, rühren seit mehr als zehn Jahren mit unserer Handwerkskampagne für Handwerksberufe die Werbetrommel. Aber ohne die Flankierung durch die Politik wird es nicht zu schaffen sein. Damit wieder mehr junge Menschen die Werkbank dem Hörsaal vorziehen, braucht es eine Bildungswende: Die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung muss gesetzlich festgeschrieben und beide Bildungswege dann auch gleichwertig finanziell gefördert werden. Nötig ist aber auch eine wieder positive gesellschaftliche Wertschätzung von Selbstständigkeit und Unternehmerinnen und Unternehmern. Sie sind es schließlich, die Arbeits- und Ausbildungsplätze sichern. Doch nicht das wird öffentlich wahrgenommen, sondern gerade auch in der Politik ist eher eine "Misstrauenskultur" gegenüber Unternehmertum vorherrschend anstatt Betriebsinhaberinnen und -inhabern, die große Verantwortung übernommen haben, die notwendigen wirtschaftlichen Freiräume für ihr unternehmerisches Handeln zu belassen. Doch nur wenn Selbstständigkeit und Betriebsleitung als attraktive Karriereoptionen erscheinen, werden sich auch wieder mehr dafür entscheiden – auch mehr Frauen.

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