Zentralverband des
Deutschen Handwerks
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Deutschen Handwerks
13.07.2020

„Azubis bei den Eltern mitversichern“

Auszubildende sollten bis zum Alter von 25 Jahren bei den Eltern mitversichert sein. Über dieses und weitere Themen sprach ZDH-Generalsekretär Schwannecke im Interview mit dem Weser-Kurier.
Portraitfoto von Holger Schwannecke vor heller Strukturleinwand im Haus des Deutschen Handwerks in Berlin

Auszubildende sollten bis zum Alter von 25 Jahren bei den Eltern mitversichert sein. Das und noch mehr hat ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke im Interview mit dem Weser-Kurier gefordert. Das Interview führte Florian Schwiegershausen.
 

Herr Schwannecke, mit Ihrem Blick aus Berlin: Wie steht es um das Handwerk in Bremen, verglichen mit anderen Regionen?
Bremen ist in der gleichen Situation wie die anderen Regionen auch. Alle sind von einem hohen Niveau auf eine Ebene gefallen, bei der es jetzt erst wieder losgeht. Aber vieles ist unwiederbringlich weg, und man kann es nicht wieder aufholen. Bei diesem Jahr der Extremsituationen, also erst die Brexit-Sorgen, dann die USA und nun die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, da hätte es nicht auch noch Corona bedurft. Das hat uns schon schwer getroffen.

Die verschiedenen Gewerke hat es unterschiedlich hart getroffen.
Ja, so ist es. Dabei kommen wir aus einem Jahr 2019, das hervorragend war. Bei Bau und Hausbau sieht es noch gut aus. Hier arbeiten die Firmen die erteilten Aufträge ab. Alle anderen Gewerke, die nah am Kunden arbeiten, hat es schwer getroffen. Das betrifft nicht nur die Gebäudereiniger oder das gesamte Cateringgeschäft sowie Veranstaltungen – davon getroffen sind auch Bäcker und Metzger. Dazu kommt auch noch der Messebau. Ebenso ist auch keiner mehr zum Hörgeräteakustiker oder zum Augenoptiker gegangen.

In welchen Branchen wird es infolge der Krise bis Jahresende eng werden? Um welche Gewerke machen Sie sich vor allem Sorgen?
Wir befinden uns ja in einem Stadium, in dem wir versuchen, dass es möglichst zügig wieder nach oben geht. Aber wenn man schaut, dass Friseure mit deutlich höheren Kosten zu tun haben und nur die Hälfte ihrer Plätze besetzen dürfen, dann ist das schon schwierig. Aber da muss ich eine Lanze für die Politik brechen. In den vergangenen Monaten habe ich eine hervorragende Zusammenarbeit mit der Politik erlebt mit unglaublichem Einsatz.

Schließlich gibt es für so eine Situation keine Blaupause. Erst in einer solchen Situation lernt man auch, wie die Wirtschaft mit ihren Kreisläufen zusammenhängt. Europäische Kollegen haben uns dafür gelobt, wie Deutschland mit dieser Situation umgeht. Natürlich gibt es an einzelnen Punkten auch Kritik, aber insgesamt verdient alles Respekt.

Man hat ansonsten den Eindruck, dass die Politik in Berlin das Handwerk nicht ganz oben auf der Liste hat.
Das stimmt, den Eindruck hat man manchmal. Wenn ein industrieller Arbeitsplatz verloren geht, dann führt das dazu, dass die Politik ganz aufgeschreckt ist. Wenn das Gleiche im kleinteilig organisierten Handwerk passiert, dann bekommt das nicht diese Aufmerksamkeit. Wir können uns als Handwerk aber nicht beklagen, was da politisch jetzt auf den Weg gebracht wurde. Wir finden uns auch in vielen von uns initiierten Gruppen wieder.

Was die Senkung der Mehrwertsteuer angeht, hätten Sie sich nicht noch im Sinne der Betriebe etwas mehr Zeit gewünscht?
Ja. Die gesenkte Mehrwertsteuer ist einer von vielen Bausteinen des Konjunkturpakets, um zusätzliche Kaufkraft zu schaffen. Das wird bei größeren Ausgaben einen zusätzlichen Impuls bringen. Für die Betriebe bedeutet das aber erhebliche administrative Belastungen für einen kurzen Zeitraum. Daher hatten wir auch das Bundesfinanzministerium darum gebeten, das über Erlasse möglichst einfach hinzubekommen.

Bei der Umstellung der zertifizierten Kassen fällt mir auch ein: Es hilft den Betrieben nicht, wenn sie das wenige, was sie momentan in ihren Kassen haben, auch noch besonders sicher nachweisen müssen. Es ist schade, dass das Bundesfinanzministerium diese Umstellung nicht um ein halbes oder Dreiviertel-Jahr verschieben will, um den Betrieben ein Stückchen mehr Luft zu geben. An dieser Stelle gibt es also auch von uns Kritik. Zumindest wird es für einige Gewerke einfacher sein, das zu bewerkstelligen.

Sollte man es bei der niedrigeren Mehrwertsteuer nur bis Jahresende belassen?
Man sollte in diesem Punkt nicht die falschen Anreize setzen. Denn nun haben die Kunden für ihre Anschaffungen oder für ihren Umbau so lang gewartet, bis die Steuer gesenkt ist. Viele Kunden wollen die Bauabnahme erst ab Juli machen, weil nur dieser Termin für die Rechnungsstellung relevant ist. Genauso wird es wohl sein, dass die Kunden die Bauabnahme dann bis zum 30. Dezember machen wollen. Dadurch steigt der Druck auf die betroffenen Gewerke erheblich.

Wie schätzen Sie die Situation bei den Kommunen ein?
Die Kommunen werden noch Probleme bekommen, und dabei sind wir auf leistungsfähige Kommunen angewiesen. Daher haben wir ein 50-Milliarden-Konjunkturpaket für den kommunalen Bereich gefordert für den zielgerichteten Einsatz der Mittel. Dazu haben wir die Kommunen ermahnt, ihre Leistungsfähigkeit möglichst schnell wieder auf die Straße zu bringen. Bei einigen waren die Ämter nicht so besetzt, wie es hätte sein müssen – zum Beispiel bei der Zulassung von Lkw oder auch bei den Bauämtern. Wenn die keine Genehmigung erteilen, nutzt den Baubetrieben auch die gute Auftragslage nichts.

Was sagen Sie Betrieben, die wegen der Krise keine Auszubildenden einstellen wollen?
Ich sage ihnen, dass sie weiter ausbilden sollen. Unter dem Motto „jetzt erst recht“ bringen wir das Thema auch auf die Straße. Denn Ausbildung und Qualifizierung sind für unsere Betriebe der Schlüssel zur Zukunftssicherung. Die Betriebe wissen aber auch, dass sie gelernte Fachkräfte brauchen – anders als angelernte Kräfte in der Industrie. Trotzdem bereitet es uns Sorgen, weil in den ersten fünf Monaten bundesweit die Zahl der Ausbildungsverträge um 18 Prozent zurückgegangen ist im Vergleich zum Vorjahr.

Das bedeutet in absoluten Zahlen?
30.000 Ausbildungsplätze sind zurzeit nicht besetzt. Das liegt aber auch daran, dass Betriebe und junge Menschen nicht zueinander finden. Durch die geschlossenen Schulen hat dort auch nicht die Berufsorientierung wie sonst stattgefunden. Daher setzen wir nun verstärkt auf digitale Formate, damit möglichst über die Sommerpause doch noch viele zueinander finden. Der Vorteil des Handwerks ist: Im Gegensatz zur Industrie finden Sie bei uns vorwiegend Positivszenarien für die Zukunft. Der Slogan sollte da lauten: „Zukunft, Chancen, Handwerk.“

Was wollen Sie den Betrieben an die Hand geben, damit diese die Azubis der Zukunft besser im Internet abholen?
Infolge der Corona-Pandemie ist es auch bei den Handwerksbetrieben zu einer verstärkten Digitalisierung gekommen. Daher kümmern wir uns als ZDH derzeit um die Instrumente für einen digitalen Baukasten, den wir den Betrieben an die Hand geben. Die können sich dann im Design unserer Kampagne „Das Handwerk“ mit eigenen Fotos aus dem Betrieb darstellen. So wollen wir die Kampagne in die Region vor Ort herunterbrechen.

Und damit wollen wir den Betrieben helfen, dass sie auch die jungen Menschen im Internet an der richtigen Stelle erreichen. Dabei setzen wir auch auf jungen Leute als Botschafter, die im Netz über ihren Beruf unter dem Motto „24 Stunden Handwerk“ berichten. Auf diese Weise wollen wir weg von der Denke, dass da schon irgendwie ein Bewerber kommen wird, dem man dann ein Faltblatt in die Hand drückt. Aber da sind auch schon so einige Betriebe kreativ unterwegs. Die Hauptsache ist, dass alles dabei authentisch rüberkommt.

In Bremen feilen die Akteure trotz Corona weiter am neuen Ausbildungspakt – nehmen Sie solche Initiativen auch in Berlin wahr?
Solche Ausbildungsinitiativen bringen auf alle Fälle etwas. So nehmen wir das auch in Berlin wahr. Auf Bundesebene haben wir ja die Allianz für Aus- und Weiterbildung. Wichtig ist uns immer dabei gewesen, dass auch die Gewerkschaften mit dabei sind. Wir wollen alle gesellschaftlichen Akteure bei diesem Thema mit in die Verantwortung nehmen. Es soll auch darum gehen, dass die Auszubildenden anschließend übernommen werden – gerade jetzt in dieser Zeit. Das ist übrigens auch wieder ein Punkt, worum uns die Kollegen aus anderen europäischen Ländern wie beispielsweise Spanien, wo es eine Jugendarbeitslosigkeit von 25 Prozent gibt, beneiden.

Welcher denn?
Der, dass die verschiedenen Akteure mit ihren unterschiedlichen Ansichten am Ende eine gemeinsame Lösung finden. Aber auch Deutschland kann noch mehr für Azubis tun, indem sie die gleichen  Annehmlichkeiten erhalten wie Studierende. Dazu sollte auch gehören, dass Azubis bis zum 25. Lebensjahr bei ihren Eltern krankenversichert sind, wie es bei Studenten der Fall ist. Das wäre eine weitere Entlastung für die jungen Menschen und auch die Betriebe. Das wäre ein Zeichen von Wertschätzung für die betriebliche Ausbildung.

Welche Reihenfolge sehen Sie eigentlich bei den Kammern, wie sie die Brot-und-Butter-Themen angehen sollen?
Da sehe ich zuerst das Thema Ausbildung, Qualifizierung und Fachkräfte, dann als weiteres Thema die Stabilisierung der Sozialversicherungsbeiträge. Denn die Handwerksbetriebe sind es, die einen großen Anteil der Beiträge zahlen und dabei hier vor Ort sind und hier ihre Steuern zahlen und nicht irgendwo im Ausland produzieren.

Was kann alles der ZDH leisten, um den Handwerkskammern Arbeit abzunehmen, die ja nun auch nicht über überbordende Mitarbeiterstärke verfügen?
Das können wir beim Thema Daten leisten, aber für viele andere Themen braucht es noch ein Konzept. Wir versuchen natürlich, die politischen Rahmenbedingungen zu schaffen, sodass die Kammern da gut mitarbeiten können. In den 25 Jahren, in denen ich nun schon beim ZDH arbeite, ist die Verzahnung auf alle Fälle besser geworden. Da führt auch kein Weg daran vorbei. Vor zehn Jahren war unsere Kampagne „Das Handwerk“ ein Segen für die Branche, und das wollen wir zusammen mit den Kammern nun weitertragen. Davor hat jeder für sich allein irgendwie vor sich hin gewerkelt.

Wie sollte Ihrer Meinung nach das Handwerk in fünf Jahren wahrgenommen werden?
Modern, zukunftsfähig und dienstleistungsorientiert – so, wie Handwerk eben ist.