Beitragsmoratorium dringend nötig

Foto: ZDH/Henning Schacht
Der Kanzler lädt die Industrie zum Auto- und zum Stahlgipfel, die Wirtschaftsministerin plant einen Industriestrompreis. Hat die Regierung auch den Mittelstand im Blick?
Leider nicht genug. Im Regierungshandeln sehe ich bislang nicht, dass sich die Bundesregierung als Ganzes gezielt um die Belange des Mittelstandes kümmert. Die schlechte Stimmung in der Wirtschaft lässt sich nicht allein durch die Unterstützung einzelner Industriebranchen drehen. Es braucht verlässliche Signale für die gesamte Breite der Wirtschaft. Dass die Stromsteuer nicht wie versprochen für alle gesenkt wurde, und viele kleine und mittlere energieintensive Betriebe leer ausgingen, weil sie nicht zum produzierenden Gewerbe zählen, war ein fatales Signal. Eine solche emotionale Schockwelle habe ich zuletzt bei der Einführung von Habecks Heizungsgesetz wahrgenommen.
Am 20. Oktober lädt Wirtschaftsministerin Reiche zum Mittelstandsdialog. Was erwarten Sie sich davon?
Eingeladen sind 45 Verbände, die in nur 90 Minuten mit der Ministerin sprechen können. Solche Formate gab es bereits unter früheren Regierungen. Das allein reicht nicht, denn wo es den Mittelstand auf den Nägeln brennt, ist bekannt, das haben wir vielfach vorgetragen. Uns läuft die Zeit davon. Der Mittelstand steht stark unter Druck, die Zahl der Insolvenzen steigt. Jetzt braucht es schnelle, im Alltag spürbare Signale, die auch kleinen Betrieben zeigen: Wir haben verstanden. Im Koalitionsvertrag gibt es Punkte, die sofort umsetzbar wären, etwa die Abschaffung des Sonntagsbackverbotes für die Bäcker oder der Bonpflicht. Warum handelt die Regierung hier nicht endlich?
Stecken Sie die Erwartungen an diese Regierung, die erst fünf Monate im Amt ist, nicht zu hoch?
Die Regierung hat selbst hohe Erwartungen geweckt, nun muss sie diesen auch gerecht werden. Zeit für langwierige Debatten haben wir nicht mehr, zumal die notwendigen strukturellen Reformen längst klar benannt sind. Der Wirtschaftsstandort Deutschland liegt bereits auf der Intensivstation. Bisher von der Regierung ergriffene Maßnahmen wie der Investitionsbooster mit verbesserten Abschreibungsbedingungen haben bisher keine Stimmungswende gebracht, private Investitionen bleiben weiter aus. Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit muss grundlegend verbessert werden. Zehntausende weitere Jobs stehen auf der Kippe. Wird die wirtschaftliche Lage nicht stabilisiert, droht politische Destabilisierung. Und das darf nicht passieren.
Sie sprechen den Reformbedarf im Sozialsystem an. Was muss etwa bei der Kranken- und Pflegeversicherung passieren?
Zum Reformbedarf bei den Sozialversicherungen steht im Koalitionsvertrag nichts Konkretes, zentrale Fragen zur Zukunft der Sozialversicherungen sind erst einmal in Kommissionen vertagt worden. Dabei liegen Vorschläge dazu längst vor. Jetzt fehlt die Zeit für langwierige Kommissionsberatungen. Es braucht den Konsens, dass die Lohnzusatzkosten nicht weiter steigen dürfen, sondern wieder unter die 40-Prozent-Marke zurück müssen. Aktuell liegen wir bei fast 43 Prozent, Tendenz steigend. Um gegenzusteuern, sind zweistellige Milliardenbeträge aus dem Bundeshaushalt nötig, unter anderem um die versicherungsfremden Leistungen stärker aus Steuermitteln zu finanzieren. Als ersten Schritt muss es ein Moratorium geben, das weitere Steigerungen sofort stoppt. Danach müssen Reformen folgen, die die Beiträge spürbar senken.
Sie wollen das Gesundheitssystem mit noch höheren Steuerzuschüssen stabilisieren?
Vorrang haben Strukturreformen im Gesundheitssystem. Es muss allen klar sein: Im Rahmen eines Gesamtpakets bei Gesundheit und Pflege muss auch der Leistungskatalog in den Blick genommen und geschaut werden, was unbedingt notwendig ist. Bis Reformen greifen, sind höhere Steuerzuschüsse nötig, um das System stabil zu halten.
Was müssen wir im Rentensystem ändern?
Dass viele Ältere vorzeitig in Rente gehen, muss aufhören. Es ist gegenüber der kleineren Generation der Jüngeren nicht gerecht, ihnen die Versorgung der älteren, größeren Gruppe aufzubürden, erst recht nicht angesichts gestiegener Lebenserwartung. Warum sollten sie allein diese zusätzliche Lebenserwartung finanzieren? Der oft bemühte Dachdecker darf nicht länger als Argument herhalten, um für die Gesamtheit der Rentner alles unangetastet zu lassen. Zunächst muss sich das tatsächliche Renteneintrittsalter den 67 Jahre konsequent annähern. Gut ist, dass die Rentenreformkommission nun schon 2026 ihre Ergebnisse vorlegen soll.
Ginge es allein nach der SPD, soll es im Gegenzug für die Sozialreformen Steuererhöhungen für Reiche geben. Wie bewerten Sie das?
Leistungsträger und Arbeitgeber übernehmen unheimlich viel Verantwortung für diese Gesellschaft. Die Gretchenfrage ist doch: Ab wann gilt man denn eigentlich als reich? Schon ein Handwerksbetrieb mit Maschinen und Betriebsgebäuden wird bei einer Million Euro als vermögend eingestuft. Dabei kostet ein Kran allein rund 500.000 Euro. Schöpft man bei solchen vermeintlich vermögenden Betrieben mehr ab, fehlt das Geld für Investitionen. Die Steuererhöhungsdebatte hilft nicht, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, ich halte sie sogar für schädlich.
Ab 2028 sollen nur Körperschaften steuerlich entlastet werden, die mittelständischen Personengesellschaften jedoch nicht. Was fordern Sie?
Gleichbehandlung! Es kann nicht sein, dass Personengesellschaften bei der Steuersenkung außen vor bleiben. Aus der SPD heißt es, Betriebe könnten sich ja in eine GmbH umwandeln, dann kämen auch sie in den Genuss. Doch für viele ist das keine Option, weder ist das finanziell und rechtlich praktikabel noch emotional und kulturell vermittelbar.
Wie würde eine Erhöhung der Erbschaftsteuer wirken?
Viele Betriebe suchen dringend Nachfolger. Wir erleben im Handwerk gerade ein stilles Sterben von Betrieben, weil vielen die Belastungen zu groß sind und sie schließen. Das Betriebsvermögen steckt in Sachwerten, die beim Übergang auf die Erben womöglich angetastet würden. Statt über Steuererhöhungen zu reden, sollte lohnintensive Arbeit endlich entlastet werden. Der permanente Fokus der Politik ausschließlich auf die Erhöhung der Einnahmenseite stört mich. Als Betriebsinhaber muss ich schließlich auch die Ausgabenseite immer mit im Blick behalten. Genau das erwarte ich auch von der Bundesregierung.