Zentralverband des
Deutschen Handwerks
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Deutschen Handwerks
22.02.2021

„Eine Fachkräftekrise müssen wir unbedingt abwenden“

„Der Fachkräftebedarf im Handwerk ist weiter groß, daran hat Corona nichts geändert“, betont ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer gegenüber der „NOZ“.
Portraitfoto von Hans Peter Wollseifer vor einer Strukturleinwand im Haus des Deutschen Handwerks in Berlin

„Wegen der aktuell schwierigen Lage von Betrieben sind Eltern und junge Leute verunsichert, ob sich eine Ausbildung im Handwerk lohnt. Ja, tut sie, denn der Fachkräftebedarf im Handwerk ist weiter groß, daran hat Corona nichts geändert“, so ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer gegenüber Rena Lehmann von der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.

Sie waren in dieser Woche einer der 40 Teilnehmer beim Wirtschaftsgipfel mit Peter Altmaier. Was hat das Treffen gebracht?

Die Lage spitzt sich gerade für viele unserer Betriebe zu. Viele sind jetzt in ihrer Existenz gefährdet. Ich kenne nicht wenige Handwerksmeister, die ihre komplette private Rücklage in ihren Betrieb stecken, Hypotheken aufnehmen oder sogar ihr eigenes Haus verkaufen. Die geben sprichwörtlich ihr letztes Hemd, um ihren Betrieb und so Arbeits- und Ausbildungsplätze zu erhalten. Das mal an erster politischer Adresse vorzutragen und so die Dringlichkeit von Hilfen und weiteren perspektivischen Plänen zu verdeutlichen, war sehr wichtig.

Der Wirtschaftsminister will nun mit den Wirtschaftsverbänden eine Öffnungsstrategie erarbeiten. Wie soll die aussehen?

Wir drängen auf eine Zukunftsperspektive für unsere Betriebe. Wirtschaft basiert auf Vertrauen und Planbarkeit. Die Betriebe müssen wissen, unter welchen Voraussetzungen sie wieder öffnen und ihre Mitarbeiter voll beschäftigen können – und das so schnell, wie es möglich und epidemiologisch verantwortbar ist. Es braucht eine Öffnungsstrategie, die nicht länger allein die Inzidenzen zum einzigen Maßstab für Öffnungen macht. Man muss auch andere Faktoren anschauen. Es muss auch eine Rolle spielen, wie weit man mit den Impfungen ist. Ob es lokal begrenzte Infektionscluster gibt. Wie viele Schnelltests zur Verfügung stehen. Und man muss genau schauen, welche Branche welche Sicherheits- und Hygienestandards hat. Da sind wir im Handwerk sehr weit. Unsere KosmetikerInnen etwa haben hohe Standards. Gleiches gilt für Autohäuser mit ihren zudem großen Verkaufsflächen: Da sehe ich nicht, warum die nicht öffnen können sollten.   

Aber was fordern sie konkret?

Wir wollen eine bundesweite Corona-Ampel, an der man genau ablesen kann, unter welchen Voraussetzungen und Hygienebedingungen welche Betriebe wieder öffnen können. Wir wissen auch, dass wegen des dynamischen Pandemieverlaufs nicht jetzt schon konkrete Daten festgelegt werden können, aber an feste Kriterien kann man das schon knüpfen. Der Wirtschaftsminister hat zugesagt, dass er aus allen Vorschlägen der Verbände ein Konzept entwickelt, für das er dann beim nächsten Corona-Gipfel wirbt. Darauf verlassen wir uns.

Aber von pauschalen Schließungen sind die meisten der Handwerksbetriebe, die sie vertreten, nicht betroffen…

So groß die Vielfalt unserer 130 Berufe im Handwerk ist, so breit ist auch die Spannweite der Betroffenheit durch Corona-Maßnahmen. Ohne Frage haben eine Reihe von Gewerken weiter gut zu tun. Dem Bau- und Ausbauhandwerk etwa geht es ganz gut, aber auch hier schmelzen die Auftragspolster aus dem vergangenen Jahr zusehends. Doch beispielsweise für Veranstaltungstechniker und -caterer, Messebauer, Kosmetiker, Uhrmacher, Gold- und Silberschmiede, Schuhmacher, Maßschneider, Raumausstatter und andere sieht es teils sehr schlecht aus. Auch in die Autohäuser darf zurzeit keiner rein, obwohl sie riesige Verkaufsflächen haben. Wenn sie das Frühjahrsgeschäft auch noch komplett verlieren, dann droht dort eine massive Insolvenzwelle. Ums Überleben kämpfen auch viele Konditoreien, weil ihre Cafés zu sind. Oder die Reinigungsbetriebe, die in leeren Schulen, Museen und Universitäten nicht mehr putzen können. Gebäude- oder Textilreinigern, aber auch Brauern, Bäckern und Fleischern fehlen die Aufträge aus Gastronomie und Hotellerie. Zahntechniker haben immer weniger zu tun, wenn Kunden aus Vorsicht nicht mehr zum Zahnarzt gehen. Ende Januar berichteten uns 58 Prozent unserer Betriebe von Umsatzverlusten in den vergangenen vier Wochen, durchschnittlich haben sich dort die Umsätze mehr als halbiert.

Kommen die Hilfen inzwischen in den Betrieben an?

Zumindest ist zu Wochenanfang endlich die Auszahlung der Abschlagszahlungen aus der Überbrückungshilfe III gestartet. Das war längst überfällig und schließt hoffentlich die Lücke, die sich bislang zwischen Hilfsankündigungen und -leistungen aufgetan hatte. Weil die Abschlagszahlungen mit so großem zeitlichen Verzug zum Schadensmonat kommen, sollten sie auf 75 Prozent statt 50 Prozent angehoben werden. Zudem setzen wir uns dafür ein, einen kalkulatorischen Unternehmerlohn in die Fixkostenerstattung bei der Überbrückungshilfe III mit aufzunehmen, weil die Grundsicherung bei Bedarfsgemeinschaften oft ins Leere läuft. Und wir bleiben dabei, dass das Bundesfinanzministerium endlich seine Blockade aufgeben und den Verlustrücktrag auf zwei, besser drei Jahre ausweiten sollte. Damit ließen sich viele Insolvenzen durch Überschuldung oder Illiquidität abwenden. Wir hoffen, dass so unseren Betrieben jetzt wirklich schnell geholfen wird.

Die Friseure dürfen ab 1. März wieder loslegen. Empfinden das andere Gewerke als ungerecht?

Das ist doch keine Frage, dass alle Gewerke wieder arbeiten möchten. Dass das Friseure bald wieder können, ist auch dem Umstand geschuldet, dass sie das Pandemiejahr schon ganz schön gebeutelt hat. Im ersten Lockdown geschlossen. Dann nach den Lockerungen konnten sie wegen der Hygienauflagen nur deutlich weniger Kunden bedienen. Weil sie aber bis Mitte Dezember geöffnet waren, hatten sie keinen Anspruch auf November- und Dezemberhilfe. Und für die Überbrückungshilfe III können sie erst seit letzter Woche Anträge stellen. Das sind meistens Kleinstbetriebe ohne große Rücklagen. Es gab drastische Hilferufe.

Wäre es sinnvoll, auch Handwerker mit Selbsttests auszustatten?

Unbedingt, die Schnelltests und die Selbsttests sind unsere große Hoffnung. Sie sollten millionenfach rausgegeben werden. Natürlich gehen auch die Handwerker meines Betriebes mit Maske zum Kunden und desinfizieren sich die Hände. Doch wenn sie einen negativen Selbsttest vorlegen können, würde das die Kunden sehr beruhigen und Aufträge sichern. Schnelltests und Selbsttests halte ich für wichtige Instrumente, um breite Öffnungen zu ermöglichen.

Bilden die Betriebe gerade aus oder sind sie zurückhaltend?

Ich mache mir große Sorgen, dass aus einem pandemiebedingten Azubi-Mangel eine Fachkräftekrise erwächst. Das müssen wir unbedingt abwenden. Denn alle Azubis, die wir heute nicht ausbilden, fehlen uns in drei Jahren als Fachkräfte. Wegen der aktuell schwierigen Lage von Betrieben sind Eltern und junge Leute verunsichert, ob sich eine Ausbildung im Handwerk lohnt. Ja, tut sie, denn der Fachkräftebedarf im Handwerk ist weiter groß, daran hat Corona nichts geändert. Wir brauchen dringend beruflich qualifizierte Fachkräfte, um die Zukunft unseres Landes zu gestalten. Alle zukunftsrelevanten Vorhaben wie die Mobilitäts- und Energiewende, der Klimaschutz, die Modernisierung der analogen wie digitalen Infrastruktur, der Wohnungsbau, SmartHome sind nur mit dem Handwerk umzusetzen. Wir brauchen deshalb jetzt eine Kraftanstrengung, um trotz der Pandemie möglichst viele junge Leute in die duale Ausbildung zu bringen.

Wie gehe ich am besten vor, wenn ich jetzt einen Ausbildungsplatz suche?

Das persönliche Kennenlernen fehlt zurzeit ebenso wie Praktika, die oft der Schlüssel in eine Ausbildung sind. Wir machen jetzt Azubi-SpeedDatings, WhatsApp-Sprechstunden, digitale Berufsorientierungsseminare, digitale Betriebsführungen. Über den BerufeChecker kann jeder Jugendliche auf handwerk.de ganz individuell herausfinden, welcher Handwerksberuf zu seinen Neigungen und Fähigkeiten passt. Es gibt auch eine Lehrstellen-Radar-App. Ich kann die jungen Leute nur ermutigen, auf die Handwerkskammern und Innungen zuzugehen. Es gibt nach wie vor viele Ausbildungsplätze. Im vergangenen Jahr konnten wir rund 18.000 Plätze nicht besetzen. Diese Lücke darf in diesem Jahr nicht noch größer ausfallen, denn der Bedarf an qualifizierten Fachkräften bleibt groß. Wenn ich mir einer Sache gewiss bin, dann dass Handwerkerinnen und Handwerkern in Zukunft die Arbeit nicht ausgehen wird.

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