Zentralverband des
Deutschen Handwerks
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Deutschen Handwerks
25.05.2021

„Jugendliche begeistern, eine Ausbildung im Handwerk zu beginnen“

ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer sprach mit dem „Mannheimer Morgen“ über die Bedeutung der Fachkräftesicherung und den geplanten „Sommer der Berufsbildung“.
Ein Ausbilder zeigt zwei Auszubildenden wie eine Schleifmaschine funktioniert.

ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer sprach mit Alexander Jungert vom „Mannheimer Morgen“ über die Bedeutung der Fachkräftesicherung und den gemeinsam mit den Partnern der Allianz für Aus- und Weiterbildung geplanten „Sommer der Berufsbildung“.

Herr Wollseifer, im September sind Bundestagswahlen. Erstmals könnten die Grünen Regierungsverantwortung bekommen. Eine gute oder schlechte Nachricht für das Handwerk?


Nicht das parteipolitische Farbenspiel ist für uns entscheidend. Uns kommt es darauf an, dass die jeweiligen Parteien eine für Wirtschaft und Handwerk gute Politik machen.

Sie sprechen sich klar gegen Steuererhöhungen aus. Wie sollen die milliardenschweren Corona-Hilfen des Staates denn finanziert werden?


Nach der Finanzkrise 2008/2009 war die Schuldenlast ähnlich hoch wie jetzt. Deutschland hat das in den Griff bekommen – durch Wirtschaftswachstum. Mittelständische Betriebe brauchen daher Luft zum Atmen. Sie müssen die Möglichkeit haben, sich zu entfalten und zu prosperieren. Das ist unmöglich, wenn Steuern und Sozialabgaben steigen.

Wie zufrieden sind Sie mit der Corona-Politik der Regierung?


Zu Beginn der Pandemie im vergangenen Jahr ist es gut gelaufen. Die Regierung hat schnelle und vertrauensbildende Entscheidungen für die Wirtschaft getroffen: das Kurzarbeitergeld, die Stundung von Sozialbeiträgen, die Soforthilfen für Betriebe . . . das hat gewirkt. Mittlerweile ist mehr als ein Jahr vergangen – und es sieht anders aus.

Wie denn?


Beim zweiten Lockdown sind die Entscheidungen nicht mehr so schnell gefallen, stattdessen sind in schöner Regelmäßigkeit Bund-Länder-Konferenzen einberufen worden. Dort getroffene Entscheidungen wurden wieder abgeändert, es hat einen Flickenteppich von Rechtsgrundlagen in den verschiedenen Bundesländern gegeben. Die Hoffnung und Erwartung auf schnelle finanzielle Hilfe haben sich nicht erfüllt. Teilweise mussten Handwerksbetriebe bis März auf die November-Hilfe warten! Das hat Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik gekostet. Denn Corona hat auch im Handwerk viele Betriebe sehr schwer getroffen. Sie mussten Rücklagen auflösen. Auch privates Geld bis hin zur Altersversorgung wurde eingebracht. Wenn es dann keine schnellen, validen Entscheidungen der Regierungen in Bund und Ländern gibt, ist das kritisch.

Wie steht es derzeit um die Konjunktur des Handwerks?


Die konjunkturelle Lage im Handwerk ist im Grunde gespalten. Das Handwerk hat viele Branchen, die sehr unterschiedlich betroffen sind. Bau und Ausbau haben in der Pandemie größtenteils weitergearbeitet. Die Auftragsbücher sind voll. Anders sieht es beispielsweise bei Messebauern aus, die seit Monaten nicht mehr gebucht werden, weil keine Veranstaltungen stattfinden. Oder bei Konditoren – allein vom Abverkauf an der Theke können sie nicht leben. Die Lage ist höchst angespannt, noch deutlicher als im vergangenen Herbst. Aber es geht nun endlich voran mit den Impfungen. Das ist vielleicht das Licht am Ende des Tunnels.

Zudem ist die Sparquote der Deutschen während Corona gestiegen. Geld, das ausgegeben werden will. Das sind doch gute Voraussetzungen für das zweite Halbjahr, oder?


Sicher. Viele Betriebe sind auch durchaus zuversichtlich, dass das Geschäft im zweiten Halbjahr an Fahrt aufnimmt. Aber bestimmte Einschränkungen werden bleiben. Alles in allem rechnen wir derzeit für das Gesamthandwerk mit einem Prozent Umsatzwachstum in diesem Jahr.

Ein großes Problem ist hinzugekommen: Es fehlt vor allem an Holz und Kunststoffen. Wie ernst ist die Lage?


In mehr als 40 Jahren Selbstständigkeit habe ich eine solche Knappheit und Preisexplosion von gleich mehreren Materialien noch nie erlebt. Die Lage ist so ernst, dass ich sie schon der Bundeskanzlerin und dem Bundeswirtschaftsminister vorgetragen habe. Unternehmen müssen bei vollen Auftragsbüchern Kurzarbeit anmelden – weil sie kein Material haben. Hinzu kommen immense Kosten für die Unterbrechung des Betriebs. Das wird hoffentlich nicht ansich gesunde Betriebe in die Knie zwingen und Entlassungen zur Folge haben. Wenn wir dieses Problem nicht schnell in den Griff bekommen, brauchen wir uns nicht mehr über Wohnungsbau oder Energieeffizienz-Programme zu unterhalten – weil dann erstmal gar nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt gebaut wird. Das haben wir auch so der Politik angetragen.

Was kann sie denn tun?


Zum Beispiel die jüngsten Holzeinschlag-Beschränkungen aufgeben, damit mehr Holz in den Kreislauf kommt. Oder ermöglichen, dass künftig auch vom Borkenkäfer befallenes Holz verarbeitet werden kann – zu Dämmstoffen etwa. Zudem kann die öffentliche Hand unterstützen, indem sie von Vertragsstrafen absieht, wenn Betriebe nicht in der vereinbarten Zeit ihre Leistungen erbringen können. Auch höhere Preise sollten gewährt werden. Die Unternehmen wollen schließlich keine größeren Gewinne einstreichen, sondern Verluste vermeiden.

Auch Privatkunden müssen länger warten und tiefer in die Tasche greifen.


Wir versuchen, aktiv die Kunden anzusprechen. Diese missliche Situation liegt schließlich nicht an den Handwerksbetrieben. Leider kommt es zu steigenden Kosten und Terminverschiebungen. Ob die Preise auf das vormalige Niveau zurückfallen, bleibt abzuwarten. Ich hoffe aber sehr, dass sich die Lage in diesem Jahr noch zusehends entspannt.
Es fehlt nicht nur an Material, sondern auch an Fachkräften.

Wie kann man das Handwerk attraktiver machen?


Viele junge Leute sind auf der Suche nach einem adäquaten Beruf. Gleichzeitig haben viele unserer Betriebe offene Stellen. Das in der Pandemie zusammenzubringen, ist ein großes Problem. Im Lockdown sind Praktika gestrichen worden, Ausbildungsmessen ausgefallen. Wir haben zwar schnell umgestellt – hin zu Sprechstunden via WhatsApp, zu Ausbildungsapps oder einem Lehrstellenradar. Doch merken wir: Dieser Aufgabe müssen wir uns noch stärker stellen, gemeinsam mit allen Partnern der Allianz für Aus- und Weiterbildung. Mit einem „Sommer der Berufsbildung“ wollen wir mit sichtbaren und handfesten Aktionen Jugendliche über die Möglichkeiten einer beruflichen Ausbildung informieren: Und sie dafür begeistern, eine solche Ausbildung - am besten im Handwerk - zu beginnen.

Hat die Ausbildungsprämie etwas gebracht?


In der ersten Version ist sie leider nicht in der Breite angekommen. Das Programm ist auf unsere Bitte hin besser ausgestaltet worden, denn die Hürden für die Anträge waren zu hoch. Mittlerweile gibt es bis zu 6000 Euro Prämie für Betriebe, die auch während der Pandemie junge Menschen ausbilden. Die berufliche Bildung muss unbedingt der akademischen Bildung gleichgestellt werden. Wir laufen in gravierende Fehlinvestitionen, wenn Bildung weiter so gefördert wird wie bisher.

Die Corona-Krise ist ein Schub für die Digitalisierung. Ist das Handwerk gegenüber Dienstleistern im Nachteil?


Nein. Das Handwerk ist viel digitaler als manche glauben. In meiner Heimat Köln haben früher Industriekletterer den Dom nach Schäden abgesucht – heute lässt der Dombaumeister seine Drohne rauf und runter fliegen. Zahntechniker arbeiten mit 3-D-Druck. Maler erstellen ein Aufmaß auf dem Tablet und leiten die Daten ins Büro weiter – so lässt sich direkt Material bestellen. Installateure richten Gebäudesteuerungen ein, damit Kunden von überall aus die Heizung steuern können. Übrigens unterstützt unser „Kompetenzzentrum Digitales Handwerk“ bundesweit an mehreren Standorten die Betriebe. Wie Sie sehen: Es gibt genügend Beispiele dafür, wie digital das Handwerk aufgestellt ist.

In der Tat. Was hat sich für Sie persönlich durch Corona und die zunehmende Digitalisierung geändert?


Reisen sind weggefallen. Das spart eine Menge Zeit, die ich besser zum Arbeiten nutzen kann. Leider fehlt bei virtuellen Konferenzen manchmal das Persönliche.

Reden wir zum Schluss noch einmal kurz über die Bundestagswahl. Drei Personen wollen ins Kanzleramt: Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz. Wer wäre Ihnen am liebsten?


Glauben Sie ernsthaft, dass ich Ihnen einen Namen nenne? (lacht) Mir ist die Person am liebsten, die in der Zukunft am „Handwerkfreundlichsten“ agiert.

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