Handwerk fordert klaren Kurs für den Mittelstand

Foto: ZDH/Henning Schacht
Nur mit echten Reformen, die Betriebe spürbar entlasteten, und mehr Mittelstandsorientierung könne die Regierung Vertrauen zurückgewinnen, so ZDH-Präsident Jörg Dittrich zu Martina Jahn /Norddeutsches Handwerk und Stefan Buhren / Deutsches Handwerksblatt.
Bundeskanzler Merz hat gesagt, dass es mit ihm keine Steuererhöhungen gäbe, Vizekanzler Klingbeil hält gegen. Klingt das nach verlässlichen Rahmenbedingungen?
Über Steuererhöhungen zu diskutieren und wieder einmal zuerst die Einnahmenseite in den Blick zu nehmen, das sollte in einem Land, in dem die Steuerlast ohnehin schon sehr hoch ist, nicht die erste Frage sein. Die sollte vielmehr lauten: Was wollen und was können wir uns noch leisten? Man sieht den schleichenden Wohlstandsverlust auch an den Diskussionen über die Situation der ungesicherten Finanzierung unserer Sozialsysteme. Wir werden nicht fit im Wettbewerb, wenn wir vor allem den kleinen und mittleren Handwerksbetrieben noch mehr abverlangen, obwohl sie schon jetzt im internationalen Vergleich mit am höchsten belastet sind.
Das System muss sich also ändern?
Neu ist der Gedanke nicht. Schauen Sie sich nur mal an, was die Erhebung mancher Steuern kostet. In einigen Fällen sind die Verwaltungskosten fast so hoch wie die eigentlichen Einnahmen. Der Steuerrechtler Paul Kirchhof hat zum Beispiel vorgeschlagen, die Gewerbesteuer abzuschaffen und sie stattdessen in die Einkommensteuer zu integrieren, die dann von den Kommunen verwaltet würde. Das war ein Vorschlag, wie man das Steuersystem effizienter gestalten könnte, ohne immer gleich über Steuererhöhungen nachzudenken.
Das gilt auch für das Sozialsystem.
Natürlich, auch da muss man für mehr Effizienz sorgen. Aber bleiben wir noch mal bei den Steuereinnahmen.
…bei denen durch mehr Effizienz in der Steuerprüfung deutlich mehr zu holen wäre, wenn die Schätzungen in Sachen Steuerhinterziehung stimmen. Dagegen sind Einsparungen etwa beim Bürgergeld nur Peanuts.
Handwerkskammern haben als Körperschaften des öffentlichen Rechts, die in der Selbstverwaltung auch staatliche Aufgaben übernehmen, nicht zu bewerten, ob etwa das Bürgergeld zu hoch oder zu niedrig ist. Unsere Aufgabe als Interessenvertretung des Handwerks ist es jedoch, beim Bundeshaushalt darauf zu achten, dass die Mittelverwendung von Steuern und Abgaben im Sinne der Betriebe und Beschäftigten angemessen ist. Wenn beispielsweise die Ausgaben in bestimmten Bereichen aus dem Ruder laufen, fehlt es am Ende an anderen Stellen für notwendige Investitionen, egal ob in der Verteidigung oder der Infrastruktur. Außerdem muss immer klar sein, dass es keine Wahlmöglichkeit zwischen Bürgergeld und regulärer Arbeit gibt.
Und bei der beruflichen Bildung.
Die steht für das Handwerk an erster Stelle. Denn weltweit ist sie ein echtes Alleinstellungsmerkmal Deutschlands. Aus der dualen Ausbildung schöpfen wir das Reservoir an Fachkräften für das Handwerk, für die Industrie und vieles mehr, sie gehört zu den Säulen unserer wirtschaftlichen Stärke. Und da ist es dann schon ein Trauerspiel, mit ansehen zu müssen, wie wenig staatlicherseits in diesen Bereich investiert wird, und das, obwohl die berufliche Bildung in der Bundeszuständigkeit liegt. Wir diskutieren hier gerade einmal über wenige Millionen Euro, die in unsere 570 Bildungszentren und die ÜLU, die überbetriebliche Lehrlingsunterweisung, zusätzlich fließen sollen. Dabei profitiert die gesamte Gesellschaft später von diesen Fachkräften. Gleichzeitig wird die akademische Bildung in deutlich größerer Höhe bedacht.
Das Gefühl, dass gerade die Unterstützung im leistungsstarken Mittelstand ausbleibt, macht sich breit.
Das muss man leider so feststellen. Förderungen des Mittelstandes, vor allem der beruflichen Bildung, reichen nicht. Noch schlimmer: Auch in der mittelfristigen Finanzplanung sind keine spürbaren Erhöhungen für Investitionen in Bildungsstätten vorgesehen. Und genau das ist das eigentliche Problem. Zur selben Zeit steigen die Belastungen für mittelständische Betriebe immer weiter, sei es durch Sozialabgaben, Lohn- und Energiekosten, aber auch weiter durch Bürokratie. Gleichzeitig werden private Start-ups mit Förderzuschüssen als Anschubfinanzierung in deutlich größerer Höhe bedacht, ohne dass davon die Breite der Unternehmen oder Betriebe profitiert.
Hat die Politik das erkannt? Es steht auch noch die Gleichwertigkeit der beruflichen mit der akademischen Bildung aus – trotz Bekenntnissen von allen Seiten!
Ja, die Bekenntnisse gibt es von allen Seiten. Ich denke, die Bedeutung der beruflichen Bildung ist in der Politik inzwischen angekommen. Und ich sehe auch, dass wir auf einem guten Weg sind, allerdings noch weit entfernt von dem, was hier an Unterstützung notwendig wäre. Es ist meines Erachtens nach eine Schlüsselfrage, das Image der beruflichen Bildung weiter zu heben, auch und gerade in Zeiten der KI.
Das Handwerk wird auch immer als Beispiel angeführt, das nicht durch die KI zu ersetzen ist.
Meine Empfindung ist, dass KI eher andere Berufsbilder gefährdet als das Handwerk. Natürlich kann auch im Handwerk ein humanoider Roboter bestimmte Aufgaben übernehmen, aber ganz sicher nicht die eigentlichen handwerklichen Tätigkeiten. Handwerk findet an Orten und unter Bedingungen statt, mit denen Roboter überfordert sind. Und das wird wohl auch so bleiben. Wenn man dann noch bedenkt, dass unsere Arbeit auch eine soziale Dimension im Umgang mit den Kunden hat, ist es nur logisch und klug, Menschen in Berufe zu bringen, in denen sie wirklich gebraucht werden und die zukunftsfest sind.
Bei einer Gleichwertigkeit fürchten viele gerade aus dem Arbeitgeberlager, dass sie ihren Mitarbeitenden mehr bezahlen müssten.
Es geht hier vorrangig um die Gleichwertigkeit im gesetzlich-rechtlichen und im staatlichen Sinne. In Sachen Löhne gibt es die Sozialpartnerschaft mit Tarifautonomie. Erste Gespräche zur gesetzlichen Verankerung der Gleichwertigkeit beider Bildungswege laufen bereits. Jetzt geht es darum, einen Gesetzesentwurf zu erarbeiten und alles auf den Weg zu bringen.
Wie sind Sie denn generell zufrieden mit der bisherigen Regierungsarbeit?
Die Erwartungen ganz vieler im Handwerk sind schon enttäuscht. Der sogenannte Investitionsbooster ist sicher richtig und pragmatisch, aber er hilft vor allem denen, die jetzt Kapital und Geld für Investitionen haben. Wer gerade erst gründet, kann mit der Sonderabschreibung allein nichts anfangen, es braucht eine echte strukturelle Steuerreform. Und das Argument, dass das Handwerk indirekt profitiert, wenn andere investieren, mag theoretisch richtig und nachvollziehbar sein, aber bislang kann ich das noch nicht erkennen. Ein Beispiel für das schwindende Vertrauen in die neue Regierung und den wachsenden Frust bei vielen Betrieben ist die Stromsteuer: Erst eine Stromsteuersenkung für ALLE zu versprechen, diese im Koalitionsvertrag, im Koalitionsausschuss, im Sofortprogramm festzuschreiben, um dann festzustellen, dass die Mittel dafür fehlen: Das zerstört Vertrauen in die Verlässlichkeit von politischen Zusagen. Deswegen bleibt die Forderung auf dem Tisch, dies im parlamentarischen Verfahren noch zu korrigieren. Zumal es auch der Bürokratievermeidung dienen würde.
Was bleibt, ist ein Flickenteppich.
Oh ja. Fleischereien mit Produktion profitieren davon, aber nicht ihre Verkaufsfilialen. Das muss dann entsprechend bürokratisch voneinander abgegrenzt werden und für die Senkung müssen entsprechende Formulare ausgefüllt werden. Und was ist eigentlich mit den nicht berücksichtigten energieintensiven Textilreinigungen? Die Ungerechtigkeiten ließen sich fortsetzen. Wenn die Stromsteuersenkung für alle gälte, bräuchte man keine Formulare und keine Kontrollen.
Fehlt es der Politik an konkreten Mittelstandsansätzen?
Ich habe Verständnis dafür, dass sich der Bundeskanzler zunächst auf außenpolitische Themen konzentriert hat. Aber wir brauchen in der Regierung mehr, die sich um Mittelstandsthemen kümmern. Ich nenne nur zwei Beispiele: Mit dem Sonntagsbackverbot sind Bäcker schlechter gestellt als jede Tankstelle. Oder die Bonpflicht, deren Abschaffung übrigens explizit im Koalitionsvertrag steht, ließe sich schnell aussetzen. Beides wären einfache und schnell umsetzbare Maßnahmen, die ein Zeichen wären und zeigen würden, dass man den Mittelstand ernst nimmt.
Welche Punkte halten Sie für realistisch, die die Regierung zeitnah angeht?
Alle sind sich einig, dass etwas passieren muss. Die zwei eben genannten Punkte wären ein sinnvoller Einstieg, bevor man sich an die großen Baustellen wie die Reform der Sozialversicherungssysteme macht, wo der Druck im Kessel bereits extrem hoch ist. Da reicht es nicht, wenn der Kanzler immer wieder sagt, man müsse liefern. Da muss auch tatsächlich etwas kommen.
Fehlt die Entscheidungsfreudigkeit?
Es ist nicht nachvollziehbar, dass die jetzt eingesetzten Kommissionen erneut daran gehen, ganz Grundsätzliches zu eruieren, obwohl schon längst Reformkonzepte aus früheren Kommissionen und von Experten vorliegen. Das Problem ist und das habe ich auch schon als Teilnehmer an solchen Runden erlebt: Es prallen Lebenswelten aufeinander, die so unterschiedlich sind und so weit auseinanderliegen, dass man am Ende nicht zu gemeinsamen Entscheidungen kommt.
Das Handwerk sucht händeringend Nachwuchs. Wie weit wäre das Handwerk beispielsweise bereit, zum Beispiel Selbstständige, die in ihrer Heimat in einem meisterpflichtigen Beruf gearbeitet haben, hier anzuerkennen?
Das ist ein wichtiges Thema, weil es Potenziale eröffnet. Seit dem Inkrafttreten des Anerkennungsgesetzes vor über zehn Jahren sind die Handwerkskammern für die Anerkennung von beruflichen Abschlüssen aus dem Ausland zuständig. Seither wurden weit über 25.000 Abschlüsse anerkannt, ein bedeutender Beitrag zur Fachkräftegewinnung, zunehmend auch aus nicht-europäischen Ländern. Die Berufsanerkennung trägt zudem auch bei zu einer weiteren Flexibilisierung des Zugangs zur Selbstständigkeit in zulassungspflichtigen Handwerken. Seit diesem Jahr können Personen ohne formale Ausbildung, aber mit umfangreicher Berufserfahrung, ihre Kompetenzen im Rahmen eines Validierungsverfahrens bei den Handwerkskammern feststellen lassen. Das erleichtert den Zugang zu Arbeit und Qualifizierung im Handwerk. Wir eröffnen innerhalb unseres bewährten Berufssystems viele Wege, um die Fachkräftesicherung im Handwerk zu unterstützen.
Herr Dittrich, im Dezember geht Ihre erste Legislatur als ZDH-Präsident zu Ende. Was ist Ihr Resümee dieser drei Jahre – und wie geht es für Sie weiter?
Als ich vor drei Jahren dieses Amt angetreten habe, waren mir drei Dinge besonders wichtig: Ich wollte als Präsident das Handwerk zusammenhalten, die Imagekampagne des Handwerks vorantreiben und dafür sorgen, dass die handwerklichen Interessen stärker in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Wenn ich nun zurückblicke, meine ich, dass die Themensetzung richtig war und auch Früchte trägt. Natürlich bleibt viel zu tun. Deshalb werde ich im Dezember erneut für das Amt des ZDH-Präsidenten kandidieren.
Das Gespräch führten Stefan Buhren und Martina Jahn