Warum Handwerker echte Klimaschützer sind

Klimaschutz, Energiewende, Elektro-Mobilität, Fachkräftemangel und Flüchtlingsintegration – das Handwerk steht derzeit vor Chancen und Herausforderungen wie selten zuvor. Constantin Blaß, Robert Baumanns und Philipp J. Meckert vom Kölner EXPRESS sprachen mit dem Präsidenten Hans Peter Wollseifer (64) über die wichtigsten Themen, die Kölns und Deutschlands Handwerker aktuell bewegen.
Handwerk: Thema Klimaschutz
EXPRESS: Alle Welt redet über Klimaschutz – das Handwerk auch?
Wollseifer: Gerade Handwerker haben ein hohes Klima-Bewusstsein. Ebenso für das Thema Luftreinhaltung und Energiewende. Denn: Die Energiewende ist ohne das Handwerk gar nicht denkbar. Handwerk ist der Umsetzer der Energiewende. Alle Techniken und Innovationen, die für die Energiewende erforderlich sind, bauen Handwerker ein. Und: Fast jeder fünfte Handwerker ist mit Energieerzeugung und Energieeffizienz beschäftigt. Auch sonst arbeitet kein anderer Wirtschaftsbereich im Sinne von Nachhaltigkeit wie das Handwerk. Das schließt ein hohes Bewusstsein für den Klimaschutz ein.
Was halten Sie vom Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung und der CO2-Bepreisung von 10 Euro pro Tonne ab 2021?
Wollseifer: Das Klimaschutzpaket sehen wir differenziert. Ich denke, es wird in den Folgejahren noch einmal nachgeschärft werden müssen. Ich könnte mir vorstellen, dass sich auch der Druck auf die Politik dahingehend sicher weiter erhöhen wird. Als Handwerk und damit mittelständische Wirtschaft waren wir gegen eine CO2-Steuer. Wir haben gesagt: Wenn, dann muss über eine mengenmäßige Steuerung des CO2-Verbrauchs über Zertifikate gesteuert werden, etwa in den Bereichen Gebäude und Verkehr. Ob zehn Euro pro Tonne CO2 ausreichend sind? Manche sagen: viel zu hoch. Das lasse ich mal dahingestellt. Ich setze darauf, dass – wie im Klimaschutzprogramm ja vorgesehen – ab 2026 ein tatsächlicher, effizienter und marktorientierter Zertifikatehandel beginnt. Dann wird sich auch zeigen, was denn der „tatsächlich richtige“ CO2-Preis im Gebäude- und Verkehrsbereich ist.
Und wie beurteilen Sie allgemein das Klimapaket der Bundesregierung?
Wollseifer: Der Weg ist richtig, aber man sollte zu ausgewogenen und durchdachten Maßnahmen greifen. Einige Dinge erscheinen mir etwas realitätsfremd. Etwa, dass ab 2026 keine Ölheizungen mehr eingebaut werden dürfen. Das ist vielleicht in den Metropolen machbar. Aber wenn ich beispielsweise ins Oberbergische fahre, da haben wir weder Fernwärme noch Gas. Da können wegen der dafür nötigen Bodenflächen weder Luftwärme- oder Erdwärmepumpen in alte Gebäude eingebaut werden. Zudem haben Ölheizungen heute eine so effiziente Brennwert-Technik, dass sie von den Emissionen her nicht schlechter sind als Gas. Viel wichtiger als solche Details ist aber das Gesamtpotential möglicher Einsparungen im Gebäudebereich. Deswegen muss die steuerliche Förderung energetischer Gebäudesanierungen nun zügig, wirkmächtig und mit verlässlicher langfristiger Perspektive eingeführt werden.
Handwerk: Thema Politik und E-Mobilität für Betriebe
Hat die Politik überhaupt begriffen, was in der Bevölkerung los ist?
Wollseifer: Ich finde es gut, dass wir jetzt bewusst große Schritte in Richtung Klimaschutz gehen, auch für die kommenden Generationen. Es ist unzweifelhaft, dass wir das Klima negativ beeinflussen und da gegensteuern müssen. Und zwar jetzt, nicht erst in 30 Jahren. Wir dürfen aber unsere Wirtschaft darüber nicht Schaden nehmen lassen und durch radikale Einschnitte Zigtausende Arbeitsplätze aufs Spiel setzen. Da müssen wir eine ausgeglichene Politik betreiben. Klima- und Wirtschaftspolitik müssen miteinander verzahnt und sozialverträglich umsetzbar bleiben.
Was halten Sie von Greta Thunberg?
Wollseifer: Ich finde es sehr gut, dass das Thema „Klimaschutz“ auf den Weg gekommen ist. Es ist schon außergewöhnlich, dass ein junger Mensch mit so großem Ehrgeiz und Engagement ein solches Thema betreibt. Aber sie muss aufpassen, dass sie sich nicht vor den Karren spannen lässt, sondern ihre Natürlichkeit und Authentizität behält.
Kommt die E-Mobilität beim Handwerk an? Es gibt ja Förderungen von bis zu 12.000 Euro bei größeren Fahrzeugen…
Wollseifer: Gerade kleinere Handwerksbetriebe haben in der Regel keine eigene Verwaltungsabteilung. Sie tun sich zum Teil schwerer damit, Fördermittel zu beantragen und mit der damit verbundenen Bürokratie umzugehen. Handwerker wollen keine Formulare ausfüllen, sie suchen immer nach praktischen Lösungen. Das ist die DNA des Handwerkers. Deswegen nimmt die E-Mobilität dann an Fahrt auf, wenn sich so ein Wagen gut auf die Einsatzbereiche eines Betriebes ausrichten lässt und die Infrastruktur mit Ladesäulen da ist. Ich glaube, dass Elektromobilität eine Chance hat, auch wenn wir damit etwa fünf Jahre hinterher sind. Elektro wird aber voraussichtlich nicht die universelle Antriebsart werden. Wir brauchen daneben weiterhin saubere Diesel, wir brauchen Gasfahrzeuge und Brennstoffzellen-Antriebe, und wir brauchen synthetische Kraftstoffe.
Die Wut auf die Politik äußert sich auch in einem Rechtsruck der Bevölkerung. Ist das Handwerk dafür anfällig?
Wollseifer: Handwerk ist nicht nur eine Wirtschaftsgruppe, sondern auch eine Gesellschaftsgruppe. Wir haben in Deutschland eine Million Betriebe, fünfeinhalb Millionen Beschäftigte plus deren Familien, die auch zum Handwerk gehören. Das sind dann etwa zehn Millionen Menschen in Deutschland, also hat jeder Achte mit dem Handwerk zu tun. Wir sind insofern auch ein Spiegelbild der Gesellschaft. Bei uns ist hinsichtlich parteipolitischer Präferenz entsprechend alles vertreten, was auch in der pluralistischen Gesellschaft vertreten ist. Das Handwerk hat sich jedoch klar gegen Fremdenfeindlichkeit, Nationalismus und jede Form von Extremismus ausgesprochen. Rückblickend auf die Wahlergebnisse in Brandenburg und Sachsen gibt es offenbar einige Menschen, die sich als Verlierer fühlen, die sich dann zu Wort melden und zum Teil auch Protest wählen. Das ist zunächst einmal ein Ausdruck gelebter Demokratie, solange sich alle im Rahmen der Verfassung bewegen. Da müssen wir eben im Positiven gegenhalten. Und ich glaube, dass Politik im Moment im Begriff ist, das zunehmend zu verstehen. Politik darf sich nicht nur um sich selbst drehen, sondern muss wieder Vertrauen schaffen.
Handwerk: Thema Ost-West und Flüchtlinge
Unterscheidet das Handwerk noch in den Kategorien „Alte und neue Bundesländer“?
Wollseifer: Im Handwerk sind wir da schon ein ganzes Stück weiter. Wir denken nicht mehr in Ost und West. Wir sehen das als Einheit, die wir auch ein Stück weit „mitgebaut“ haben. Wir hatten uns schon vor der offiziellen Vereinigung im Handwerk geeinigt, nämlich am 8. Juli 1990. Wir waren also die Vorreiter der Wiedervereinigung und einige Monate schneller. Klar ist: 40 Jahre DDR lassen sich in 30 Jahren Bundesrepublik Deutschland nicht einfach mal so ausgleichen. Aber der Begriff „Neue Bundesländer“ ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Er sollte ebenso abgeschafft werden wie der Solidaritätszuschlag. Wir haben schon vor Jahren gefordert, dass der Soli weg muss. Einheitlich und komplett.
Gelingt dem Handwerk die Integration von Flüchtlingen?
Wollseifer: Das Handwerk kann und ist Integration. Wir schätzen, dass Ende dieses Jahres bundesweit rund 25.000 Flüchtlinge im Handwerk einen Ausbildungs- oder Arbeitsvertrag haben. Alleine in Köln waren es im vergangenen Jahr 623. Leider kam es in der Vergangenheit immer wieder vor, dass junge Leute aus der Ausbildung heraus abgeschoben worden sind. Auf unser Drängen wurde in das Integrationsgesetz zwar die so genannte 3+2 Regelung mit aufgenommen, nach der geduldete Flüchtlinge nach Abschluss ihrer Ausbildung noch zwei Jahre im Betrieb arbeiten können. Die Regelung wurde aber von den Ausländerbehörden bundesweit unterschiedlich ausgelegt. Damit wurden also genau die Falschen abgeschoben, nämlich die, die sich integrieren und etwas aus sich machen wollen. Inzwischen ist das aber weniger ein Thema und die Standards werden bundesweit einheitlich umgesetzt. Das war auch die Resonanz auf dem Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt vergangene Woche.
Was wünschen sich die Betriebe?
Wollseifer: Dass wir die jungen Menschen – einmal ausgebildet – auch als künftige Fachkräfte langfristig behalten können. Das kürzlich beschlossene Gesetz über die Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung regelt das nun. Es legt fest, dass die jungen Leute, die vor August 2018 nach Deutschland gekommen sind, hier eine Ausbildung gemacht und bestanden haben, die Deutsch sprechen und die ihren Lebensunterhalt selber bestreiten können, auch längerfristig hierbleiben dürfen. Das sind ja im Grunde genau die Leute, die wir auch im Rahmen des neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes als qualifizierte Fachkräfte suchen. Sie haben mit ihrem Weg schon bewiesen, dass sie ebenso integrationswillig sind, die Sprache können und qualifiziert sind. Viele Betriebe sind jedenfalls sehr zufrieden mit den Leistungen und den Persönlichkeiten dieser jungen Menschen und würden sie gerne behalten. Ich selber habe auch einen Iraner in Ausbildung, der jetzt im dritten Lehrjahr ist. Wie viele andere hat er die Zwischenprüfungen bestanden, und auch wenn es mit der Sprache hier und da noch hapert, hat er in der Berufsschule ansonsten gute bis sehr gute Leistungen. Den würde ich gerne weiter beschäftigen, wenn er mit der Ausbildung fertig ist.
Flüchtlinge allein werden aber den Fachkräftemangel im Handwerk nicht lösen, oder?
Wollseifer: Nein, das ist nur ein Baustein. Wir brauchen nach unserer Einschätzung mindestens eine Viertelmillion neue Fachkräfte. Und die fehlen an allen Ecken und Enden. Da müssen alle Potentiale stärker aktiviert werden, also Frauen, Langzeitarbeitslose, Menschen mit Migrationshintergrund und eben auch mehr zugewanderte qualifizierte Fachkräfte. Ein weiteres großes Problem ist, dass wir in den nächsten fünf bis sechs Jahren rund 150.000 Betriebe altersmäßig übergeben müssen. Das wird angesichts des Fachkräftemangels eine Herausforderung. Wir tun sehr viel, um jungen Leuten die Chancen aufzuzeigen und sie zu ermutigen, einen Betrieb übernehmen zu wollen. Die Bedingungen dafür sind gut, viele Betriebe sind etabliert und laufen bestens. Da kann man in jungen Jahren sehr schnell sein eigener Chef werden.
Handwerk: Thema Nachwuchs und Schule
Sie haben mit 21 den Betrieb ihres Vaters übernommen. Würden Sie alles noch einmal genauso machen?
Wollseifer: Ja, ich würde alles noch einmal genauso machen. Ich habe am Bau gelernt und eine Lehre im Malerhandwerk gemacht, direkt dann die Meisterprüfung gemacht und beide Qualifizierungen miteinander kombiniert. Wir waren mit meinem ersten Betrieb dann im Bereich der Bausanierungen tätig. Damals haben wir unter anderem auch das Uni-Center saniert – das wäre mal wieder fällig. Ich bin immer noch aktiver Handwerksunternehmer und halte es für wichtig, dass man auch als Handwerkspräsident weiß, welche Auswirkungen das hat, was am politischen Tisch verhandelt wird, ob in Brüssel oder Berlin.
Was passiert, wenn Sie einen Handwerker beauftragen? Sind die beim Kammer-Präsidenten besonders fix?
Wollseifer: Es kommt auch bei mir vor, dass ich als Unternehmer einige Wochen warten muss, wenn ich einen Elektriker für ein Objekt bestelle. Ich suche jetzt einen Installateur zur Kontrolle von Abwasserleitungen und höre: „Also vor Weihnachten geht das nicht mehr“. Mich trifft das genauso. Der Fachkräftemangel könnte auch durch besseren Nachwuchs aus den Schulen eingedämmt werden.
Was tun Sie da?
Wollseifer: Vergessen wir nicht, dass den Eltern und den jungen Leuten über Jahrzehnte eingeredet wurde, dass man ohne Abitur und Studium nichts werden könne in Deutschland. Diesen Irrglauben geradezurücken, daran arbeiten wir unentwegt, insbesondere auch mit unserer Imagekampagne und vor allem mit guten beruflichen Bildungsangeboten. Das fängt mit dem Berufsabitur an, das es bereits in neun Bundesländern gibt. Innerhalb von drei Jahren können junge Leute eine vollständige Lehre machen und das Fachabitur. Wir sind NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer und auch der Stadt Köln sehr dankbar, dass man uns darin unterstützt, auch hier das Berufsabitur auf den Weg zu bringen. Wir sind jetzt dabei, Pilotklassen einzurichten und Kölner Berufskollegs werben dafür. Viele junge Leute und Eltern wissen ja gar nicht, dass es das gibt. Ein attraktives Angebot ist auch das triale Studium, das Lehre, Meisterprüfung und BWL-Studium beinhaltet. Wir sind aber auch dafür, dass Kinder schon in der Grundschule Werkunterricht bekommen und in weiterführenden Schulen das Fach Wirtschaft. Wichtig ist vor allem auch eine ganzheitliche Berufsorientierung an allen allgemeinbildenden Schulen, also auch an Gymnasien, die Jugendlichen die Chancen und Karrierewege im Handwerk aufzeigt.
Nach dem vom EXPRESS aufgedeckten Skandal um ihren Hauptgeschäftsführer Ortwin Weltrich leitet nun Ex-NRW-Wirtschaftsminister die Kölner Handwerkskammer. Was hat sich verändert?
Wollseifer: Herr Duin ist seit 16.September bei uns. Mit ihm haben wir uns einen starken Wirtschaftsexperten ins Haus geholt, der sehr gut vernetzt ist und sich auch in Verwaltungsabläufen bestens auskennt. Ich glaube, wir haben da einen guten Griff gemacht und ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit.