"Tempo ist bei der Regierungsbildung angesagt"

Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks
Foto: ZDH/Boris Trenkel
ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer betont gegenüber Andreas Niesmann vom Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), dass nach der Bundestagswahl jetzt schnell die Regierungsbildung vorangebracht und der Klimaschutz zwar entschlossen, aber zugleich mit wirtschaftlicher Vernunft angegangen werden muss.
Herr Wollseifer, Deutschland hat gewählt, wie bewerten Sie das Ergebnis?
Das Wahlergebnis hat eine ganz klare Botschaft: Die Menschen möchten aus der Mitte regiert werden, aber sie möchten kein Weiter-so. Das haben vor allem die jungen Wählerinnen und Wähler zum Ausdruck gebracht. Dass sie vor allem den Grünen und der FDP ihre Stimmen gegeben haben, verdeutlicht den Wunsch nach Veränderung und Modernisierung. Die jungen Leute haben verstanden, was Deutschland jetzt braucht.
Und das wäre?
Deutschland braucht einen Klimaaufbruch bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Vernunft, aber keine Klimarevolution. Wir müssen den Kampf gegen den Klimawandel entschlossen angehen, aber alles, was wir jetzt beschließen, muss auch finanzierbar sein. Mehr Klimaschutz gibt es nicht kostenlos, wir müssen ihn erarbeiten. Dafür steht die Kombination aus Grün und Gelb.
Für eine stabile Regierung fehlt eine dritte Farbe. Welche wäre Ihnen lieber: schwarz oder rot?
Parteipolitische Empfehlungen gebe ich nicht ab. Wichtig ist, dass die künftige Regierungskoalition einig und stabil genug ist, um die großen Zukunftsfragen anzugehen und zu beantworten. Die letzte Regierung hat viele Probleme ungelöst gelassen und auf die lange Bank geschoben. Jetzt rennt uns die Zeit davon. Ich erwarte jetzt konzentrierte Gespräche und eine schnelle Regierungsbildung. Eine monatelange Hängepartie wie nach der Wahl 2017 können wir uns nicht mehr leisten. Das bremst die Wirtschaft aus.
Wann sollte die Regierung stehen?
Unsere Betriebe brauchen Klarheit. Wir wollen wissen, wo die Reise hingeht und wer die Richtlinien bestimmt. Große Investitionen in Ausrüstung, Arbeitsplätze und Ausbildung hängen davon ab. Ziel sollte sein, dass Angela Merkel nicht mehr die Neujahrsansprache halten muss. Gegen ein bisschen mehr Ruhe an den Feiertagen hätte Frau Merkel bestimmt nichts einzuwenden.
Welche Themen müsste eine neue Regierung gleich zu Beginn angehen?
Die wichtigsten Themen sind Klimaschutz und Geld. Der Kampf gegen den Klimawandel muss geführt, aber auch bezahlt werden. Mit höheren Steuern, wie SPD und Grüne sich das vorstellen, wird das nicht funktionieren.
Also plädieren Sie für eine Kreditfinanzierung und die weitere Aussetzung der Schuldenbremse?
Höhere Steuern oder höhere Schulden – die Debatte auf diesen Gegensatz ist mir zu sehr verengt. Warum reden wir nicht stattdessen über Wachstum oder Einsparungen? Es gibt Ausgaben, die könnte man problemlos streichen ohne die Substanz unserer Wirtschaft zu gefährden.
Nennen Sie doch mal eine.
Alle Ausgaben, die keine Investitionen in die Zukunft sind, gehören für mich auf den Prüfstand. Die Autoindustrie ist für Deutschland ohne Frage wichtig. Und wir müssen die klimagerechte Transformation begleiten. Aber ob Subventionen direkt in Konzerne laufen müssen, die aktuell Rekordgewinne machen, die Frage kann man schon stellen. Das Geld wäre besser angelegt, um die Infrastruktur auszubauen und die Forschung, kleine und mittlere Betriebe wie auch die Bürger dabei zu unterstützen, neue Techniken zu implementieren.
Ein paar Subventionen zu streichen und ansonsten auf Wachstum zu setzen, klingt ein wenig nach dem Prinzip Hoffnung.
Nein, mit Hoffnung hat das weniger zu tun als mit Erfahrungen. Nach der Finanzkrise ist es uns doch schon einmal gelungen, die steigenden Ausgaben durch starkes Wachstum zu finanzieren. Ich bin mir sicher, dass das ein zweites Mal möglich ist. Dafür müsste man allerdings die Unternehmen von bürokratischen und finanziellen Fesseln befreien.
Sie haben einen Maler- und Bau-Instandsetzungsbetrieb. Von welchen Fesseln soll der befreit werden?
Ich bezahle den Höchststeuersatz, weil meine Betriebsgewinne auch dann mit dem persönlichen Einkommenssteuersatz belastet werden, wenn ich sie im Betrieb stehen lasse, um zu investieren. Bei Kapitalgesellschaften werden solche thesaurierten Gewinne hingegen zunächst niedriger besteuert. Das ist ungerecht. Dann wünsche ich mir bessere Abschreibungsmöglichkeiten, weniger Dokumentationspflichten und mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit. Viele Betriebe würden gerne die Arbeit ihrer Beschäftigten flexibler organisieren. Das wollen auch viele Mitarbeiter so. Wer auf Montage ist, arbeitet gerne ein paar Stunden länger am Tag, wenn er dafür am Ende früher nach Hause kann. Ich meine, wir sollten mit der neuen Regierung darüber nachdenken, die starre Obergrenze bei der täglichen Arbeitszeit abzuschaffen und zu einer Wochenhöchstarbeitszeit überzugehen: Die Beschäftigten könnten dann – ohne dass sich ihre Arbeitszeit insgesamt erhöht – über die Woche verteilt auftragsabhängig besser eingesetzt werden.
Was braucht Ihr Betrieb noch?
Die Lohnnebenkosten dürfen nicht weiter steigen, wir müssen deshalb über die Einnahmeseite der Sozialversicherungen reden. Mehr als 130 Jahre nach den Sozialgesetzen Bismarcks ist es an der Zeit, über die Lohnfixierung bei der Finanzierung von Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung nachzudenken. Große Wertschöpfung findet heute auch durch Computer, Algorithmen und Roboter statt. Unsere Sozialsysteme partizipieren davon allerdings bislang nicht.
Roboter sollen in die Rentenkasse einzahlen?
Das ist zu plakativ, aber im Kern beschreibt es das Problem, dass wir über die Finanzierung der Sozialversicherungssysteme ganz grundsätzlich nachdenken müssen. Wir brauchen eine große Strukturreform der Sozialabgaben und sozialen Sicherungssystemen. Das Drehen an ein paar kleinen Stellschrauben wird nicht mehr reichen. Und die Beiträge dürfen auf keinen Fall weiter steigen. Auch weil ich möchte, dass meine Beschäftigten ein vernünftiges Netto vom Brutto haben.
Würde mehr Netto vom Brutto auch bei der Suche nach Fachkräften helfen?
Sicher, aber das allein reicht nicht. Im Handwerk kann man schon heute sehr gutes Geld verdienen. Manch ein Akademiker hat keine Vorstellung davon, was ein selbstständiger Handwerksmeister mit einem gut laufenden Betrieb monatlich nach Hause bringt. Denn leider sind die Karrieremöglichkeiten, die das Handwerk bietet, vielen nicht klar. Hier muss bei der Berufsorientierung, auch an Gymnasien, noch mehr informiert werden. Hier müssen wir noch mehr werben, hier muss aber auch die Politik mehr tun.
Was genau?
Wir reden seit Jahren über die Gleichwertigkeit der Bildungsabschlüsse. Die existiert aber nicht im Gesetz. Wir fordern eine gesetzlich festgeschriebene Gleichstellung des Handwerksmeisters mit dem Bachelor und des Handwerksbetriebswirtes mit dem Master. Nur so lässt sich bei Schulabgängern und Eltern ein Umdenken erzielen. Nötig wäre auch eine bessere steuerliche Förderung betrieblicher Ausbildung. Es gibt eine steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung. Etwas Vergleichbares sollte es auch für die Ausbildungskosten von Handwerksbetrieben geben. Denn seien wir mal ehrlich: Das Aufstiegsversprechen durch Hochschulbildung gilt heute für viele nicht mehr. Mancher wäre deutlich erfolgreicher, hätte er sich für eine Laufbahn im Handwerk entschieden.