Zentralverband des
Deutschen Handwerks
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Deutschen Handwerks
24.01.2022

"Es braucht Fachkräfte und Akademiker: in richtiger Balance"

Das Verhältnis zwischen Akademikern und Fachkräften ist derzeit in eine Schieflage geraten und unausgewogen, so ZDH-Präsident Wollseifer in der "Welt am Sonntag".
Fließenleger verlegt Bodenfliesen.

"Der Mangel an beruflich qualifiziertem Fachpersonal ist in erster Linie eine Konsequenz aus dem geringen Respekt der Gesellschaft für berufspraktische Ausbildung und Arbeit. In der Bildungspolitik müssen wir dringend eine Kehrtwende vornehmen: Wir müssen alles daran setzen, so rasch wie möglich tatsächlich die Wende hinzubekommen zu mehr Wertschätzung der beruflichen Ausbildung, aber auch ganz konkret hin zu mehr jungen Menschen, die sich für den beruflichen Ausbildungsweg entscheiden. Denn der entscheidende Hebel, um die Fachkräftelücke zu schließen, bleibt es, in Deutschland mehr junge Menschen zu qualifizierten Fachkräften auszubilden. Ohne Fachkräftefundament fehlt dem deutschen Wirtschaftsgebäude die Basis und damit der Halt", so ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer gegenüber Marcel Leubecher von der "Welt am Sonntag".

"Wir müssen alles daran setzen, so rasch wie möglich tatsächlich die Wende hinzubekommen zu mehr Wertschätzung der beruflichen Ausbildung, aber auch ganz konkret hin zu mehr jungen Menschen, die sich für den beruflichen Ausbildungsweg entscheiden. Denn der entscheidende Hebel, um die Fachkräftelücke zu schließen, bleibt es, in Deutschland mehr junge Menschen zu qualifizierten Fachkräften auszubilden.

Berufliche Ausbildung ist Schlüssel zur Fachkräftesicherung

Deshalb muss die Politik ihren Fokus mit höchster Priorität auf die berufliche Bildung richten und zum Gegenstand ihres politischen Handelns machen, weil berufliche Ausbildung der entscheidende Schlüssel zur Fachkräftesicherung ist. Hier braucht es endlich eine echte, auch finanzielle Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung. Das muss im Gesetz festgeschrieben werden, damit das bei den Finanzplanungen dann auch entsprechend beherzigt werden muss.

Das Handwerk braucht die Unterstützung der Politik. Wir tun ja alles Mögliche. Wir haben eine Imagekampagne. Wir sind in den sozialen Netzwerken. Wir haben Ausbildungsberater in unseren Handwerkskammern. Wir gehen in die Schulen. Aber damit das wirklich verfängt, müssen wir endlich vom Bildungsmantra der vergangenen Jahrzehnte wegkommen, dass man nur mit einem Studium eine Karriere und eine gute Berufslaufbahn machen kann.

Dieses Umdenken, das brauchen wir. Zumal es aktuell so ist, dass sich das mit einem Studium verbundene Aufstiegs- und Erfolgsversprechen längst nicht mehr für alle einlösen lässt. Viele dieser jungen Menschen – besonders natürlich unter den Studienaussteigern – wären sicherlich im Handwerk wesentlich besser und zukunftssicherer aufgehoben. Und ich wage sogar zu behaupten, dass die berufliche Bildung gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt Perspektiven eröffnet, die mancher akademische Weg nicht mehr bieten kann, etwa wenn es um die Arbeitsplatzsicherheit oder die Möglichkeiten zur Selbstständigkeit geht.

Wenn man sich die hohe Zahl an Studienabbrechern ansieht, dann ist das doch ein Indiz dafür, dass sich für viele dieser jungen Menschen der akademische Weg offenbar als Sackgasse erwiesen hat. Bei dieser Feststellung geht es ganz und gar nicht um ein Akademiker-Bashing oder darum, verschiedene Berufsgruppen gegeneinander auszuspielen. Wir brauchen Akademiker wie beruflich qualifizierte Fachkräfte, aber in einer vernünftigen Balance. Bei uns ist da aber in den vergangenen Jahrzehnten etwas in die Schieflage geraten, weil nur die akademische Bildung gehypt wurde. Die berufliche Bildung galt als zweitrangig. Damit das wieder in ein richtiges Verhältnis kommt, ist eine generelle Bildungsumkehr nötig. Wenn 55 Prozent der jungen Leute studieren, ist das unausgewogen. Allein im Handwerk finden sich jedes Jahr für fast 20.000 angebotene Ausbildungsplätze keine Lehrlinge. Dabei suchen unsere Betriebe derzeit geschätzt rund 250.000 Fachkräfte, die sie sofort einstellen könnten. Und ich bin überzeugt: Im Handwerk dürften eine Reihe junger Menschen möglicherweise besser aufgehoben sein als an der Uni ganz nach dem Motto: Lieber ein erfolgreicher Meister als ein prekärer Master.

Bildungspolitik braucht Kehrtwende

Der Mangel an beruflich qualifiziertem Fachpersonal ist in erster Linie eine Konsequenz aus diesem deutschen Bildungsansatz und dem geringen Respekt der Gesellschaft für berufspraktische Ausbildung und Arbeit. In der Bildungspolitik müssen wir dringend eine Kehrtwende vornehmen, sonst droht unser gesamtwirtschaftliches System zu kollabieren: Denn ohne Fachkräftefundament fehlt dem deutschen Wirtschaftsgebäude die Basis und damit der Halt.

Beruflich qualifizierte Fachkräfte brauchen wir, wenn wir wollen, dass unsere Gesellschaft und Wirtschaft auch in Zukunft funktionieren. Daher muss uns als Gesellschaft insgesamt daran gelegen sein, wieder mehr junge Menschen für handwerkliche Berufe zu begeistern: Nur mit genügend Azubis haben wir die dringend nötigen Fachkräfte in der Zukunft. Wenn diese Fachkräfte jedoch fehlen, dann werden die Folgen nicht nur das Handwerk, sondern die Gesellschaft und ganze deutsche Wirtschaft spüren.

Bei der Nachwuchsgewinnung erweisen sich gleich mehrere Punkte als Probleme: Das Ankämpfen gegen immer noch weit verbreitete, aber veraltete Klischees vom Handwerk. Das zu geringe Wissen bei Jugendlichen, Eltern und leider teils auch Lehrern über all die zukunftssicheren, innovativen und anspruchsvollen Karriere- und Fortbildungsmöglichkeiten im Handwerk bis hin zur Befähigung, schon in sehr jungen Jahren einen eigenen Betrieb führen zu können. Und der – wie schon beschrieben - weiter vorherrschende Bildungsirrglaube, nur mit einem Studium beruflich etwas werden und bewegen zu können. Aber wie wir aktuell ja schon merken: Wer Zukunft gestalten will, wer Klimaschutz aktiv als Beruf betreiben will, wem Nachhaltigkeit wichtig ist, wer seinen eigenen Betrieb leiten will, der ist im Handwerk genau richtig. Es sind Handwerkerinnen und Handwerker, die die von der Politik vereinbarten Zukunftsaufgaben anpacken und umsetzen: Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes DIE ZukunftsMACHER.

Die neue Bundesregierung hat sehr ambitionierte Pläne, die wir durchaus unterstützen. Klar ist aber auch, dass das nur mit dem Handwerk gehen wird. Wir sind die Umsetzer. Nur mit beruflich qualifizierten Fachkräften des Handwerks sind die Klimaschutzziele, die Energieeffizienzziele, die E-Mobilität, der Ausbau der Ladesäulen und der Infrastruktur möglich.

Man hat sich eine Menge im Koalitionsvertrag für die berufliche Bildung vorgenommen, aber das muss jetzt auch angegangen werden, und zwar schnell. So sollen etwa für Meisterabsolventen und Meisterabsolventinnen die Qualifizierungskosten weitgehend übernommen werden. Die Berufsschulen müssen stärker finanziert werden. Das steht im Koalitionsvertrag. Das ist richtig, das begrüßen wir. Die 600 Bildungsstätten des Handwerks stehen aber nicht drin. Das aber sind die Hochschulen des Handwerks. Da braucht es zwingend ein entsprechendes Engagement. Bei der Begabtenförderung werden die Begabten in der beruflichen Bildung mit 60 Millionen gefördert. In der akademischen Bildung mit 300 Millionen. Ähnlich ist es in anderen Bereichen auch. Nicht nur Studierende, sondern auch Auszubildende orientieren sich zunehmend überregional. Bundesweite Azubitickets und mehr attraktive Azubiwohnangebote könnten die überregionale Vermittlung auf dem Ausbildungsmarkt fördern. Das würde es Handwerksbetrieben erleichtern, ihren Fachkräftenachwuchs zu sichern."

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