Zentralverband des
Deutschen Handwerks
Zentralverband des
Deutschen Handwerks
07.05.2019

Europa ist nicht das Problem, Europa ist die Lösung

Im Interview mit "Faszination Handwerk" (Ausgabe 1/2019) spricht Handwerkspräsident Wollseifer über Stärken Europas und aktuelle Herausforderungen.
Eine junge Frau steht auf einem Hügel vor einem Kornfeld und hält eine Europaflagge in den Wind.

Herr Wollseifer, Handwerker sind in der Regel regional tätig, der längste Weg führt zum Kunden Müller, Meier, Schmidt in die Nachbarstadt – mal ganz provokativ formuliert. Warum ist das große Europa für das Handwerk so wichtig, dass der ZDH bereits seit 1990 eine eigene Vertretung bei der EU unterhält?

Die Europäische Union betrifft alle Handwerksbetriebe, unabhängig davon, ob sie Aufträge im europäischen Ausland erledigen oder nicht. Wenn etwa Ihr Betrieb in Iserlohn oder Plettenberg sitzt und Sie einen Auftrag in Roermond in den Niederlanden annehmen, dann werden Sie ganz konkret mit den Bestimmungen der EU-Entsenderichtlinie konfrontiert. Aber natürlich spüren auch Betriebe ohne Grenzgeschäft den Einfluss der EU. Sie sind nicht nur auf den freien Warenverkehr angewiesen, auch viele Grundlagen für Gesetze in Deutschland werden in Brüssel geschaffen. Deshalb ist es wichtig, dass der ZDH eine Vertretung bei der EU unterhält, um schon frühzeitig die Anliegen unserer Betriebe in die dortigen Gesetzgebungsprozesse einfließen zu lassen. Dahinter steht die Erkenntnis: Wir müssen „das Gras wachsen hören“. Unser Brüsseler Büro ist also eine Art Frühwarnsystem und unsere Stellschraube, über die wir Europa mitgestalten.

Der ZDH hat seine europapolitischen Forderungen im Vorfeld der Europawahl unter dem Motto „In Vielfalt zusammen“ zusammengefasst. Was fordert der ZDH genau und was ist das Besondere daran?

Wir greifen ganz bewusst das Motto der Europäischen Union auf: „In Vielfalt geeint“. Den Schwarzmalern, Europaskeptikern und -gegnern stellen wir unsere Idee von Europa entgegen: Europa ist nicht das Problem, Europa ist die Lösung. Europa muss die großen Herausforderungen annehmen. Das betrifft die Klima- und Umweltpolitik, Migration oder auch die Sicherheitspolitik. Hier braucht es einen starken Zusammenhalt einer großen Gemeinschaft. Aber die Europäische Union sollte zugleich ihre Stärke bewahren, die gerade aus der Vielfalt resultiert - entsprechend des Leitgedankens der Subsidiarität: Was national oder regional entschieden werden kann, sollte auch dort entschieden werden. Unternehmen und Bürgern müssen wir noch deutlicher den Mehrwert dieser Europäischen Union auch für ihr tägliches Leben vor Augen führen. Europa darf ihnen und uns allen nicht gleichgültig sein. Deshalb ist es so wichtig, manchmal schwierige und komplexe europäische Themen zu erklären und für die Betriebe ganz unmittelbar die Vorteile, die ihnen die EU bringt, aufzuzeigen. Zugleich muss es aber darum gehen, die EU in einer Weise weiterzuentwickeln, dass sich die Menschen und Betriebe mit ihr identifizieren können. In unseren Wahlprüfsteinen haben wir uns auf die handwerkspezifischen Themen konzentriert. Dazu gehören die Fachkräftesicherung, die Stärkung der beruflichen Bildung und der Bürokratieabbau, aber auch die Digitalisierung des europäischen Binnenmarktes.

Ihr Amtskollege Arndt G. Kirchhoff, Präsident von Unternehmer NRW, fordert seine Betriebe auf, Flagge für Europa zu zeigen – im übertragenen, aber auch im ganz wörtlichen Sinne. Ist das nach Ihrer Meinung eine sinnvolle Aktion? Schließt sich das Handwerk an?

Auch im Handwerk hissen wir die Europafahne, im sprichwörtlichen und im wörtlichen Sinne – zuletzt auf der Internationalen Handwerksmesse mit unserem klaren Bekenntnis: Ja zu Europa! Flagge zeigen ist das eine, das entbindet uns jedoch nicht davon, zu Europa eine ehrliche Debatte über Inhalte, mögliche Fehlentwicklungen und Kritik zu führen. Wir erleben derzeit, dass sich gegenüber dem europäischen Projekt zunehmend Gleichgültigkeit, sogar Skepsis ausbreitet. Um dem Eindruck entgegenzutreten, dass Gesetze und Maßnahmen aus Brüssel immer öfter den Alltag erschweren, aber die eigentlichen Probleme nicht gelöst werden, gibt es nur einen Weg: die eigentlichen Probleme in Angriff zu nehmen. Unsere Forderungen haben wir breit diskutiert und verabschiedet. Jetzt werden wir zusammen mit den europäischen Institutionen und Partnern die EU weiterentwickeln. Wir wollen, dass unsere Unternehmen so von der EU überzeugt sind, dass sie ganz von selbst die Europafahne hissen.

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