Hilfen müssen rascher ausgezahlt werden

Über die Folgen der Pandemie im Handwerk und die Notwendigkeit einer schnelleren Auszahlung von Hilfen sprach ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer mit Birgit Marschall von der "Rheinischen Post".
Bislang gibt es ja nur Vorschüsse, sogenannte Abschlagzahlungen für die Summen, die beantragt wurden. Reichen diese Vorschüsse aus?
Die Abschlagszahlungen sind zwar von 10.000 auf maximal 50.000 Euro pro Antrag erhöht worden. Aber sie bleiben auf höchstens 50 Prozent des insgesamt beantragten Zuschusses begrenzt. Das reicht in sehr vielen Fällen nicht aus – auch deshalb nicht, weil die gesamte Novemberhilfe erst ab dem 10. Januar ausgezahlt werden soll. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass die Höhe der Abschlagszahlungen auf 75 Prozent des beantragten Gesamtzuschusses angehoben wird, damit die Betriebe nicht untergehen. Sie brauchen jetzt dringend Liquidität. Bei der Dezemberhilfe und der Überbrückungshilfe III wissen wir noch gar nicht, wann die über die aktuellen Abschlagszahlungen bei der Dezemberhilfe hinausgehend ausgezahlt werden sollen.
Wie zufrieden sind Sie insgesamt mit den Wirtschaftshilfen?
Damit nicht ein immenser wirtschaftlicher Schaden entsteht, muss die Politik praxistaugliche Hilfsangebote machen. Die Beantragung muss einfacher sein und die Auszahlung wirklich schneller vorangehen. Doch was wir sehen ist, dass mit jeder Überarbeitung die Konditionen für Hilfen weniger verständlich werden. Das ist weit von der Wirklichkeit in den Betrieben entfernt, viel zu bürokratisch. Deshalb setzen wir uns dafür ein, beim Wirtschaftsministerium eine Expertengruppe mit Vertretern aus dem Ministerium, aber eben auch aus Wirtschaftsverbänden einzurichten, damit Erfahrungen aus der Wirtschaftspraxis unmittelbar hineinkommen und die Hilfen die Betriebe auch wirklich erreichen. Der gute Wille ist ja da, aber gut gedacht ist noch lange nicht gut gemacht.
Die Wirtschaftshilfen können nur mit einem Steuerberater beantragt werden. Wie problematisch ist das?
Durch die Zwischenschaltung der Steuerberater verlängert sich die Beantragung. Bei den Steuerberatern stauen sich die Anträge – auch weil Unsicherheiten über die Auslegung der Konditionen bestehen. Das verzögert die Antragstellung oder führt sogar zur Ablehnung. Und Handwerksbetriebe berichten uns verstärkt von überzogenen Honorarforderungen. Teils bestehen Steuerberater auch auf Vorauszahlungen, was in unseren Augen inakzeptabel ist, umso mehr, weil die Auszahlungen der Hilfen so schleppend laufen.
Warum wird der steuerliche Verlustrücktrag nicht erhöht?
Das müssen Sie den Bundesfinanzminister fragen, der sich da seit Monaten quer stellt. Für mich ist völlig unverständlich, warum der Verlustrücktrag nicht längst ausgeweitet wurde. Denn das wäre die einfachste Art, den Betrieben Liquidität zukommen zu lassen. Wir fordern, dass wir die Gewinne von 2017, 2018 und 2019 mit den Verlusten von 2020 verrechnen können. Das würde den Betrieben unmittelbar Luft verschaffen.
Was könnte den Betrieben außerdem helfen?
Wir fordern, dass die Betriebe während der Corona-Krise erst später die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen ans Finanzamt abführen müssen. Die Betriebe vereinnahmen ja die Umsatzsteuer und müssen sie dann an den Staat weitergeben. Dazu ein Beispiel: Wenn ich im Jahr beispielsweise 480.000 Euro Umsatzsteuer zahlen muss, gehöre ich zum Kreis der Betriebe, die an jedem 10. eines Monats eine Umsatzsteuer-Vorauszahlung ans Finanzamt überweisen müssen. Das müssen alle Betriebe, bei denen die jährliche Umsatzsteuer mehr als 7.500 Euro beträgt. Nur wenn ich einmalig eine Sondervorauszahlung von einem Elftel meiner Vorjahresvorauszahlung an das Finanzamt zahle – in meinem Beispielfall wären das mehr als 40.000 Euro -, wird diese Umsatzsteuer-Vorauszahlung erst vier Wochen später fällig. Wir wollen, dass das auch ohne Sondervorauszahlung beantragt werden kann. Das würde den Betrieben in der Krise sofort helfen und ihnen sofort Liquidität verschaffen.
Wie lautet Ihre Prognose für 2021?
Mit jeder Impfung nähern wir uns ein stückweit normaleren Lebens- und Arbeitsbedingungen. Die Impflogistik wird sicherlich noch besser werden. Und mit wieder besserem Wetter laufen auch die Geschäfte draußen wieder an. Insofern hoffen wir, dass die Wirtschaft um Ostern herum wieder anspringt. Nach den Lockerungen im vergangenen Sommer haben die Betriebe in der Mehrzahl recht zügig wieder Tritt gefasst. Das lässt auf eine rasche Belebung der Konjunktur hoffen, wenn die Beschränkungen wegfallen. Mit einer merklichen Erholung rechne ich im Sommer, wenn das Pandemiegeschehen durch Impfungen und Schnelltests hoffentlich weitgehend kontrolliert werden kann. Für das Gesamtjahr 2021 rechnen wir bei all dieser Unsicherheit dann wieder mit einem gewissen Umsatzwachstum gegenüber 2020.
Wie wirkt sich die Krise auf die Ausbildungssituation aus?
Die Krise erschwert natürlich das Ausbilden. Wir haben unsere Rekrutierungs-Anstrengungen aber erhöht, vor allem digital. Im Mai 2020 hatten wir einen Rückstand bei den neuen Ausbildungsverträgen von 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr, Ende November war es im Handwerk nur noch ein Minus von sieben Prozent. Die Ausbildungsbereitschaft im Handwerk ist trotz der Krise ungebrochen. Aktuell gibt es immer noch Tausende offene Ausbildungsplätze in allen Berufen.
Können Jugendliche die jetzt noch besetzen?
Theoretisch ja. Wir versuchen hier alles.
Kommende Woche entscheidet sich, wer neuer CDU-Vorsitzender wird. Welche Erwartungen haben Sie an ihn?
Wir erwarten, dass der neue CDU-Chef die Pandemie-Belastungen gerecht verteilt und nicht die Hauptlast beim Mittelstand abgeladen wird. Wir wünschen uns, dass der neue CDU-Chef den Mittelstand mehr in den Fokus nimmt. Wir fordern Entlastungen, bei der Bürokratie, aber auch bei Steuern und Sozialabgaben, damit unsere Betriebe wieder Eigenkapital aufbauen können. Die Belastungen mit Sozialbeiträgen dürfen keinesfalls die 40-Pozent-Grenze reißen.
Bei den Sozialleistungen sind Kürzungen notwendig?
Ich will nicht von Kürzungen sprechen, aber von dringend nötigen ganz grundsätzlichen Reformen in den sozialen Sicherungssystemen. Wir wissen doch jetzt schon angesichts der Demografie, dass die Kosten in allen Sparten der Sozialversicherung künftig deutlich steigen werden, und das ist für unsere Betriebe und ihre Beschäftigten problematisch. Darüber muss man sich intensiver Gedanken machen, und zwar sehr bald. Die Zeit drängt. Wir brauchen eine große Sozialstrukturreform in der nächsten Wahlperiode. Angesichts der tiefgreifenden Veränderungen in der Arbeitswelt müssen wir uns schon fragen, ob die ausschließliche Kopplung der sozialen Sicherung an den Faktor Arbeit noch zukunftsfähig ist. Für mich persönlich ist es nicht verständlich, dass diese grundsätzlichen Fragen in der politischen Diskussion nicht wirklich aufgegriffen werden. Die Sozialabgaben haben für unsere Betriebe eine erhebliche Bedeutung. Sie müssen auch über das Jahr 2021 dauerhaft unter der Marke von 40 Prozent bleiben. Wenn die Wirtschaft sich wieder erholen soll, dann darf es nicht länger ignoriert werden, welche entscheidenden Posten und Belastungsfaktoren hohe Sozialabgaben gerade für unsere personalintensiven Handwerksbetriebe sind. Deshalb muss die „Sozialgarantie“ dauerhaft Bestand haben, damit unsere Betriebe wettbewerbsfähig bleiben.