Regierung muss liefern, keine Zeit für parteipolitische Spiele

Foto: ZDH/Henning Schacht
Herr Dittrich, Bundeskanzler Friedrich Merz hat seine erste Regierungserklärung gehalten. Trauen Sie der neuen Koalition den wirtschaftlichen Turnaround zu?
Ich muss es ihr zutrauen. Jetzt schon keine Zuversicht zu haben, würde noch mehr Ängste und Unruhe erzeugen. Und ich denke, der Koalition ist klar, welcher Druck gerade auf Deutschlands Wirtschaft und Demokratie lastet – auch geopolitisch. Der Mensch lernt aus Erkenntnis oder Schmerz. Die Erkenntnis haben wir schon lange genug. Jetzt ist auch der Schmerz so groß, dass entschlossen gehandelt werden muss.
Wir erleben aber eine Koalition, die – kaum im Amt – über die Rente, die Migration oder den Umgang mit der Linkspartei streitet. Fürchten Sie ein Revival der zerstrittenen Ampel?
Die neue Regierung hat eine 100-Tage-Frist verdient. Die sollten wir ihr einräumen. Diese Schonfrist sollte sich die Koalition aber auch selber geben. Kein Verständnis habe ich, wenn vor der Verabschiedung des ersten Gesetzes schon wieder in einer Weise diskutiert wird, als wäre morgen Bundestagswahl. Bald schon geht es in die Sommerpause. Die neue Regierung sollte lieber zunächst konkrete Punkte aus dem Koalitionsvertrag umsetzen, bei denen Einigkeit herrscht, statt schon die nächste Sau durchs Dorf zu jagen auf Politikfeldern, die strittig sind.
Arbeitsministerin Bärbel Bas hat ihren Vorstoß zur Einbeziehung von Beamten in die Rentenversicherung wahrscheinlich auch deshalb gemacht, um sich mit Blick auf die SPD-Basis eine günstige Ausgangsposition für ihre Wahl zur Parteichefin zu sichern…
Als Arbeitsministerin ist Frau Bas nicht nur den SPD-Mitgliedern verpflichtet, sondern sie muss in erster Linie an das große Ganze denken und staatspolitische Verantwortung übernehmen. Die Wählerinnen und Wähler der schwarz-roten Koalition wie aber auch alle Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass die Politik jetzt ins Handeln kommt. Die Ängste der Menschen sind real und gravierend. Das sehen wir an den Wahlergebnissen. Deswegen ist keine Zeit für parteipolitische Spiele.
Die Zukunftserwartungen im Handwerk haben sich erstmals seit 2023 aufgehellt. Sehen Sie Licht am Horizont?
Es gibt einen Silberstreif bei den Geschäftserwartungen, aber in den Zahlen zur tatsächlichen Geschäftslage können wir die Trendwende noch nicht sehen. Diese ersten Zuversichtsanzeichen sind die Sehnsucht und die Hoffnung, dass jetzt auch mit politischen Maßnahmen eine Trendwende erreicht wird. Unsere Sorge im Handwerk ist das „stille Sterben“ von Betrieben. Ich erwarte keine Insolvenzwelle, aber viele geben ihre Betriebe auf, weil sie mürbe sind durch wirtschaftlichen Druck, Bürokratie, Misstrauen der Politik, Nervosität von Kunden und Mitarbeitern. Die Lage ist schlecht, aber immerhin ist die Hoffnung wieder ein Stückweit da, dass sich etwas bewegt.
Tragen dazu die Versprechungen aus dem Koalitionsvertrag bei, etwa die Superabschreibungen?
Die kann nur nutzen, wer wirtschaftlich in der Lage ist, solche Investitionen zu tätigen. Aber ich bin trotzdem eindeutig für diese Abschreibungen als Investitionsanreiz. Es muss gelingen, diejenigen, die Geld haben, zu motivieren, dieses genau jetzt zu investieren. Wenn als Folge die Wirtschaft anspringt, haben alle etwas davon.
Was aus dem Koalitionsvertrag hilft dem Handwerk?
Konkrete Punkte wie die Aufhebung des Sonntagbackverbots für das Bäckerhandwerk oder die Abschaffung der Bonpflicht. Generell der Bürokratieabbau, der mit bezifferbaren Zielen versehen ist.
Der schon oft versprochen wurde…
Das Versprechen muss jetzt eingelöst werden. Der Bürokratieabbau muss gelingen. Eine überbordende Bürokratie führt zum Staatsversagen und höhlt das Zutrauen in den Rechtsstaat aus. Positiv im Koalitionsvertrag sind auch das ausdrückliche Bekenntnis zur beruflichen Bildung, die Investitionsanreize, die versprochene Strompreissenkung und die Arbeitszeitflexibilisierung.
Die die Gewerkschaften ablehnen.
Ehe das gleich verdammt wird, sollten wir sie erst einmal ausprobieren. Und wenn es zu Auswüchsen kommen sollte, dann reden wir wieder.
Welchen Vorteil bringt denn aus Ihrer Sicht die Umstellung von einer täglichen auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit?
Sie bringt Betrieben und Beschäftigten mehr Flexibilität. Zum Beispiel wird es dann leichter, die bisherigen Wochenstunden in vier Tagen abzuleisten und einen freien Tag zu gewinnen. Das ist für viele Handwerker interessant, die zur Montage auf Auswärtsbaustellen eingesetzt werden. Oder für die, die familiäre Pflege- und Betreuungssituationen flexibler gestalten wollen. Die Grenze ist der Arbeitsschutz. Sicherlich sollte es nicht so verstanden werden, jetzt 48 Wochenstunden auf drei Tage zu verteilen.
Im jüngsten Tarifabschluss für das Kfz-Handwerk wurde ein Wahlmodell zwischen mehr Geld und mehr Freizeit vereinbart. Wie passt das zum Mantra, dass wir alle mehr arbeiten sollen?
Wenn alle immer mehr Freizeit wollen, wird es nahezu zwangsläufig zu Wohlstandsverlusten kommen. Nicht nur, weil sich die Betreffenden für weniger Geld entscheiden. Sondern auch, weil dann nicht genügend Arbeitskraft da ist: Dann wird für alle weniger Dienstleistung zur Verfügung stehen wie der Bäcker an der Ecke, der dann die Öffnungszeiten nicht mehr garantieren kann, oder der Termin in der Kfz Werkstatt, der zum Geduldsspiel wird.
Deutschland steckt seit zwei Jahren in der Rezession. Hat sie wenigstens insofern etwas Gutes, als dass der Fachkräftemangel abgeschwächt wurde?
Die konjunkturelle Schwäche überdeckt augenblicklich nur, wie gigantisch der Fach- und Arbeitskräftebedarf ist. Die Finanzierung unserer sozialen Sicherungssysteme hängt an hoher Beschäftigung und Fachkräftezuwanderung. Deshalb ist es alarmierend, dass die Arbeitslosigkeit steigt und wir trotzdem Fachkräftemangel haben.
Sie haben die sozialen Sicherungssysteme angesprochen. Die Sozialabgabenlast liegt inzwischen bei mehr als 42 Prozent, obwohl man ursprünglich ja die 40 Prozent als Obergrenze halten wollte…
Ein Prozentpunkt entspricht knapp 20 Milliarden Euro, wir reden also über fast 40 Milliarden Euro, die wir über der 40-Prozent-Marke liegen. Geld, das die Kolleginnen und Kollegen nicht zur Verfügung haben, um zum Friseur zu gehen, sich Brötchen zu kaufen oder den Heizungs- und Sanitärfachmann zu bestellen. Und knapp 20 Milliarden Euro auf der Seite der Betriebe, die fehlen, um in einen Kran, eine neue Maschine oder eine Wärmepumpe zu investieren.
Zumindest die Krankenkassen- und Pflegebeiträge werden weiter steigen, was wiederum die Arbeitskosten erhöht. Können wir uns den Handwerker künftig überhaupt noch leisten?
Die Kostenschübe, die auf das Handwerk einprallen, sind von uns kaum beeinflussbar – und sie sind extrem abhängig von der derzeitigen Finanzierungsweise der Sozialsysteme. Die ist überwiegend an den Lohn gekoppelt. Die lohnintensiven Bereiche wie eben das Handwerk haben in Deutschland inzwischen einen zu großen Nachteil gegenüber anderen Geschäftsmodellen, die digital sind oder mit Robotik arbeiten. Der Friseurbesuch, die Reparatur der Heizung oder der Ölwechsel beim Auto dürfen jedoch nicht zum unbezahlbaren Luxusgut werden. Aber genau diese Sorge treibt mich um.
Union und SPD sind vor allem von älteren Bürgerinnen und Bürgern gewählt worden, das erklärt vielleicht, warum sich niemand an die große Rentenreform traut.
Irgendjemand muss sich für Generationengerechtigkeit einsetzen. Es ist nicht generationengerecht, dass die steigende Lebenserwartung automatisch immer nur in eine längere Rentenphase umgemünzt wird. Eine viele kleinere Generation soll diese Last überproportional tragen. Das ist ungerecht.
Noch einmal zurück zu den Streitthemen der Koalition. Es gibt unterschiedliche Auslegungen über die Passage zum Mindestlohn im Koalitionsvertrag und zu der Frage, ob die 15 Euro 2026 erreicht werden oder nicht. Wo wird denn die Lohnuntergrenze Anfang 2026 liegen?
Genau dort, wo die Sozialpartner in der Mindestlohnkommission und die sie beratenden Wissenschaftler sie festlegen. Ich habe volles Zutrauen in die handelnden Personen.
Und wenn die Entscheidung des Gremiums anschließend von der Politik wieder zerredet wird, weil sie ihr nicht passt?
Dann würde die Politik damit die Mindestlohnkommission ihrer Funktion berauben und diese überflüssig machen. Genauso, wie viele sozialpartnerschaftlich ausgehandelte Tarifverträge. Dabei ist es die bisher funktionierende Sozialpartnerschaft, die sich als zentraler und stabiler Pfeiler unserer sozialen Marktwirtschaft erwiesen hat. Will man das wirklich aufs Spiel setzen?