„Lage spitzt sich für viele Betriebe existenziell zu“

Foto: ZDH/Boris Trenkel
„Wenn nicht schnell geholfen wird, droht in einigen Bereichen eine Pleitewelle“, so ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer im Interview mit Johannes Bockenheimer von BILD.
Herr Wollseifer, wie steht es um das Handwerk, sind die Auftragsbücher noch voll?
Viele Handwerksbetriebe bekommen die Krise mittlerweile voll zu spüren: Im letzten Jahr waren die Auftragsbücher noch voll, doch das hat in einigen Gewerken jetzt ein Ende. Es wird weniger genehmigt, öffentliche Ausschreibungen bleiben aus. Wir hören auch von Privathaushalten, die mittlerweile überlegen, ob sie einen Handwerker in die Wohnung lassen. Und im Lockdown jetzt mussten viele Betriebe schließen und können nicht arbeiten.
Welche Folgen hat das?
Wegen des neuen Lockdowns stehen viele Betriebe auf der Kippe, erste Insolvenzen gab es schon. Wenn nicht schnell geholfen wird, droht in einigen Bereichen eine Pleitewelle. Das hätte auch massive Folgen für den Arbeitsmarkt. Nehmen wir zum Beispiel die mehr als 80.000 Friseurbetriebe: Sie können schon seit Monaten nur eingeschränkt und nun gar nicht öffnen. Da sind tausende Jobs in Gefahr. Die Lage ist da wirklich dramatisch, viele Betriebe kämpfen um die nackte Existenz.
Der Staat hat allerdings viele Milliarden eingesetzt, um die Unternehmen mit Hilfszahlungen zu stützen …
Das reicht aber nicht aus. Derzeit verzögern sich die Auszahlungen. Mit Hinweisen, dass genügend Hilfsgelder da sind, können geschlossene Betriebe ihre Mitarbeiter oder Mieten nicht bezahlen, dafür müssen die Mittel auf den Betriebskonten landen. Und die Hilfen sind nicht zielgenau. Als Beispiel noch mal die Friseure: Im Schnitt bekommen die Friseurbetriebe für die Zeit seit November noch nicht einmal so viel ihres Umsatzes vom Staat ersetzt, dass es reichen würde, um die Miete zu zahlen. Ich habe im Kanzleramt, bei Wirtschaftsminister Altmaier und Finanzminister Scholz deutlich gemacht, dass die Hilfen nicht zielgenau sind.
Was fehlt bei den Maßnahmen der Politik?
Manchmal der Praxisbezug. Das haben auch die jüngsten Koalitionsbeschlüsse zum Verlustrücktrag gezeigt, die an den Bedürfnissen der Betriebe vorbeigehen. Da wurde zwar der Betrag des Verlustrücktrages erhöht, nicht aber der Rücktragszeitraum verlängert. Das kann allenfalls marginal dazu beitragen, die akut nötige Liquidität für unsere Betriebe zu schaffen. Die Koalition hat die Chance vertan, ganz einfach und zielgenau zu helfen.
Und wie? Was hätte sie machen sollen?
Dafür hätte sie die Verlustverrechnung auf zwei bis drei Jahre ausweiten sollen. Das hätte zielgenau nur die Betriebe begünstigt, die vor Corona ein funktionierendes Geschäft hatten und unverschuldet in die Krise gestürzt wurden. Vielen Betrieben geht das Geld aus. Es ist daher völlig unverständlich und ärgerlich, dass dieser Vorschlag aus der Praxis, den wir dem Bundesfinanzministerium mehrfach gemacht haben, nicht in dem Umfang genutzt worden ist, wie es die Notlage vieler Betriebe erfordert hätte. Das wäre ein Weg gewesen, um zahlreiche Insolvenzen durch Überschuldung oder Illiquidität abzuwenden und so viele Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze zu retten.
Die Bundesregierung diskutiert über ein Homeoffice-Pflicht. Eine gute Idee?
Wo es möglich ist, werden Mitarbeiter ohnehin schon ins Homeoffice geschickt. Die Corona-Krise darf aber nicht dazu missbraucht werden, politische Forderungen, die schon lange auf der Wunschliste standen, umzusetzen. Ein gesetzliches Recht auf die Arbeit im Homeoffice lehne ich ab: Eine Heizung kann nun mal nicht aus dem Homeoffice heraus installiert werden.
Wie lange hält das Handwerk den Lockdown noch durch?
Die Betriebe brauchen eine Perspektive, deshalb muss die Politik jetzt dringend eine an klaren Kriterien orientierte Wiederöffnungsstrategie erarbeiten. Ich hoffe sehr, dass einige Gewerke, sobald es epidemiologisch vertretbar ist, wie etwa das Friseurhandwerk ab dem 15. Februar wieder öffnen können. Andernfalls hätte das dramatische wirtschaftliche Folgen. Die Betriebe sind gut vorbereitet und sie sind bereit, ihren Teil bei der Pandemiebekämpfung zu leisten: Sie haben anspruchsvolle Hygienekonzepte erarbeitet und umgesetzt.
Muss der Staat auch über Steuersenkungen und geringere Sozialabgaben nachdenken, um den Weg aus der Krise zu erleichtern?
Schon jetzt werden mittelständische Betriebe in Deutschland so stark belastet wie fast nirgendwo sonst auf dieser Welt. Steuererhöhungen und höhere Sozialabgaben wären Gift für die Erholung der Wirtschaft. Die Politik sollte deshalb besser über Entlastungen nachdenken. Unsere Sozialsysteme müssen dringend grundsätzlich reformiert werden etwa die Rentenversicherung.
Was schwebt ihnen vor?
Die Probleme der Rentenkasse liegen auf der Hand: Schon heute muss die Rentenversicherung jedes Jahr mit immer höheren Milliardenbeträgen aus der Staatskasse gestützt werden. So kann das in der Zukunft nicht weitergehen. Die Menschen werden immer älter und die Folge ist: In den 60er-Jahren lag die Rentenbezugsdauer bei zehn Jahren, heute liegt sie bei 20 Jahren. Die Belastung für die Erwerbstätigen und die Betriebe wird deshalb immer höher, weshalb die Beitragsschraube immer stärker angezogen wird. Aber das wird nicht mehr reichen, wir müssen uns grundlegend Gedanken machen.
Und was tun?
Auch die private Altersvorsorge etwa muss stärker in den Mittelpunkt gerückt werden. Wir brauchen deshalb eine Pflicht zur Altersvorsorge – die darf dabei nicht nur gesetzlich organisiert sein, sondern es muss auch eine private Vorsorge möglich sein. Wichtig ist aber, dass diese Pflicht für alle greift – nicht nur für Angestellte, sondern auch für Selbstständige. Jeder hat entsprechend seiner finanziellen Voraussetzungen die Pflicht zu schauen, dass er der Gesellschaft im Alter nicht zur Last fällt – wenn es ihm denn möglich ist. Denjenigen, denen es nicht möglich ist, denen müssen wir helfen.