Politische Zeitenwende für einen echten Aufbruch nutzen

Foto: ZDH/Boris Trenkel
Mit Blick auf die laufenden Koalitionsverhandlungen im Bund plädierte Wollseifer dafür, "diese Phase mit einem echten Aufbruch und einer neuen Perspektive zu verbinden." Das Handwerk werde sich selbstbewusst in die Debatten einbringen, die jetzt geführt werden müssten, sagte Wollseifer während der ZDH-Vollversammlung in Berlin.
Der ZDH-Präsident verwies darauf, dass die Corona-Pandemie das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in Deutschland weiter stark bestimme. Viele Betriebe hätten zudem mit hohen Energiepreisen, gestörten Lieferketten und Materialmangel zu kämpfen. Wollseifer: "Die deutsche Politik kann das alles gar nicht im Alleingang lösen. Sie kann nicht alle damit verbundenen Härten und Risiken abfedern. Und das erwarte ich auch nicht. Das ist nicht unser Staatsverständnis, das ist nicht unser Verständnis von Freiheit und Marktwirtschaft. Aber was ich erwarte, ist eine Politik, die sich kümmert. Die von sich aus prüft, an welchen Stellschrauben sie drehen und wo sie unsere Betriebe entlasten kann. Etwa bei den Rahmenbedingungen für öffentliche Aufträge."
Wollseifer betonte, dass es eines der vordringlichsten Ziele bleiben müsse, Tarifautonomie und Tarifbindung zu stärken und sie gegen politische Versuche zu verteidigen, diese Autonomie zu untergraben. "Wir sehen an der Vielzahl von Tarifverträgen, die Jahr für Jahr im Handwerk abgeschlossen werden, dass die Sozial- und Tarifpartnerschaft insgesamt funktioniert. Das heißt nicht, dass alles gut wäre. Dass nichts zu tun wäre. Und deshalb legen wir auch nicht die Hände in den Schoß. So haben wir etwa bei den Beratungen zur HWO-Novelle im zurückliegenden Jahr einen klaren Akzent in Sachen Tarifbindung und -verträgen gesetzt. Das ist ein wichtiges Zeichen. Aber das müssen wir auch ganz konkret mit Leben füllen."
Auch die berufliche Bildung stellte der ZDH-Präsident in den Vordergrund. "Ich bin sehr stolz auf das, was unsere Betriebe, gerade in den letzten beiden Jahren bei der Ausbildung geleistet haben, unter widrigsten Umständen." Wollseifer verwies auf die Fortschritte, die man in den vergangenen Jahren im Dialog mit der Politik erzielt hätte. Dazu zählten das Berufsabitur, die neuen Abschlussbezeichnungen bei den höheren Berufsabschlüssen, die Wiedereinführung der Meisterpflicht in zwölf Gewerken sowie die Entlastung des Ehrenamtes im Meisterprüfungswesen.
Gleichzeitig schränkte er jedoch ein: "All diese Initiativen, all diese Maßnahmen, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass das zentrale Problem bei der beruflichen Bildung leider noch immer nicht entschieden genug von der Politik angegangen wird. Nämlich: eine echte Gleichwertigkeit zwischen unserer beruflichen und der akademischen Bildung, die gesetzlich festgeschrieben ist und im politischen Alltag gelebt wird." Zudem brauche man konkrete Entlastung für Betriebe, die ausbilden, sowie mehr attraktive Angebote für den Nachwuchs, etwa durch ein Azubiticket.
Wollseifer schloss seine Ausführungen mit einem deutlichen Appell an die Politik: "Wir brauchen Freiräume, damit sich Menschen erfolgreich unternehmerisch betätigen, damit sie Innovation und Wohlstand schaffen können. Denn nur dadurch schaffen wir am Ende auch die Freiräume für einen solidarischen Staat." Die Belastung für die Betriebe müssten deutlich reduziert werden, so Wollseifer. Als Beispiele nannte er das teilweise absurd hohe Maß an Bürokratie, die vielen Berichts- und Dokumentationspflichten, schleppende Genehmigungsverfahren sowie das politische Bestreben, immer alles bis ins letzte Detail zu regeln. Aber auch die hohe Belastung durch Sozialabgaben gehörten dazu.
Hier finden Sie Impressionen von der ZDH-Vollversammlung mit den Gastrednern Michael Theurer, FDP-Präsidiumsmitglied, und Prof. Dr. Dr. Julian Nida-Rümelin, stellv. Vorsitzender des Ethikrats.