Zentralverband des
Deutschen Handwerks
Zentralverband des
Deutschen Handwerks
04.10.2021

"Betriebe brauchen eine zukunftsausgerichtete Politik"

ZDH-Geschäftsführer Karl-Sebastian Schulte im "DATEV-Magazin" über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Handwerk und die Erwartungen an die Politik der künftigen Bundesregierung.
Portraitfoto von Karl-Sebastian Schulte vor blauer Handwerksleinwand im Haus des Deutschen Handwerks in Berlin

Karl-Sebastian Schulte, Geschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks,
Geschäftsführer des Unternehmerverbandes des Deutschen Handwerks

"Die nächste Bundesregierung muss dafür Sorge tragen, dass Handwerksbetriebe in ihrer Liquidität gestärkt und krisensicher und zukunftsfest ausgerichtet werden. Dafür brauchen unsere Handwerksbetriebe vor allem eine Wirtschaftspolitik, die mittelstandsfreundliche Rahmenbedingungen ins Zentrum stellt: Sie brauchen weniger Auflagen und wieder mehr Luft zum Atmen," betont ZDH-Geschäftsführer Karl-Sebastian Schulte in seinem Namensbeitrag für das DATEV-Magazin, der Anfang Juli verfasst wurde und den Stand der politischen Entwicklungen zum damaligen Zeitpunkt spiegelt.  

"Die Corona-Pademie stellte für die überwiegend kleinen und mittelständischen Betriebe des Handwerks eine harte Zäsur dar. 2020 war das Handwerk mit einem soliden Umsatzwachstum aus dem Vorjahr, mit vollen Auftragsbüchern und besten Konjunkturaussichten ins Jahr gestartet. Schon in den Vorjahren konnten die rund 1 Million Betriebe mit 5,62 Millionen Beschäftigten in 130 Berufen und ca. 363.000 Auszubildenden mit bester Auslastung ihren unverzichtbaren und stabilisierenden Beitrag für Deutschlands Wirtschaftsentwicklung, Beschäftigung und Ausbildung leisten.

Im Frühjahr 2020 dann plötzlich der herbe Rückschlag: Betriebsschließungen und Kontakteinschränkungen führen bei vielen Betrieben zu monatelangen Umsatzausfällen. Und selbst nach den Lockerungen bleiben wegen einer gestiegenen Zurückhaltung auf Kundenseite neue Aufträge teils aus. Während des Sommers stabilisiert sich die Geschäftslage für die Betriebe etwas – auch, weil sie zügig und mit Unterstützung der Handwerkskammern, Berufsfachverbände und Berufsgenossenschaften ausgefeilte Hygienekonzepte erarbeitet haben, um auch unter den erschwerten Bedingungen weiter für ihre Kunden da sein zu können. Doch mit der zum Jahresende wieder ansteigenden Infektionsdynamik bremst der neuerliche Teil-Lockdown die wirtschaftliche Erholung der Betriebe zum zweiten Mal aus. Dass dieser über den Jahreswechsel schließlich in einen sich fortsetzenden Dauerlockdown in 2021 mündet, zehrt bei nicht wenigen Handwerksbetrieben schließlich letzte Kraftreserven auf und bringt sie an den Rand ihrer Existenzfähigkeit.

Corona: Auf und Ab im Handwerk

Die Vielfalt des Handwerks trägt zwar dazu bei, dass das Handwerk das letzte Jahr im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen insgesamt gut gemeistert hat – unterm Strich konnten wir 2020 sogar ein kleines Umsatzplus verzeichnen. Vor allem die Bau- und Ausbauhandwerke sind gut durch die Krise gekommen. Doch ausgerechnet dort drohen die aktuelle Materialknappheit und die damit verbundenen Preisexplosionen die Konjunkturaussichten auch in diesem Bereich derzeit massiv einzutrüben.

In anderen Handwerksbereichen ließen die Corona-Einschränkungen aber zum Teil die komplette Geschäftsgrundlage wegbrechen. Das Geschäft der Messebauer etwa lag "über Nacht" komplett brach. Gebäude- und Textilreinigern fehlen noch immer viele Aufträge aus der Hotellerie und Gastronomie, weil diese Branchen über Monate geschlossen waren. In den Lebensmittelgewerken fehlten Bäckern, Fleischern, Konditoren, Brauern und Speiseeisherstellern wegen geschlossener Café- und Imbissbereiche wichtige Einnahmen, zudem fiel das Veranstaltungscatering für Hotels und Gaststätten beinahe vollständig aus. Während der Lockdowns mussten auch viele Verkaufsräume und Ladenlokale geschlossen bleiben - das betraf etwa Autohäuser genauso wie Friseursalons oder Schuhmachergeschäfte, um nur einige wenige zu nennen. Vielen Gesundheitshandwerkern blieben die Aufträge aus, weil Arztbesuche zurückgestellt wurden.

All das hat zahlreiche mittelständische Handwerksbetriebe vor massive wirtschaftliche Herausforderungen gestellt. Für fast jeden zweiten Betrieb hat die Pandemie Umsatzverluste gebracht, in einigen Gewerken waren sogar zwei Drittel der Betriebe von Rückgängen und Umsatzausfällen betroffen. Um bei eingeschränkter Geschäftstätigkeit und fehlenden Einnahmen die laufenden Kosten zu bewältigen und die Beschäftigung abzusichern, wurden vielfach die betrieblichen finanzielle Rücklagen angerührt, im Verlauf der Pandemie auch vollständig aufgebraucht. Nicht wenige Betriebsinhaberinnen und Betriebsinhaber griffen sogar auf private Mittel zurück, um weitermachen zu können - bis hin zur eigenen Altersvorsorge.

Nicht ohne Stützungsmaßnahmen

Viele von ihnen konnten sich in den Monaten der Einschränkungen und danach nur mit den umfangreichen staatlichen Stützungsmaßnahmen für die Wirtschaft – wie Kurzarbeitergeld, Steuer- und Beitragsstundungen, verbürgte Liquiditätshilfen und nicht zurückzahlbare Zuschüsse – über Wasser halten. Die meisten dieser staatlichen Hilfen wurden schon zu Beginn der Pandemie zügig auf den Weg gebracht und waren für die Betriebe, die unverschuldet in diese Krise geraten waren, auch dringend notwendig.

Ein richtiger Ansatz in dieser Zeit war auch, den Gestaltungsspielraum des Insolvenzrechts zu nutzen und die Insolvenzantragspflicht vorübergehend auszusetzen. Zuletzt konnte aber nur ein Bruchteil der Handwerksbetriebe diese Möglichkeit überhaupt anwenden. Daher dürften aller Voraussicht nach die Auswirkungen bei Rückkehr zum insolvenzrechtlichen Normaltbetrieb überschaubar bleiben: Auch wenn einige Betriebe von der Insolvenz betroffen sein werden, ist eine Insolvenzwelle wohl nicht zu erwarten. Schwer zu prognostizieren bleibt allerdings, inwieweit Handwerksbetriebe als Gläubiger und von Folgeinsolvenzen betroffen sein werden.

Was mit Blick auf die Überbrückungshilfen in der Folge des ersten Lockdowns zudem noch gut klappte, wurde zu Ende des Jahres ungleich schwieriger: Die Umsetzung der November- und Dezemberhilfe und der Überbrückungshilfe III verlief nur äußerst schleppend, selbst bei den dann eingeführten Abschlagszahlungen. Viele Handwerksbetriebe mussten deswegen bis ins Frühjahr hinein auf die dringend benötigte finanzielle Unterstützung warten.

Die Antragstellung war äußerst komplex, beratungsintensiv und forderte alle Beteiligten – von den Betrieben, die sich neben den Herausforderungen im Alltagsbetrieb mit diesen zusätzlichen bürokratischen Hürden auseinandersetzen mussten, über die Kammerberater bis hin zu den Steuerberatern und den Genehmigungsstellen. Mit Unterstützung des Bundeswirtschaftsministeriums konnten zumindest einige im Prozess aufgetretene Detailprobleme gemeinsam im Sinne der Betriebe gelöst werden. Politische Äußerungen – wie die "Bazooka"-Ankündigung von Bundesfinanzminister Olaf Scholz – schürten bei den Betrieben allerdings Erwartungen, die sich in der Praxis oftmals nicht erfüllten.

Wirtschaftliche Perspektive bleibt ungewiss

Klar ist, dass die unverschuldet von der Krise stark betroffenen Betriebe so lange weiter unterstützt werden müssen, wie die Einschränkungen im Zuge der Pandemie anhalten. Denn in vielen Gewerken bleibt trotz der steigenden Impfquote und der zunehmenden Öffnungsschritte die wirtschaftliche Perspektive ungewiss - zumal es absehbar weiter Einschränkungen und das Geschäft mindernde Hygiene- und Abstandsvorgaben geben wird. Die Verlängerung sowohl der Sonderregelungen zum Kurzarbeitergeld als auch der Überbrückungshilfe III bis zum 30. September waren daher richtig und unverzichtbar. Eine weitere Verlängerung der Überbrückungshilfe bis zum Jahresende würde den Betrieben zudem Planungssicherheit für den Zeitraum der Regierungsneubildung geben, falls es dann zu neuerlichen hohen Inzidenzzahlen und Schließungsanordnungen kommen sollte.

Doch auch bei den seit 01.07.2021 erweiterten Coronahilfen sehen wir noch Optimierungs- bzw. Anpassungsbedarf. Nachgesteuert werden muss bei der Neustarthilfe, die aus Sicht des Handwerks dringend auf eine monatliche Betrachtungsweise umzustellen ist. Nicht nachvollziehbar ist ferner, warum z.B. Gesellschafterdarlehen nicht als Eigenkapital anerkannt werden, wenn es um die Entscheidung geht, ob es sich beim Antragsteller um ein Unternehmen in Schwierigkeiten handelt oder nicht. Zudem sollten die aktuellen Preis- und Beschaffungsprobleme für betroffene Betriebe bei der Überbrückungshilfe als nachlaufende Corona-Folgen mit berücksichtigt werden.

Möglich sind darüber hinaus weitere Hilfen: Unverständlich für uns ist etwa, dass sich das Bundesfinanzministerium bislang gegenüber dem einfachsten Hilfsinstrument sperrt, nämlich einer zeitlich deutlich stärkeren Ausweitung der Möglichkeit, aktuelle Verluste mit steuerlichen Gewinnen aus den Vorjahren zu verrechnen.

Zuversicht steigt

Bei aller Krisenbewältigung steigt im Handwerk mit Blick auf die zweite Jahreshälfte allerdings auch wieder die Zuversicht. Die Pandemie hat vielen die Schlüsselrolle des Handwerks bei der Versorgung und zur Sicherung der Daseinsvorsorge noch einmal vor Augen geführt: Die meisten Handwerksbetriebe konnten trotz Lockdown-Vorgaben für viele Wirtschaftsbereiche weiterarbeiten und ihren Beitrag zur Versorgung mit Gesundheitsprodukten, der Reparatur von Fahrzeugen, der Reinigung von Krankenhäusern und Arztpraxen, der Aufrechterhaltung von Kühlsystemen und Klimaanlagen, Notfalleinsätzen im Sanitärbereich oder beim Weiterbau von Wohnungen und digitaler Infrastruktur und vielem mehr leisten.

Das hat in dieser schwierigen Zeit auch bei vielen Handwerkerinnen und Handwerkern den Ansporn erzeugt, durchzuhalten, aus dieser Phase gestärkt hervorzugehen und in Zukunft noch besser für ihre Kunden da sein zu können. Für viele war die Corona-Pandemie ein wesentlicher Impuls dafür, die betrieblichen Organisations- und Wertschöpfungsprozesse wie auch die Marktkommunikation und damit die Kundenkontakte weiter zu digitalisieren. Das reicht von der deutlich gestiegenen Nutzung digitaler Kommunikations- und Organisationslösungen über Homeoffice im administrativen Bereich bis hin zur verstärkten Nutzung von Onlineshops und Onlinemarktplattformen. Sofern Handwerksbetriebe mit Ladengeschäft gemäß Lockdownregelungen ihre Umsätze zumindest teilweise durch Click-and-Meet bzw. Click-and-Collect realisieren durften, haben sie auch das vielfach umgesetzt.

Damit die mittelständischen Betriebe des Handwerks aber auch im "Normalgeschäft" zu alter Stärke zurückkehren und wie in der Vor-Coronazeit als Motor der deutschen Wirtschaft wirken können, müssen sie jetzt dringend in die Lage versetzt werden, die nächsten Monate zu überstehen. Auch die nächste Bundesregierung muss dafür Sorge tragen, dass Handwerksbetriebe in ihrer Liquidität gestärkt und krisensicher und zukunftsfest ausgerichtet werden. Dafür brauchen unsere Handwerksbetriebe vor allem eine Wirtschaftspolitik, die mittelstandsfreundliche Rahmenbedingungen ins Zentrum stellt: Sie brauchen weniger Auflagen und wieder mehr Luft zum Atmen. Nur so bleibt ihnen der Raum für wirtschaftliche Erholung und Wachstum, Innovation, Flexibilität und unternehmerischen Mut - als Voraussetzungen für wirtschaftlichen Erfolg und damit Steuereinnahmen. Genau die braucht Deutschland, um die immensen Kosten der Krise abtragen und eine Zukunft zum Wohle aller gestalten zu können."

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